Proteste gegen Erdogan: „Man kann ja doch nichts machen“ – wirklich nicht?

Proteste gegen Erdogan und die Verleihung des "Steiger-Award"

Der libysche Diktator al-Gaddafi hatte den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan schon mit einem Ehrenpreis behängt – da wollte der Initiator des „Steiger-Awards“ natürlich nicht nachstehen. Das ist Sascha Heller, der Inhaber der „Heller Medien Projekte GmbH“. Die „Steiger-Awards“ werden seit 2005 an Personen verliehen, die sich auf verschiedenen Gebieten „verdient“ gemacht haben, z.B. im Sport, in der Musik, dem Umweltschutz, aber auch um Europa, auf dem Gebiet der Toleranz, der Integration… Als Begründung für den Namen müssen die Steiger aus dem Bergbau herhalten, ihnen werden die Tugenden Geradlinigkeit, Offenheit, Menschlichkeit und Toleranz nachgesagt.Unterstützer und Sponsoren sind u.a. die Sparkasse Bochum, die Stadtwerke Bochum, ein Nobel-Hotel in Dortmund… Da wundert es nicht, dass in den ersten zwei Jahren die Vergabe in entsprechender Umgebung stattfand: in der Spielbank Hohenlimburg. Danach zog man es vor, in die Bochumer Jahrhunderthalle umzuziehen. Geladen sind gewöhnlich etwa 500 gutbetuchte Gäste, der Eintritt beträgt 500 Euro.

Preisträger der vergangenen Jahre waren z.B. für „Charity“ (Wohlfahrt) so illustre Gestalten wie Farah Diba , Claudia Cardinale und Cherrie Blair, die Frau von Toni Blair; aber auch Leute wie Genscher, Stoiber, Shimon Perez (Israel) und Hamid Karsay (Afghanistan) wurden geehrt. In dieses illustre Feld passt Erdogan zweifellos hinein – doch seine Zuordnung in die Kategorien Toleranz und Integration ist ein Hohn.

Als er als vorgesehener Preisträger für 2012 bekannt wurde, gab es zahlreiche Proteste. Der Deutsche Journalistenverband kritisierte die Auszeichnung mit Hinweis auf die in der Türkei eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit – ähnlich äußerten sich auch die „Reporter ohne Grenzen“. Mehmet Tanriverdi, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrationsverbände in Deutschland, wies in einem offenen Brief , der u.a. auch vom Zentralrat der Armenier und von der Kurdischen Gemeinde Deutschlands unterzeichnet wurde, darauf hin, dass Erdogan sich massiv gegen die Integration der Türken in Deutschland einsetze. Der Kölner Journalist Ralph Giordano schrieb in einem Brief an Gerhard Schröder, der die Rede zur Ehrung Erdogans in Bochum halten sollte, und erinnerte an Aussagen Erdogans zu seinen Landsleuten in Deutschland wie „Ich bin auch Euer Präsident“ – „Lernt Deutsch, aber bleibt, wer ihr seid!“- „Bildet einen Staat im Staat, aber nennt es nicht so.“

Erdogan leugnet auch nach fast 100 Jahren immer noch den Völkermord an den Armeniern. Er war nun ausersehen als würdiger „Steiger-Award-Empfänger“ für „Toleranz, Menschlichkeit und das Zusammenwachsen Europas“ – das war sogar Teilen der CSU zuviel.

Bochum: Proteste gegen Erdogan

In Bochum selbst gab es vor dem Termin der Verleihung sieben gleichzeitig stattfindende eindrucksvolle Protestdemonstrationen, organisiert vor allem von Angehörigen der in der Türkei unterdrückten nationalen und religiösen Minderheiten und politischen Oppositionsgruppen – die Zahlen über die Teilnehmer schwanken zwischen 20.000 und 25.000. Unter ihnen natürlich viele Kurden, Armenier, Aleviten. Sie forderten die Aberkennung des Preises.

In unseren Gesprächen hören wir von unseren Gesprächspartner häufig: „Da kann man ja doch nichts machen – die da oben tun ja doch, was sie wollen.“ Bei so manchem ist das sicherlich nur eine Ausrede, um sich selber aus der Verantwortung zu stehlen; doch bei vielen ist es auch verständliche Resignation und Hilflosigkeit. Die Proteste gegen die Auszeichnung von Erdogan sind da ein gutes Gegenbeispiel: Dem großen Kämpfer für Toleranz, Menschlichkeit und Europa-Zusammenwachsen fuhren sie so in die Knochen, dass er seine schon zugesagte Preis-Abstaub-Reise nach Bochum absagte; und auch die Veranstalter wollen ihm den Preis nun nicht mehr nachwerfen, da er ihn ja nicht in Empfang nehmen wollte.

„Na also, geht doch!“ können wir da nur sagen. Und das ist erfreulicherweise kein Einzelbeispiel dafür, dass der „kleine Mann“ doch etwas erreichen kann (die „kleine Frau“ natürlich auch!) So wurde vor drei Jahren erfolgreich der Nazi-Aufmarsch in Dresden verhindert – nicht von der Polizei oder anderen Staatsorganen, sondern von der Bevölkerung; so wurde der Duisburger Oberbürgermeister Sauerland aus dem Amt gesäu(b)ert. Das sind nur zwei Beispiele aus der letzten Zeit, es gibt noch mehr, auch in der Vergangenheit. Das sollte uns für die Zukunft Mut machen! Es rettet uns kein höheres Wesen…