Unruhen in England: Vorwand für verschärften Polizeistaat!

Es begann am 4. August, als die Londoner Polizei den vermutlichen Drogendealer Mark Duggan erschoss. Wenige Tage später hatten sich die Ausschreitungen von London auch auf andere englische Städte ausgeweitet; unter anderem Birmingham, Bristol und Manchester.

Bilder von brennenden Straßenzügen gingen um die Welt. Es gab Verletzte und Tote. Erst nach Tagen und der Aufstockung der Londoner Polizeikräfte von 6.000 auf 16.000 Beamte kehrte Ruhe in die Nächte zurück.

Für Premierminister Cameron, der den entstandenen Schaden auf 200 Millionen Pfund schätzte, waren die Ausschreitungen „pure Kriminalität“. So weist er jede Verantwortung der Politik in seiner „Analyse“ der Ereignisse am 15.08. zurück: „Diese Krawalle hatten nichts mit Sparmaßnahmen der Regierung zu tun.“ Er behauptet, die Randalierer hätten „pure Gleichgültigkeit gegenüber richtig und falsch gezeigt“ und beklagt weiter „Faulheit“ und „Disziplinlosigkeit“.

So einfach ist das! Zumindest wenn man aus der Oberschicht stammt. Cameron, Sohn eines Börsenmaklers, führt seine Abstammung sogar auf König William IV zurück. Für seine Eltern war es kein Problem den jungen Cameron auf die teure „Elite-Universität“ Oxford zu schicken. Für Cameron und die anderen Regierungsmitglieder, ist die vorhandene Jugendarbeitslosigkeit von über 20%, keine erlebte Wirklichkeit. Er kennt als Antwort nur autoritäre Stärke, die sich über jede sicher geglaubte Rechtsnorm hinwegsetzt. Wie von ihm angeordnet, werden die über 2000 Verhafteten von den Schnellgerichten in Tag- und Nachtschichten zu unverhältnismäßig hohen Strafen verurteilt. So wurde ein 23-Jähriger zu sechs Monaten Haft verurteilt, weil er Mineralwasser im Wert von 3,50 Pfund gestohlen hatte, eine zweifache Mutter bekam fünf Monate weil sie gestohlene Shorts entgegennahm und zwei Jugendliche, die über Facebook zur Randale aufgerufen hatten, wurden zu je vier Jahren Haft verurteilt.

Sogar Sippenhaft scheint möglich, da auch Eltern von Randalierern jeden Anspruch auf Sozialhilfe verlieren sollen. Nun sollen sogar in England Wasserwerfer eingesetzt werden und der Einsatz des Militärs wird erwogen. In diesem Zusammenhang wird sogar über die Wiedereinführung der Todesstrafe in England diskutiert. Was Cameron als „Krieg gegen die Gangs“ bezeichnet, ist in Wahrheit der Krieg der „City of London“, der herrschenden Finanzelite gegen das Volk.

Natürlich wäre es naiv zu glauben, es gäbe kein Problem mit Gangs, doch zum einen sind die Gangs keine neue Erscheinung und zum anderen erfüllen die Gangs im Sinne der Herrschenden „wichtige“ Aufgaben. Sie terrorisieren die normale Bevölkerung und verhindern einen organsierten Zusammenschluss der unterschiedlichen Menschen in den armen Stadtteilen. Zudem muss ja jemand die Drogen, die die CIA in Afghanistan anbaut, unter das Volk bringen.

Wenn sich jetzt die englischen Politiker über die schlechte „Moral“ in ihrem Land entrüsten, mutet das schon sehr befremdlich an. Erst in jüngster Vergangenheit waren Abgeordnete des Unterhauses aufgefallen, die die Reinigung ihres Schwimmbades, Renovierungen und sogar lächerliche Beträge für Glühbirnen und Tampons dem Steuerzahler aufbürdeten.

Das mit der Moral ist eben so eine Sache. Für seine „Null-Toleranz“ Politik nach US-amerikanischem Vorbild holte sich Cameron als Berater dann auch den New Yorker Ex-Polizeichef Bill Bratton. Das Credo dieser Politik ist, dass man schon kleine Vergehen hart bestrafen muss, ansonsten werde die Kriminalität in kürzester Zeit in die Höhe schnellen. Soll man erwähnen, dass gegen Bratton ermittelt wurde, weil er sich wiederholt von Firmen zu Reisen einladen ließ? Soll man erwähnen, dass Cameron auf die Frage, ob er Drogen genommen habe gestand auf der Universität „normale“ Erfahrungen gemacht zu haben und darauf bestand, dass jeder das Recht habe in seiner Jugend Fehler zu machen?

Nein. Anstatt sich über die verkommene Moral der „Elite“ zu wundern, sollte man erwähnen, dass es ihre Politik war, die den Boden für gesellschaftliche Spannungen bereitet hat. Im Bewusstsein ist wohl jedem der „Krieg“ den Margret Thatcher gegen die englische Arbeiterklasse und die Gewerkschaften führte. Bergbau und große Teile der Industrie wurden regelrecht abgeschafft mit der kühnen Behauptung, eine moderne Dienstleistungsgesellschaft könnte Millionen Menschen Wohlstand bringen. So hat das verarbeitende Gewerbe allein in den Jahren 2000 bis 2005 einen Rückgang seiner Beschäftigten um ein Fünftel hinnehmen müssen. Heute muss England viele wichtige Güter importieren. Aktuell stieg das Handelsbilanzdefizit im Juni auf 4,5 Mrd. Pfund. Wir kennen das „Problem“ aus Griechenland und immer mehr Staaten.

Die Lösung der Herrschenden: Sparen. So will die britische Regierung in den nächsten 3,5 Jahren über 90 Milliarden Euro einsparen. Im Frühjahr 2011 kam es zu Massendemonstrationen. So gingen über eine halbe Millionen Menschen auf die Straße gegen die Kürzungen im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich. Zehntausende Studenten protestierten gegen die drastischen Erhöhungen der Studiengebühren auf bis zu 11.000 Euro im Jahr. Aber für Cameron haben die „Krawalle nichts mit den Sparmaßnahmen der Regierung zu tun.“

Gerade im Londoner Stadtteil Tottenham, in dem die Unruhen ihren Anfang nahmen, kommen auf einen neuen Arbeitsplatz 57 Suchende. Acht von dreizehn Jugendclubs wurden dort kürzlich geschlossen. Polizeiterror ist in diesen Gegenden erlebte Wirklichkeit. In Groß-Britannien kamen von 1998 bis 2010 330 Menschen im Polizeigewahrsam zu Tode und kein Polizist wurde in diesem Zusammenhang verurteilt.

Vor diesem Hintergrund forderte eine Gruppe von 200 Demonstranten vor dem zuständigen Polizeirevier Aufklärung über die wahrscheinliche Hinrichtung des Mark Duggan durch die bewaffnete Spezialeinheit „CO19“. Zeugen gaben an, dass Duggan von der Polizei aus einem Taxi gerissen worden sei und am Boden liegend durch Kopfschüsse getötet wurde. Später musste die Polizei einräumen, dass es einen angeblichen Schusswechsel nie gegeben hatte. Die Polizei verweigerte jeden Dialog mit den Protestierenden. Als die Polizei mit Schilden und Knüppeln gegen ein 16-jähriges Mädchen vorging, war das der berühmte Funke am Pulverfass.

In wie weit die Unruhen provoziert sein könnten, ist Spekulation. Erwähnt werden sollte, dass der ehemalige Polizeiführer Michael Ruppert, der während der schweren Unruhen in Los Angeles Anfang der 90er Jahre im Dienst war, in einem Fernsehinterview gegenüber Russia Today angab, die Unruhen sollten von dem bevorstehenden Finanzkollaps ablenken. „Man will eine Solidarisierung der verarmten Bevölkerung über Rassengrenzen hinweg verhindern.“

Keine Spekulation ist aber, dass sich die faschistische EDL (English Defense League) an den Unruhen beteiligte. Aktivisten mischten sich unter die Menge und stachelten sie auf. Die EDL rief zur Gründung von „Bürgerwehren“ auf gegen die „bösen“ Migranten. In den Medien wurden die Faschisten als Beschützer aufgebaut. Ihr Anführer Stephen Lennon wurde sogar in der englischen Zeitung Globe zitiert: „Wir werden die Unruhen beenden – die Polizei schafft das nicht“. Dabei sind die niedergebrannten und geplünderten Geschäfte in diesen Stadtteilen zum großen Teil in den Händen der Migranten. Nichts liegt ferner, als die Vorstellung, dass diese Menschen ihr eigenes Haus abfackeln.

Und um das deutlich zu sagen: den Vandalismus verurteilen wir natürlich entschieden. Es sind anarchistische, kriminelle und provokatorische Elemente, die den berechtigten Protest auf den falschen Weg geführt haben. So erklären sich auch so skurrile Erscheinungen, wie etwa das Verhalten der 19-jährigen Laura Johnson, die wegen Plünderns elektronischer Geräte angeklagt wurde. Sie ist Tochter eines Millionärs.

Die Ereignisse in London und einem Dutzend weiterer Städte in England müssen eine Warnung an die Arbeiterklasse sein. Die Regierenden verraten damit ihre Vorbereitungen auf polizeistaatliche Formen der Herrschaft.

Cameron will den Zugang zu den sozialen Medien, wie Facebook und Twitter, blockieren. Auch Innenminister Hans-Peter Friedrich hat schon angemahnt die Anonymität des Internets auf zu heben, wobei die NSA und andere Dienste jetzt schon alles abhören. Es sind aber die gleichen Leute, die ein Hohelied auf die sozialen Netzwerke singen, wenn es um ihre außenpolitischen Interessen geht, wie z.B.: Ägypten, Syrien oder Iran.

In Deutschland wurden am 18.8.2011 die sogenannten „Anti-Terror-Gesetze“ um weitere vier Jahre verlängert. Sie waren eine Reaktion auf die Ereignisse am 11.September 2001 in den USA. Durch diese Gesetze erhalten der Verfassungsschutz, MAD, BND und BKA ausgeweitete Befugnisse. Im Kern geht es um Daten von Banken, Postdienstleistern und Telekommunikationsunternehmen.

In dem Ausbruch sozialer Wut der Jugend im eigenen Land sehen die Herrschenden zu Recht einen Vorboten einer wesentlich breiteren Bewegung der Arbeiterklasse. Da offenkundig für verbrecherische Kriege und die Banken Gelder nötig sind, wird die Ausplünderung der Arbeiterklasse bis zur Mittelschicht weiter zunehmen müssen. Der Kapitalismus ist an seine Grenzen gekommen, wenn er diese erreicht, wird er nicht in sich zusammenfallen. Er wird die Menschen weiter in orwellscher Barbarei beherrschen oder die Werktätigen organisieren sich zu ihrer historischen Aufgabe, ihn zu beseitigen. (J.T.)