Türkei: Wie zu Zeiten Abdülhamids

Presseerklärung der türkischen Tageszeitung „Evrensel“ 

Ministerpräsident Erdogan versteht keinen Spaß: Wegen
einer Karikatur verklagt Erdogan die Tageszeitung Evrensel und fordert 10
Milliarden Türkische Lira als Schmerzensgeld.

 

Der türkische
Ministerpräsident steht in der Tradition des osmanischen Herrschers Abdülhamid.
Abdülhamid hatte der Presse verboten das Wort „Nase“ in irgendeiner Weise zu
benutzen. Abdülhamid hatte eine riesige Nase und verstand keinen Spaß.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan versteht auch keinen Spaß. Der
Karikaturist Sefer Selvi und die Tageszeitung Evrensel haben nun die Quittung.
Erdogans Anwälte fordern wegen „Verunglimpfung des Ministerpräsidenten und
zugefügten Schmerzen“ 10 Milliarden Türkische Lira (ca.6.400 Euro)
Schmerzensgeld. Diese Forderung hat in der türkischen Justizgeschichte
Seltenheitswert. Nach Jahrzehnten verklagt ein Ministerpräsident zum ersten Mal
einen Karikaturisten. Nun, immerhin hat die Sache auch eine positive Seite, so Sefer
Selvi: „Ich erhalte jetzt mehr Material für andere Karikaturen“.

 

Was sagen die anderen Karikaturisten?

 Zafer Temocin (Cumhuriyet): „Sie können noch nicht Mal
Karikaturen hinnehmen. Mit solchen Klagen versucht die Regierung die Presse
mundtot zu kriegen. Insbesondere die Kritikform der politischen Satire ist
ihnen ein Dorn im Auge. Nun ja, vielleicht versucht der Ministerpräsident mit
solchen Klagen neue Finanzierungsquellen für seinen Haushalt zu finden.“

 

Emre Ulas (Radikal): „Das war zu erwarten, also ist für mich
keine Überraschung. Keine Überraschung deshalb, weil das Menschen sind, die von
sich behaupten Demokraten zu sein, aber nie danach leben. Sie werden auch in Zukunft
weiterhin versuchen, die Presse klein zu kriegen. Früher haben sie die
Schriftsteller verklagt, jetzt versuchen sie es mit den Karikaturisten. Das
wird so weiter gehen“.

 

Behic Pek (LeMan): „Mit dem Verklagen von Karikaturisten
oder anderen kritischen Stimmen wird sich nichts bessern. Die Herrschenden
sollten sich eher fragen, was die Karikaturisten oder andere Journalisten alles
kritisieren und warum. Keiner kritisiert aus Jux und Tollerei. Die Journalisten
und Karikaturisten haben die Aufgabe, den Herrschenden auf die Finger zu
schauen. Sie deshalb zu verklagen, wird nichts verändern.“

 

Ercan Akyol (Milliyet): „Die Kunst der Karikatur richtet
sich im Grunde genommen gegen die Intoleranz. Ich will nicht diskutieren ob die
sogenannten muslimischen Demokraten muslimisch und tolerant sind oder nicht,
aber allein diese Klage zeigt, wie wenig Demokraten sie sind.“