Stuttgart 21: Mit aller Gewalt

9.7.11, Stuttgart: Der Protest gegen Stuttgart 21 geht weiterEnde August kündigte der neue Projektmanager der DB AG für Stuttgart 21, Stefan Penn, legt Tempo vor. Mit aller Gewalt will er das Milliardengrab Stuttgart 21 durchprügeln. Über seinen Projektsprecher Wolfgang Dietrich ließ er am 21.8.2011 verkünden, der Südflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofes sowie die Bäume im Stuttgarter Schlossgarten müssten bis Ende des Jahres verschwinden. Dabei hatte die Bahn selbst früher erklärt, dass dies jetzt noch gar nicht nötig sei. Ebenso hatte die Bahn in der Schlichtung zugesagt, die uralten Bäume umzusetzen. Bei solch großen und alten Bäumen sind jedoch monatelange Vorbereitungen notwendig.

Schon beim Abriss des Nordflügels hatte die Bahn ohne Not massiv Druck gemacht. Ihr ehemaliger Projektleiter Azer hatte intern berechnet, dass dies deutliche Mehrkosten zur Folge hatte.

Doch die Bahn wollte vollendete Tatsachen schaffen und so den Widerstand brechen. Das ist auch diesmal der Grund für die Eile.

 

Der Widerstand wächst

Wenn auch Umfragen zeigen sollen, dass die Bevölkerung dem Projekt mehr und mehr zustimmt, wächst der Widerstand real. Seit über eineinhalb Jahren kommen Woche für Woche tausende zum Protest. Zeitweise waren es über hunderttausend. Die Schlichtung hat den Protest zunächst verwirrt und geschwächt. Doch nun, wo klar wird, dass die Bahn um jeden Preis Fakten schaffen will, steigt die Teilnehmerzahl bei den Montagsdemonstrationen wieder an. 4-5000 mindestens protestieren Woche für Woche vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof. Seit einiger Zeit gibt es sogar wieder zwei Demonstrationen pro Woche, eine davon Freitags mit ebenfalls mehreren tausend.

Dazu wird die Baustelle, auf der die Bahn nun fieberhaft weiterarbeitet, um Fakten zu schaffen und den Widerstand zu demoralisieren, täglich blockiert. Bis zu mehreren hundert Menschen sind jeden Morgen ab 5 Uhr vor dem Bauzaun. Mühsam muss die Polizei die Baustelle bewachen und die Menschen beiseite räumen.

Auch die zahllosen Strafverfahren, mit denen die Gegner von Stuttgart 21 überzogen werden, haben nichts bewirkt, eher das Gegenteil: die Wut steigt. Während die Polizisten und die Verantwortlichen, die am 30. September 2010 hunderte z. T. schwer verletzt haben, bis heute nicht vor Gericht stehen, werden Gegner von Stuttgart 21 wegen kleiner und kleinster angeblicher Vergehen vor Gericht gestellt und zu hohen Strafen verurteilt. Das soll abschrecken.

Der letzte Coup: die Stuttgarter Staatsanwaltschaft erwirkte gegen 5 Menschen, die bei Cams 21 mitarbeiten, einen Durchsuchungsbefehl, ließ die Polizei deren Wohnungen durchwühlen und beschlagnahmte deren gesamte Ausrüstung wie Videokameras, PCs, Festplatten. Cams 21 ist eine Initiative, die live im Internet über die Aktionen gegen Stuttgart 21 berichtet. Das stinkt den Herrschenden, denn so konnten zahlreiche Übergriffe der Polizei aufgedeckt werden. Ebenso stärkt die beständige aktuelle Berichterstattung den Mut und Durchhaltewillen. Weil die Reporter von Cams 21 wie andere Medien auch die Stürmung der Baustelle des Grundwassermanagements dokumentiert haben, nahm die Stuttgarter Staatsanwaltschaft dies zum Anlass, jetzt gegen diese Reporter ein Verfahren wegen Landfriedensbruch einzuleiten und die oben geschilderten Hausdurchsuchungen anzuordnen. Das ist übrigens dieselbe Staatsanwaltschaft, die bereits Hausdurchsuchungen bei einem antifaschistischen T-Shirt-Versand durchführen ließ, weil dieser T-Shirts mit durchgestrichenem Hakenkreuz, das in einen Papierkorb geworfen wird, verkaufte. Das ist dieselbe Staatsanwaltschaft, die die Verfahren gegen prügelnde Polizisten dahinschleppt. Das ist dieselbe Staatsanwaltschaft, die alle Anzeigen gegen die DB AG wegen Betrugs mit manipulierten Baukostenzahlen abschmettert.

 

Landesregierung schwach!

Auch die Hoffnung, mit der neuen Regierung aus Grünen und SPD könne man den Widerstand beruhigen und soweit schwächen, dass man dann das Spekulationsprojekt durchziehen kann, zerschlagen sich.

Zwar agiert die neue Landesregierung so hilflos und defensiv, dass mittlerweile viele Menschen in der Protestbewegung eine Sauwut haben und Hoffnungen zerstört werden. Doch dies führt wohl nicht in erster Linie zu Resignation. Der Widerstand ist schon so eigenständig und selbstbewusst, dass die Menschen auch dann weiter kämpfen, wenn diese Regierung versagt. Ministerpräsident Kretschmann spielt den braven Landesvater und hält sich weitgehend aus dem Konflikt raus. Er möchte für alle wählbar bleiben. Na, dann wird halt ohne ihn gekämpft! Viele erinnern sich jetzt daran, dass Kretschmann vor den Wahlen mit CDU-Ministerpräsident Mappus gemeinsam beim SWR saß und dort „Friedensgespräche“ – ohne jeden Baustopp – anbot. Viele erinnern sich daran, wie Mappus Kretschmann „meinen Freund“ nannte und dieser dazu lächelte, statt zu protestieren. Viele erinnern sich, wie die Grünen in Stuttgart nach den gewonnenen Kommunalwahlen erklärten, Stuttgart 21 sei nicht mehr zu verhindern und man müsse es nun „kritisch-konstruktiv begleiten“. Nur durch den anhaltenden Protest kehrten die Grünen wieder in die Reihen der S21-Gegner zurück.

Je deutlicher wird, dass alle Ablenkungsmanöver, der ganze Druck, die Kriminalisierung nichts bewirken und der Widerstand wieder im Steigen begriffen ist, umso größer wird die Panik in den Reihen der Geschäftemacher, die Stuttgart 21 durchziehen wollen.

 

Immer mehr Schweinereien!

Hinzu kommt, dass mit jedem Tag neue Schweinereien und Ungereimtheiten auffliegen. Da ist die lange Liste an Baurisiken und Kostensteigerungen, die der ehemalige Projektleiter Azer hinterlassen hat. Da sind die bewussten Tricksereien bei den Baukosten. Da ist die Tatsache, dass weite Teile des Projektes noch gar nicht baurechtlich genehmigt sind, obwohl die Bahn schon baut. Da ist die Tatsache, dass die Bahn für einzelne Tunnelabschnitte bis jetzt keinen Bauunternehmer gefunden hat, der diese Arbeiten ausführt, da das Haftungsrisiko bei dem schwierigen Untergrund in Stuttgart so enorm ist.

Bei steigenden Kosten wird das Projekt immer unrentabler. Der Nutzen für den Bahnverkehr steht in keinem Verhältnis zu den Kosten. Im Gegenteil! Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 konnte unter anderem anhand alter Fahrpläne nachweisen, dass der gegenwärtige Kopfbahnhof leistungsfähiger ist, als das Milliardenmonster Stuttgart 21. Juristen haben aufgezeigt, dass die Mischfinanzierung von Bund, Land und Stadt durch die Verfassung verboten ist. Dagegen wurde Klage erhoben.

All das bringt die Projektmacher immer mehr in Bedrängnis. Selbst wenn sie große Teile der Massenmedien hinter sich haben und wichtige Fakten dort kaum Erwähnung finden, sind sie in der Defensive. Auf jede Enthüllung reagieren sie mit Ausreden, Beschuldigungen und persönlichen Angriffen. Mit jedem Tag, den sich das Projekt hinaus zieht, müssen sie jedoch damit rechnen, dass noch mehr Schweinereien ans Tageslicht kommen. Ihre Zeit wird knapp, während der widerstand ganz offensichtlich einen langen Atem hat.

 

Einziger Sinn: Profite!

Wie „Arbeit Zukunft“ in Flugblättern, die wir zu tausenden verteilt haben, erläutert hat, ist das einzige Ziel: Profit! Denn wenn das Projekt nachweislich für den Bahnverkehr keinen Nutzen bringt, sondern sogar schlechter ist; wenn es bessere Lösungen für deutlich weniger Geld geben könnte, dann kann es nur noch einen Grund geben: Profit! Baukonzerne, Banken und Immobilienspekulanten gieren danach. Ihre Interessen sollen nun mit aller Gewalt gegen das Volk durchgezogen werden. Ob ihnen das gelingt, können wir nicht vorhersagen. Doch ihre Chancen stehen schlecht. Der Widerstand hat mittlerweile solche Dimensionen, dass er nicht mehr mit einer Knüppel- und Wasserwerferorgie wie am 30.9.10 beseitigt werden kann. Auch die Tricks und Beruhigungspillen wirken schon lange nicht mehr.

Wir werden deshalb weiter aktiv an diesem Widerstand teilnehmen und uns dafür einsetzen, dass er möglichst breit bleibt und kämpferisch ist.