Ägypten: Morsi wurde mit der Komplizenschaft der Armee gewählt

Mohammed Morsi, der Kandidat der „Partei für Gerechtigkeit und Freiheit“, hervorgegangen aus der Moslembruderschaft, wurde zum Präsidenten der Republik Ägypten gewählt. Er hat den Kandidaten der Armee und vorherigen Premierminister Mubaraks, Ahmed Chafik, knapp geschlagen. Eher als eine Anhängerschaft an die islamistische Partei wollten die Ägypter – nur 35% der Bevölkerung haben gewählt – das Ende der Diktatur einer verachteten Armee, eines wahrhaftigen Staates im Staate, deren Führer finanzielle, wirtschaftliche, soziale und politische Privilegien genießen und eine von der Bevölkerung abgesonderte Kaste bilden. Diese besitzt in der Tat ihre eigenen industriellen und agrarischen Komplexe, ihre Sportvereine und ihre Villen in Vierteln, die nur ihr vorbehalten ist.

Diese Wahl spielte sich ohne die Teilnahme der Empörten, der im Aufruf Begriffenen, der Revolutionäre ab, die seit eineinhalb Jahren für ihre Forderung nach Freiheit und Fortschritt namentlich auf den Tahrir-Platz, der zum Symbol wurde, demonstrieren. Man kann sogar behaupten, dass diese Wahl gegen die Volksbewegung stattfand und zwar durch ein Arrangement, das auf den Kräfteverhältnissen zwischen den zwei konservativen Strömungen beim 2. Wahlkampf basiert.

Zuerst hat die Armee, die sich ihrer Unpopularität bewusst ist, den Anschein erweckt, den demokratischen Übergang zu akzeptieren und hat die Parlamentswahl organisiert, die den Moslembrüdern eine Mehrheit brachte, während sie gleichzeitig die Unterdrückung der Volksbewegung weiter betrieb.

Dann war sie schlau genug, Mubarak anlässlich seines Prozesses zu opfern, um ihre eigenen Privilegien und ihre Macht besser zu erhalten. Aber das reicht nicht, um sich den sozialen Frieden zu erkaufen, denn in diesen Prozess waren alle Repräsentanten der Staatssicherheit verwickelt, was einen Aufschwung der Mobilisierung bewirkte.

Angesichts der andauernden Revolte des Volks und weil der Wahltermin näher rückte und Morsi im ersten Wahlgang siegte, entschloss sich die Armee, die Muskeln zu zeigen und organisierte einen „verdeckten Staatsstreich“. Das Oberste Verfassungsgericht, das aus Richtern besteht, die vom alten Regime ernannt wurden, der juristische Arm des Obersten Militärrats, verletzt die Prinzipien, die es versprochen hatte einzuhalten:

  • es anerkennt die Kandidatur Chafiks, obwohl das Gesetz es den ehemaligen Ministern verbietet, sich zur Wahl zu stellen;

  • es erklärt die Parlamentswahl vom Januar 2012 für ungültig und stoppt den demokratischen Prozess. Es gibt bekannt, dass es selbst die Ausarbeitung einer neuen Verfassung überwacht.

Aber es hält an der Präsidentschaftswahl fest und scheint den Moslembrüdern sagen zu wollen: „schaut, zu was ich fähig bin!“

Dieser Handstreich hat in der Bevölkerung keine Reaktionen hervorgerufen, weil die neue Mehrheit keine Eile gezeigt hat, die Forderungen der Volksbewegung zu befriedigen. Aber noch seltsamer ist, dass die Moslembrüder diese Maßnahmen gebilligt haben, die doch gegen sie gerichtet waren. So, wie es jener Demonstrant auf sein Transparent schrieb: „das ist ein Staatsstreich des Militärs mit der Komplizenschaft der Moslembrüder“.

Tatsächlich hat Morsi seine Wahlkampagne fortgeführt, als ob nichts gewesen sei. Diese Komplizenschaft, stillschweigend oder ausgehandelt, erklärt die hohe Wahlenthaltung beim zweiten Wahlgang.

Morsi, jetzt Präsident, versucht eine Regierung zu bilden, obwohl es noch keine Verfassung gibt und es keine Abgeordneten gibt. Eine ubueske („König Ubu“ – ein groteskes Theaterstück, in dem ein Gewaltherrscher karikiert wird.) Situation, die allen Manipulationen und Abenteuern Vorschub leistet und der am besten organisierten Kraft, der Armee, welche die Fäden zieht, dient.

Die Präsidentschaftswahl hat nichts geklärt, weder hinsichtlich der Aufteilung der Posten und der Stellung der reaktionären Parteien untereinander noch hinsichtlich der demokratischen, wirtschaftlichen und sozialen Forderungen der Volksbewegung. Eine Demonstrantin, die sich als revolutionäre Sozialistin vorstellte, schrieb: „Ich bin erleichtert, dass nicht Chafik gewonnen hat, denn mit ihm hätte man die Diktatur zurückbekommen, aber Morsi, das bedeutet die Moslembrüder, ihre Intoleranz, ihre Scheinheiligkeit und ihre Lügen. Sie brachten ihre Zeit damit zu, uns zu verraten, um sich mit der Armee zu verständigen. Und jetzt stellen sie sich als Wächter der Revolution dar!“

 

aus „La Forge“, Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs (PCOF), Ausgabe 07/2012