Korrespondenz: Ermordung von Zwangsarbeitern

Die Rasseideologie der Nazis - eine Bedrohung für alleEuer Artikel in der AZ 3/2012 über die Ausstellung in Dortmund „Zwangsarbeit – die Deutschen, die Zwangsarbeiter und er Krieg“ hat mich an ein schreckliches Ereignis in meiner Kindheit erinnert, das ich erst viel später begriffen habe.

Im Sommer 1943 sind in einer Nacht von Sonntag zu Montag einige Zwangsarbeiter in unserem kleinen Dorf Aweyden in Ostpreussen verschwunden. Man sagte, sie seien durch den Wald nach Polen gelaufen – bis zur südlich von Aweyden liegenden polnischen Grenze waren es nur etwas mehr als zwanzig Kilometer. Zwangsarbeiter gab es in unserer Umgebung viele, zum Beispiel auf den Bauernhöfen, wo sie – oft unter menschenunwürdigen Bedingungen – gezwungen wurden, die deutschen Arbeitskräfte zu ersetzen, die von den Nazis und deren Auftraggebern auf die Schlachtfelder geschickt wurden. (Anmerkung der AZ-Red.: einen harmlosen Eindruck davon vermittelt die dem Katalog der Zwangsarbeiter-Ausstellung entnommene Abbildung.)

Ich war damals sieben Jahre alt und Schülerin im 2. Schuljahr. Unser Dorf hatte zwei Hauptstraßen, die beide um einen großen Dorfteich herum zur Schule und zur Kirche führten. Meine Mutter hat mich täglich zur Schule begleitet, wir nahmen natürlich den kürzeren der beiden möglichen Wege. Doch als sie mit mir an diesem Montag auf dem gewohnten Weg zur Schule gehen wollte, wurde uns der kürzere Weg, der an der Metzgerei vorbei führte, von der Polizei verwehrt. Eine Reihe von Dorfbewohnern stand dort auch und wir wurden ohne weitere Begründung angewiesen, den großen Umweg zu machen, um zur Schule zu gelangen. Über die Gründe hat man aber weder im Dorf noch in der Schule gesprochen.

Die Nazi-Polizei hatte die flüchtenden, angeblich nach Polen entlaufenen Zwangsarbeiter noch in derselben Nacht mit Hilfe von Hunden gehetzt und wieder eingefangen und ins Dorf zurück zur Metzgerei gebracht. Sie wurden zunächst im Schlachthof eingesperrt und am frühen Morgen ermordet. Ihre Leichen wurden – zur Abschreckung für die anderen Zwangsarbeiter – an den Haken vor der Metzgerei aufgehenkt, an denen sonst die geschlachteten Schweine hingen. Ich habe davon erst viele Jahre später erfahren, denn darüber hat man geschwiegen, keiner hatte etwas gesehen, keiner hatte etwas gehört.

C. aus Dortmund