Erich Mühsam zum 75. Todestag

Im Gedenken an Erich Mühsam und andere Opfer des Naziterrors fand am 19. Juli im Gedächtnispark Lehrter Zellengefängnis, gegenüber dem Berliner Hauptbahnhof, eine 12-stündige literarisch-musikalische „Nachtwache“ statt. Der in der Mitte des Parks stehende offene Betonwürfel diente als Vortragsplattform.

Der Veranstaltungsort war authentisch, da Erich Mühsam 1933 nach seiner Verhaftung im Zuge des Reichstagsbrandes in dieses Gefängnis eingeliefert wurde. Die Gäste betreten den Park durch das Tor an der Minna-Cauer-Straße, wo sich von 1943 bis 1945 die Gestapo-Abteilung befand. Seit Eröffnung des Gefängnisses Mitte des 19. Jahrhunderts saßen in ihm politische Gefangene ein – viele von ihnen wurden ermordet.

Der Dichter, Kabarettist der ersten Stunde, politische Publizist und Journalist, der Genosse Erich Mühsam wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg von SS-Schergen der „Leibstandarte Adolf Hitler“ umgebracht. (Josef Goebbels: „Dieses rote Judenaas muss verrecken!“)

Erich wurde am Abend des 9. Juli 1934 mit einem Strick zum SS-Kommandanten zitiert, der ihm zwei Tage vorher befohlen hatte, sich aufzuhängen. (Mühsam zu seinen Leidensgenossen: „Den Gefallen werde ich denen nicht tun, meinen eigenen Henker zu spielen.“) Der Gepeinigte, dem klar war, was kam, hatte seine wenigen Habseligkeiten schon vorher an die anderen verteilt. Erregt legten sich einige Gefangene auf die Lauer. Erich kam nicht in die Unterkunft zurück. Beim Morgenappell am 10. Juli fehlte der Genosse. Höhnisch forderten die SS-Wachen die Gefangenen auf, den Verschwundenen zu suchen, sie fanden ihn aufgeknüft auf dem Abort. Schon der komplizierte Knoten im Seil verriet, dass der bekannt handwerklich ungeschickte Mühsam ermordet worden war. Zuvor war der herzkranke und halbtaube 55-Jährige über weite Strecken seiner 14-monatigen Gefangenschaft an verschiedenen Haftorten bestialischen und erniedrigendsten Foltern ausgesetzt.

Erich Mühsam war jüdischer Herkunft, Bohemien und Anarchist, Teilnehmer der Münchener Räterepublik von 1918 bis 19, war nach der NS-Machtübernahme der erste prominente Literat der Weimarer Republik, der als Opfer der Nazigewaltherrschaft sterben musste. Er steht dadurch auch stellvertretend für die vielen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Publizisten und politischen Journalistinnen und Journalisten, die von den Nazis verfolgt, ins Exil getrieben und ermordet wurden. Dies zeichnete sich allerdings bereits 1919 bei der SPD-veranlassten militärischen Niederschlagung der Münchener Räterepublik durch Soldaten ab, die teils schon das Hakenkreuz am Stahlhelm trugen. (Lied: „Hakenkreuz am Stahlhelm, schwarz-weiß-rot das Band – die Brigade Erhardt werden wir genannt.“) Diese nationalistisch-antisemitischen Marodeure ermordeten dort auch Mühsams Freund und Lehrer, den jüdischen Intellektuellen Gustav Landauer.

Erich Mühsams Tod darf nicht in Vergessenheit geraten. Er starb, weil er das aussprach und schrieb, was Millionen von Werktätigen dachten – er starb für uns und deswegen halten wir sein Andenken in Ehren und tragen es an unsere Kinder und Enkel weiter.

kb


Aus einem Manuskript von Erich Mühsam aus dem Jahr 1919

(…) Im Staat erkannte ich früh das Instrument zur Konservierung all der Kräfte, aus denen die Unbilligkeit der gesellschaftlichen Einrichtungen erwachsen ist. Die Bekämpfung des Staates in seinen wesentlichen Erscheinungsformen, [167] Kapitalismus, Imperialismus, Militarismus, Klassenherrschaft, Zweckjustiz und Unterdrückung in jeder Gestalt, war und ist der Impuls meines öffentlichen Wirkens. Ich war Anarchist, ehe ich wusste, was Anarchismus ist; ich war Sozialist und Kommunist, als ich anfing, die Ursprünge der Ungerechtigkeit im sozialen Betriebe zu begreifen. Die Klärung meiner Ansichten verdanke ich meinem Freunde Gustav Landauer; er war mein Lehrer, bis ihn die weißen Garden ermordeten, die eine sozialdemokratische Regierung zur Niederzwingung der Revolution nach Bayern gerufen hatte.(…)

Mehr: Erich Mühsam Gesellschaft