Koalitionsvertrag von Grünen und SPD in Baden-Württemberg: Für mehr Markt und Profit!

Mit 93 Seiten ist der Koalitionsvertrag von Grünen und SPD in Baden-Württemberg ein dicker Schinken. „Arbeit Zukunft“ hat ihn gelesen und geprüft.

 

Bildung

Der Titel „Der Wechsel beginnt“ taucht im ganzen Dokument immer wieder auf, ebenso der Slogan „Eine neue Politik für Baden-Württemberg“. Hält das Dokument, was es damit verspricht?

Versprechungen gibt es haufenweise. Diese werden allerdings selten konkret gemacht, sondern es sind eben Versprechungen. So steht beispielsweise auf S.3 nicht, ob das versprochene „Mittagessen an Ganztagsschulen“ kostenlos sein soll. Auf der einen Seite wird geschrieben, dass Grüne und SPD bei der Kinderbetreuung „die Gebührenfreiheit wichtig“ sei, um dann zwei Sätze weiter festzuhalten, dass man sich dafür einsetze, „dass Kindergartengebühren in Zukunft in allen Gemeinden sozial gestaffelt werden“. Also dann doch Gebühren!

Konkrete Festlegungen gibt es fast nur, wenn das nichts oder wenig kostet, wie beispielsweise die sinnvolle Abschaffung der Grundschulempfehlung.

Dafür will man in Zukunft Privatschulen, auf die vor allem Kinder aus der Mittel- und Oberschicht gehen, besser finanziell fördern (S.9). Das ist ein reaktionäres Projekt zur Elitebildung, statt alles Geld in eine Verbesserung des öffentlichen Schulwesens zu stecken. Dem entspricht auch, dass Grüne und SPD den Religionsunterricht weiter fördern und durch einen islamischen Religionsunterricht ergänzen wollen (S.10). Statt also Kirche und Staat im Sinne wirklicher Demokratie endlich zu trennen und Religion zu einer privaten Angelegenheit zu machen, soll die Verquickung von Kirche und Staat vorangetrieben werden.

SPD und Grüne wollen „im Rahmen der Exzellenzinitiative als auch darüber hinaus“ (S.13) die Herausbildung von Eliteunis und Eliteforschung vorantreiben. Damit wird die bisherige reaktionäre Bildungspolitik weitergeführt und verschärft. Dementsprechend wollen Grüne und SPD auch „Bologna zum Erfolg führen“ (S.14), also die für die EU vereinbarten Richtlinien, die universitäre Bildung komplett umzustrukturieren – mit Kurzstudium zum Bachelor und als Schmalspurintelligenzler in die Industrie und dem Elite-Master für den gehobenen Studenten. Aauch hier Elitebildung als reaktionäres Ziel. Sie wollen das, wogegen sich bundesweit zigtausende Student/innen unter der CDU/CSU/FDP gewehrt haben, nun mit schönen Phrasen durchsetzen. Der einzige sichtbare Fortschritt ist die Abschaffung der Studiengebühren ab dem Sommersemester 2012. Wir sind allerdings gespannt, ob sie dann nicht eine Ausrede finden wie z. B. die miese Kassenlage.

 

Wirtschaft

Nach diesen enttäuschenden und überwiegend reaktionären Zielsetzungen in der Bildungspolitik kommt im Koalitionsvertrag die Wirtschaftspolitik. Da wird sehr rasch klar, dass die Profitwirtschaft nicht in Frage steht. Enthusiastisch wird Baden-Württemberg als „die Heimat des Automobils“ (S.19) gefeiert und die weitere staatliche Förderung der Automobilindustrie angekündigt – natürlich für umweltfreundliche Technik. Die Allgemeinheit darf den Autokonzernen die hohen Forschungskosten bezahlen, der Profit wird dann allerdings zur Privatangelegenheit.

Der Koalitionsvertrag spricht schon gar nicht mehr von einem Gesundheitswesen, dass es im Interesse der Patienten und der dort Beschäftigten zu gestalten gilt, sondern sagt:

Die Gesundheitswirtschaft ist bei Dienstleistungen wie bei der Industrie der große Markt der Zukunft. …die Gesundheitswirtschaft (ist) schon heute der größte Wirtschaftszweig im Land – Tendenz weiter steigend.“ (S.19)

Gesundheit wird hier offen unter dem Blickwinkel der Verwertbarkeit auf dem Markt für das Kapital, für den Profit betrachtet. Und Grüne und SPD vereinbaren im Koalitionsvertrag die „ Gesundheitswirtschaft“ in diesem Sinne staatlich zu fördern und auszubauen. Also auch hier: Die Allgemeinheit darf zahlen, der Profit jedoch ist unantastbar privat.

Dieser Geist zieht sich durch das gesamte Kapitel Wirtschaft. Die Allgemeinheit darf immer wieder Subventionen geben, Anschubfinanzierungen machen, in „Forschung und Entwicklung investieren“ (S.21), damit das Kapital seine Profite erhalten und erhöhen kann.

 

Arbeitspolitik

Hier gibt es viele schöne Worte. Der DGB begrüßte die Versprechungen bereits. Aber bei Leiharbeit wird nicht etwa die Abschaffung gefordert, sondern da steht:

Wir wollen die Leiharbeit zu dem machen, was sie ursprünglich sein sollte: ein zeitlich begrenztes Mittel zur Überbrückung großer Auftragsschwankungen in Unternehmen.“ (S.23)

Was anderes ist die Leiharbeit schon jetzt nicht. Die großen Industriebetriebe halten sich eine Stammbelegschaft vor allem mit qualifizierten Fachkräften und lassen zugleich ihre Fabrik „atmen“, wie sie das so heuchlerisch nennen. Sind viele Aufträge da, werden Leiharbeitssklaven angeheuert. Sind weniger Aufträge da, dann müssen die Leiharbeitssklaven wieder gehen. Einen Industriebetrieb wie Daimler, Porsche, Bosch kann man nicht nur mit Leiharbeitern betreiben. Dann gäbe es die nötige Qualität nicht. Aber Leiharbeiter als Polster, um die Profite zu maximieren und Verluste zu minimieren, das ist völlig im Interesse des Kapitals. Die Arbeiterklasse ist aber grundsätzlich gegen Leiharbeit, weil sie immer ein Mittel der Spaltung, der Lohndrückerei und der verschärften Ausbeutung ist.

Positiv ist das Versprechen, den Flugverkehr nicht weiter staatlich zu subventionieren (S.30).

 

Stuttgart 21

In der Presse wurden vor allem die Festlegungen zu Stuttgart 21 breit bekannt gemacht, während andere Teile des Koalitionsvertrages oftmals gar keine Erwähnung fanden. Wir sehen diese Vereinbarungen zu Stuttgart 21 als bedenklich. Sollte es zum Volksentscheid unter den gegenwärtigen Bedingungen kommen, ist damit zu rechnen, dass die Grünen dieses Projekt durchsetzen werden. Obwohl klar ist, dass die jetzigen Bedingungen, die in der Landesverfassung festgelegt sind, ausgesprochen reaktionär und volksfeindlich sind, haben sich die Grünen auf diesen Holzweg eingelassen. Nun hoffen sie in lächerlicher Weise, dass ihnen die CDU aus dieser selbst gestellten Falle heraus hilft. Schon jetzt bereiten die Grünen aber die Bewegung darauf vor, dass man einen solchen undemokratischen Entscheid als „demokratisch akzeptieren“ müsse. Was kann daran demokratisch sein, wenn ein Volksentscheid selbst dann als abgelehnt sind, wenn 99% dafür stimmen, aber nicht das hohe Quorum an Beteiligung erreicht wird. Dann müsste so mancher Bürgermeister abtreten, denn bei einigen Bürgermeisterwahlen ist die Wahlbeteiligung geringer als das Quorum beim Volksentscheid. Doch bei der Pöstchenvergabe gibt es ein solches Quorum eben nicht.

 

Atomkraft – Nein danke?

Die Überschrift des Kapitels zur Atomkraft sagt „Nein danke“ (S.33). Aber danach wird es schwammig. Festgelegt wird, die beiden AKWs „Neckarwestheim I und Phillipsburg I wollen wir dauerhaft stilllegen.“ (S.33) Die hat aber bereits Bundeskanzlerin Merkel stillgelegt. Hier gibt es für Grüne und SPD nichts mehr zu tun. Geschwiegen wird jedoch ausgesprochen beredt über die anderen beiden AKWs, die von der EnBW betrieben werden. Die EnBW ist nun zu 50% in Landesbesitz und der Rest überwiegend in Besitz von Kommunen. Es wäre also möglich gewesen, in den Koalitionsvertrag zumindest die Absicht aufzunehmen, sich gemeinsam mit den kommunalen Besitzern für die Abschaltung einzusetzen. Doch das ist anscheinend für die überzeugten Ritter gegen die Atomkraft zu viel – zu viel gegen das Profitprinzip. Die Hintertüren gleichen Scheunentoren.

 

Privatisierung der landeseigenen Wohnungen soll durchgedrückt werden

Sozial verantwortlich“ soll „die Auflage der EU-Kommission zum Verkauf der von der LBBW-Immobiliengruppe gehaltenen Wohnungsbestände“ (S.53) durchgeführt werden. Also: Privatisierung der ehemals landeseigenen Wohnungen. Die frühere CDU-Landesregierung hatte diese Wohnungen an die LBBW verhökert. Damals war beteuert worden, dass sie ja damit in Landeeigentum bleiben würden. Die LBBW hat gezockt und riesige Verluste eingefahren. Nun sollen die Landeswohnungen endgültig privatisiert werden. Grüne und SPD wollen sie nicht zurück in Landesbesitz übernehmen, sondern machen sich zu Vollstreckern der Kapitalinteressen. Was der „soziale Schutz der Mieter und der Beschäftigten“ (S.53) real bedeutet, kann man in Berlin sehen, wo SPD und Linkspartei die kommunalen Wohnungen ebenfalls zur Finanzierung der Sanierung der Landesbank verkauft haben. Erst einmal in Privatbesitz regieren die Privatinteressen und nicht der „soziale Schutz der Mieter und der Beschäftigten“. Mieten werden erhöht, Menschen aus Wohnungen vertrieben, Beschäftigte entlassen oder in Billiglohnverträge abgedrängt.

 

Nachhaltiges Haushalten – zu Lasten der Beschäftigten

Wenn Grüne und SPD zuvor seitenweise der Industrie, den Privatschulen, den Eliteuniversitäten Subventionen versprochen haben, dann muss ja irgendwer den maroden Staatshaushalt sanieren. Und wer ist das? Natürlich die Beschäftigten. Um das zu verbergen, werden viele Phrasen gedroschen. Dazu soll es einen „Finanzplan 2020“ und einen „Personalentwicklungsplan 2020“ geben. Dazu soll sich die „Landesverwaltung einer umfassenden Aufgabenkritik unterziehen.“ Ziel sei eine „bürgernahe Verwaltung“, so die Phrase. Doch weiter: „Von diesen Überprüfungen und Neuregelungen erwarten wir einen weiteren namhaften Beitrag zur mittelfristigen Haushaltskonsolidierung.“ (S.55) Im Klartext: Wir werden massiv Stellen abbauen, trauen uns aber nicht, dass offen und ungeschminkt zu sagen. Die Banken werden bedient, die Industrie erhält mehr direkte und indirekte Subventionen – und die Landesbeschäftigten müssen dafür zahlen.

Es wird auch, noch etwas schamhaft über Kürzungen bei den Beamtenpensionen bzw. bei den Gehältern nachgedacht. Zur Finanzierung der Beamtenpensionen fehlen laut Landesrechnungshof 70 Milliarden Euro! Diese wurden lieber an das Kapital verteilt und sind weg. Grüne und SPD beteuern, sie wollten die Pensionen „nachhaltig sichern“ (S.56). „Zur Finanzierung dieser Maßnahme werden wir im Dialog mit den Betroffenen eine gemeinsame Lösung entwickeln.“ (S.56) Im Klartext: Ihr dürft mit Gehaltskürzungen und/oder Pensionskürzungen eure eigenen Pensionen „sichern“ – das Geld brauchen wir für die Banken und die Industrie. Und wenn es so weitergeht, wird man in zwei bis drei Jahren bestimmt erneut „im Dialog mit den Betroffenen eine gemeinsame Lösung“ für die dann wieder marode Finanzierung der Beamtenpensionen suchen und erneut kürzen. Mit solchen Methoden lässt sich leicht nachhaltig haushalten.

Dem entspricht auch, dass Grüne und SPD die Absicht haben, im Landesdienst „stärker als bisher Möglichkeiten der Flexibilisierung zu nutzen.“ (S.69)

 

Mehr Polizeistaat

Mit vielen Phrasen wird von „Baden-Württemberg in guter Verfassung“ (S.60) geredet. Positiv ist dabei, dass die Hürden für Volksinitiativen, Volksentscheide usw. gesenkt werden sollen. Das geht allerdings nur mit der CDU. Es ist also ein wahrscheinlich leeres Versprechen.

Grüne und SPD wollen aber hinter den Phrasen versteckt mehr Polizeistaat. Sie sagen: „…wollen wir im Jahr 2012 die Zahl der Neueinstellungen von derzeit 800 Polizeinachwuchskräften ausweiten.“ (S.65) Sie wollen „Verbesserung der Personalausstattung der regulären Polizei in den Polizeirevieren“ (S.66) Sie wollen „eine effektive und zuverlässige Justiz“ (S.63) Sie wollen nicht etwa die Gewalt der Polizei stoppen, sondern „dass jegliche Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte geächtet wird. Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten ist kein Kavaliersdelikt.“ (S.66) Und sie wollen den „Extremismus entschlossen bekämpfen“ (S.67) Im Text wird zwar nur der Rechtsextremismus genannt, doch die Überschrift macht klar, es geht auch gegen links.

Mit Bert Brecht fragen wir zu diesem Ausbau des staatlichen Unterdrückungsapparates:

Ja, wozu denn?
Haben sie denn so mächtige Feinde?“

(Aus Lied – im Gefängnis zu singen)

 

Integration

Zur Abwechslung einmal positiv zu bewerten, sind die Vereinbarungen zur Ausländerpolitik, wo angekündigt wird, dass ausländische Bildungsabschlüsse leichter anerkannt werden sollen. Auch die Einbürgerung soll erleichtert werden. Das sind Maßnahmen, die im Interesse des Kapitals sind, dass so seinen Fachkräftemangel beheben bzw. die Löhne für Fachkräfte niedrig halten will. Diese Maßnahmen kosten nichts, bringen aber dem Kapital bessere Profitchancen und der Landesregierung ein „fortschrittliches“ Image. Sie sind aber auch im Interesse der Betroffenen und der Arbeiterklasse, da so die bestehende Spaltung wenigstens etwas gemildert wird.

 

In der Gesamtheit wird klar, hier findet kein Wechsel statt. Das Kapital hat die Macht und bestimmt den Kurs – auch unter den Grünen und der SPD. Alle wesentlichen Entscheidungen werden unter dem Gesichtspunkt des Marktes, des Profits getroffen. Es gibt ein paar kleine, zaghafte Verbesserungen, die wir begrüßen. Schwerwiegender sind allerdings die Folgen des Kapital-freundlichen Kurses für die Menschen und insbesondere die Arbeiterklasse, wenn beispielsweise offen von „Gesundheitswirtschaft“ oder „Gesundheitsmarkt“ geredet wird und diese Entwicklung zur Profitmacherei auf Kosten der Kranken gefördert werden soll. Dieser Geist durchzieht den ganzen Koalitionsvertrag. Wer dieser Logik nicht folgen will, der darf sich nicht auf Grüne und SPD verlassen, der muss den eigenständigen, selbstbewussten Kampf für die Interessen der Arbeiterklasse und des Volkes entwickeln und vorantreiben. Der muss sich für eine andere, sozialistische Gesellschaft jenseits des Proftprinzips einsetzen.

dm