„Wir leben nun mal alle unter Kriegsbedingungen und das ist keine nationale Angelegenheit…“

Unter dem Titel „Griechenland: Demokratie unter der Beschuss“ fand am 13.03. im Berliner IGM-Haus eine Veranstaltung statt, die vom Arbeitskreis Internationalismus der IGM, Ver.di Berlin-Brandenburg in Zusammenarbeit mit RealDemocracyNow! organisiert und von der Rosa Luxemburg Stiftung finanziell unterstützt wurde.

Eingeladen wurden Kollegen und Kolleginnen des seit 4 Monaten von der Belegschaft bestreikten griechischen Stahlwerks „Elliniki Chalywurgia“ und der seit Dezember unter Belegschaftsverwaltung herausgegebenen liberalen Zeitung „Eleftherotypa“, ein professoraler Mitarbeiter des wissenschaftlichen Instituts der griechischen Gewerkschaften sowie ein griechischer Sozialwissenschaftler.

Besondere Aufmerksamkeit erregte die Teilnahme von Dierk Hirschel als Ver.di-Vorstandsmitglied und wirtschaftswissenschaftlichem Sachverständigem der Gewerkschaft.

Die Veranstaltung war mit cirka 200 Personen und Vertretern beinahe aller Kräfte der parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken verhältnismäßig gut besucht.

Zu Beginn verwies ein Vertreter des AK Internationalismus der IGM darauf hin, wie schwer es (selbst der sogenannten Gewerkschaftslinken, der Autor, im nachfolgenden G.D.) gefallen sei, die Veranstaltung gegen die eigene regionale Gewerkschaftsführung durchzusetzen.

Das Anliegen der Veranstaltung sollte dementsprechend gemäß offiziellem Veranstaltungsflugblatt sein, „…Herausforderungen zu diskutieren, die die Eurokrise in Griechenland und bei uns für die Gewerkschaften bei uns bedeuten.“

Gemäß der Kollegin Daskapoulou von der Zeitung „Eleftherotypa“ hat es bei der Zeitung infolge des Spardiktats der Troika (Vertreter aus EU-Kommision EZB und IWF) Lohnkürzungen von 40% und im Medienbereich Rentenkürzungen im Umfang von bisher 400 Mio. Euro gegeben.

Die Kollegen und Kolleginnen streiken aus diesem Grunde seit Dezember des vergangenen Jahres und haben eine Streikausgabe ihrer Zeitung herausgegeben. – Die Antwort des griechischen Staates kam postwendend: Die Zeitung erhielt einen Bußgeldbescheid über 500.- Euro und einen Steuerbescheid zur Versteuerung erzielter Erlöse….

Die Kollegin veranschaulichte des weiteren die allgemeinen Folgen der griechischen Misere infolge des ersten „Rettungspakets“ für Griechenland von Mai 2010:

 

  • In Athen werden täglich 250.000 Menschen über Suppenküchen versorgt

  • 200.000 Menschen haben in Griechenland keinen Zugang zum Gesundheitssystem, zuzüglich zu den 600.000 illegal im Land lebenden Immigranten, die ebenfalls über keinen Versicherungsschutz verfügen

  • 35% der Frauen zwischen 30 und 40 Jahren in Griechenland sind arbeitslos

  • 600.000 Kinder leben in absoluter Armut

 

Der Referent vom wissenschaftlichen Institut der griechischen Gewerkschaften, Professor Kapsalis, gab anschaulich Aufschluss darüber, wie Troika, nationales griechisches Kapital und Regierung mit Arbeitnehmerrechten und bestehenden Arbeitsverträgen umzugehen gedenken.

In Griechenland gibt es sowohl einen nationalen als auch Branchentarifverträge.

So fordert etwa die Troika, die im Zuge des nationalen Tarifvertrags ab Juni 2012 vereinbarte 6,9%ige Lohnerhöhung entweder rückgängig zu machen oder aufzuheben.

Branchentarifverträge sollen in Griechenland automatisch nur noch 3 Monate lang gelten, wenn keine Einigung über ihre Fortführung in den einem Sektor zugehörigen Betrieben zwischen Kapital und Gewerkschaften erzielt werden kann. Diese Regelung öffnet dem Kapital Tür und Tor, die Löhne zu drücken. Denn kann kein tariflicher Lohnvertrag erzielt werden, gilt nach drei Monaten die gesetzliche Lohnuntergrenze, die zwischen 600,- und 650,- Euro liegt.

Eine Schlichtung fällt somit faktisch weg, da das Kapital kein Interesse an einer Verlängerung von Verträgen haben dürfte, die über den gesetzlichen Lohnuntergrenzen liegen.

Der wissenschaftliche Vertreter des gewerkschaftlichen Instituts beklagt insgesamt eine De-Institutionalisierung der offiziellen Gewerkschaften und die dem Kapital in der gegenwärtigen politischen und ökonomischen Situation gegebene Möglichkeit, soziale Standards der Klasse abzubauen. Zur Zeit beträgt die offizielle Arbeitslosigkeit rund 21%, die Rezession (Schrumpfung) der wirtschaftlichen Tätigkeit liegt zur Vergleichsperiode im Vorjahr bei 25 bis 30%.

Der Vertreter vom wissenschaftlichen Institut der Gewerkschaften schloss seinen Vortrag:

Wir leben nun mal alle unter Kriegsbedingungen und das ist keine nationale Angelegenheit…“.

Der Kollege vom bestreikten Stahlwerk „Elliniki Chalywurgia“ brach die Diskussion auf die Realitäten in den griechischen Industriebetrieben runter und erzählte von den konkreten Erpressungsversuchen um Lohn und Personalabbau im Betrieb, die zur Streikaufnahme im Werk vor 4 Monaten geführt hatten. Neben Lohnforderungen steht für die Kollegen auch der Kampf gegen die Befristung ihrer Arbeitsverträge im Vordergrund.

Die Befristung von Arbeitsverträgen ist Teil der Deregulierungsstrategie der griechischen Wirtschaft durch Kapital und Staat, die zwischen 2000 und 2007 massiv forciert wurde.

Und zum deutschen Gewerkschaftskollegen gerichtet, meinte der Stahlwerker hinsichtlich der deutschen Diskussion zum politischen Streik wörtlich:

Was ist denn Euer Problem (in Deutschland damit, G.D.), dass der politische Streik (wie zum Beispiel der unsrige im Stahlwerk, G.D.) nicht reguliert (d.h. politisch geregelt) ist?“

Tosender Applaus im Saal und eine direkte Querseite gegen Dierk Hierschel, der in seinem Eingangsstatement zum unterschiedlichen Umgang der nationalen europäischen Gewerkschaften mit der aktuellen Krise des Kapitals tatsächlich auf die „Ungleichzeitigkeit der Krise“ und damit auf die „Ungleichzeitigkeit der Kämpfe“ verwies…(womit er wohl den Umstand beschönigen und verschleiern wollte, dass eine eigene kritisch-politische Positionierung der offiziellen deutschen Gewerkschaften zum deutsch-französischen „Krisenmanagement“ – nach Ruhigstellung durch Kurzarbeiterregelung und massiver Entlassung von Leiharbeitern in Deutschland – faktisch nicht stattgefunden hat, G.D.)…und diesen Verweis weiter mit der „unterschiedlichen Tradition der gewerkschaftlichen Konfliktlösung“ zu legitimieren suchte (…eine nette Umschreibung für den reformistisch-sozialpartnerschaftlich orientierten Grundcharakter der offiziellen deutschen Gewerkschaften, G.D.).

Wie weit entfernt die deutschen Gewerkschaften von einer eigenständigen Politik gegenüber den nationalen und internationalen Exzessen des Kapitals in diesem zugespitzten Krisenstadium des Imperialismus sind, zeigen Hierschels Perspektiven zum weiteren „Kampf“ der deutschen Gewerkschaften etwa in Hinsicht auf den auch im deutschen Parlament zu ratifizierenden europäischen Fiskalpakt : „Da es keine Mehrheitsverhältnisse im Parlament gegen den Fiskalpakt gibt, müssen wir ihn in den Tarifrunden zum Thema machen“… .

Nicht nur, daß der „Chefökonom“ der offiziellen deutschen Gewerkschaft, anscheinend nicht weiß, warum es bei dem EU-Konstrukt <Fiskalpakt> geht, so bleibt selbst, wenn man sich in die reformistische Denkweise der deutschen Gewerkschaften hineinversetzte unklar, wie dieser neuerliche Knebelpakt für die europäische Arbeiterklasse in nationalen Tarifrunden thematisiert werden könnte.

Dem können die europäische Arbeiterklasse und ihre nationalen Abteilungen nur das Abschlusswort des Kollegen aus dem griechischen Stahlwerk „Elliniki Chalywurgia“ entgegenhalten:

 

Laßt ganz Europa zu einem griechischen Stahlwerk werden…“