Weiterer Zwischenbericht vom Envio-Skandal Dortmund

Untersuchungsergebnisse der TH Aachen beweisen die PCB-Belastung der Beschäftigten

„…zum Beispiel die erhöhten Leberwerte, die lassen sich mit höchst ungesundem Lebensumständen der untersuchten Personen erklären, lassen sich plausibel und ganz einfach erklären, aber keinesfalls durch PCB.“ So der wortführende Anwalt Neuhaus des Hauptangeklagten Neupert bei der Verfahrenseröffnung am 9. Mai vorigen Jahres. Er führte dann weiter aus, dass es keinen gesicherten Nachweis und nicht einmal eine statistische Erhöhung gäbe (für PCB).

Nun gestehen wir Herrn Neuhaus natürlich das Recht zu, wissenschaftlich zweifelsfreie Erkenntnisse über die Wirkungen der zum „Dreckigen Dutzend“ gezählten – den 12 giftigsten Stoffen – zu fordern. Nur sollte er den Ansprüchen, die er an andere stellt, auch selber entsprechen. Für die oben gemachte Unterstellung angeblicher ungesunder Lebensumstände – eine Aussage, die wohl von jedem Medium in Deutschland zitiert wurde und die für große Empörung sorgte – haben seit Prozessbeginn weder Herr Neuhaus noch seine Verteidiger-Kollegen und -Kolleginnen einen Beweis erbracht. Im Gegenteil – jemand, der hierüber wissenschaftlich fundierte Aussagen machen kann, sollte von der Verteidigung unbedingt daran gehindert werden, seine Untersuchungsergebnisse dem Gericht vorzulegen: Prof. Krauss von der Technischen Hochschule Aachen, der seit langem im Auftrag der Stadt Dortmund und der Bezirksregierung Arnsberg zahlreiche PCB-Geschädigte der Firma Envio und ihrer Umgebung medizinisch „begleitet“.

Doch gegen diesen Sachverständigen führte die Verteidigung einen monatelangen Ablehnungskampf wegen angeblicher Befangenheit, den Mann – hätten ihn Frauen geführt – als „Zickenkrieg“ bezeichnet hätte. Sie hatte hierbei insofern Erfolg, als es ihr gelang, Aussagen von Prof. Krauss monatelang zu verschleppen, und sie erreichte außerdem, dass er nur als „Sachverständiger Zeuge“ aussagen durfte. Der Richter erklärte diesen Begriff sinngemäss so: „Einen Sachverständigen kann man austauschen, einen Zeugen nicht.“

Am 19. Januar durfte der „sachverständige Zeuge“ dann endlich aussagen, allerdings nur als Zeuge; d.h., er durfte für eine Reihe seiner Patienten die auf den Personalbögen eingetragenen Ergebnisse vorlesen, aber ihre Bedeutung nicht erklären. Jedes etwa 14jährige Schulkind hätte das auch gekonnt, es wäre vielleicht bei dem ein oder anderen Fachbegriff mal ins Stocken gekommen, aber es hätte den „Zeugen“ ersetzen können…

Der „Zickenkrieg“ ging übrigens auch an diesem Termin weiter. Prof. Krauss bat das Gericht, ihm seine Unterlagen auszuhändigen, damit er die Ergebnisse vortragen könne. Darob war das Gericht sehr erstaunt, es war der Ansicht, Prof. Krauss seien die Unterlagen zurückgegeben worden. Der Staatsanwalt erklärte sich bereit, seine Unterlagen-Kopien zur Verfügung zu stellen – das rief den Protest der Verteidigung hervor, denn der Staatsanwalt hat da bestimmt Sachen unterstrichen oder etwas an den Rand geschrieben – das beeinflusst doch dann die Meinung des Zeugen. Dem Einspruch wurde – wen überrascht es ? – stattgegeben. Und dann fanden sich – welch Wunder – die Unterlagen tatsächlich in den Räumen des Landgerichts wieder und es gab keine Gründe für weitere Verzögerungen mehr. Jetzt geht’s lo-hos!

Es kamen nun die Untersuchungsergebnisse von etwa 12 Patienten zur Sprache und, obwohl sie Prof. Krauss nicht deuten durfte, waren sie für den Zuhörer letztlich eindeutig und unseren Lesern hat das Gericht kein Denkverbot auferlegt.

Eins vorweg: der angebliche „höchst ungesunde Lebensstil“ bestand ausschließlich im Verbrauch von 10 (bei einem Untersuchten 20) Zigaretten pro Tag – das haut natürlich auf Leber, Niere, Schilddrüse usw…

Von den zahlreichen vorgetragenen Fakten nennen wir nur einige: Hautschäden, Schweißausbrüche, Reizbarkeit, niedrige Testosteron-Werte (Sexual-Hormon) – alles Erscheinungen, die auch andere Ursachen als PCB haben können. Es gab aber auch anderes: etwa die Hälfte der Untersuchten berichtete über rauschähnliche Schwindelgefühle, die an den Wochenenden und im Urlaub nicht auftraten (Halt! Denkverbot!).

Zunächst falsche Hoffnungen in Bezug auf die Gesundheit der Betroffenen erweckten bei den Zuhörern die bei jedem der besprochenen Patienten erstaunlich niedrigen Blutwerte für die untersuchten PCB-Verbindungen – sie lagen im „unbedenklichen Bereich“ weit unter den gesetzlich festgelegten Schwellenwerten und man musste als Zuhörer befürchten, dass sich hier ein Schlupfloch für Neupert und die drei anderen Angeklagten auftat; diese falsche Hoffnung bzw. Befürchtung wurde noch verstärkt dadurch, dass die neueren Messergebnisse deutlich unter den älteren lagen.

Doch leider bedeutet das nicht, dass die Giftstoffe abgebaut oder ausgeschieden worden sind. Alle Verbindungen der PCB-Gruppe – man unterscheidet heute mindestens 209 verschiedene – sind künstlich hergestellt, d. h. es gibt so gut wie keine Organismen, die sie für ihren Stoff- oder Energiebedarf wieder abbauen. Alle PCB-Verbindungen sind in Wasser unlöslich, lösen sich aber in Fetten. Wenn nun im Blut der in Aachen untersuchten Patienten eine niedrigere PCB-Belastung festgestellt wird als früher, so liegt das daran, dass diese Verbindungen aus dem Blut in die Fettgewebe des Körpers eingedrungen sind und somit im Blut nicht mehr nachgewiesen werden können. In den Fettgeweben und Organen wie Leber, Niere und Schilddrüse reichern sie sich immer mehr an. Bei ihrem sehr langsamen Zerfall bzw. Abbau entstehen noch unzureichend bekannte Abbauprodukte, die allesamt schädlich sind, über deren genaue Schädlichkeit und den Zeitpunkt des Schadens man aber noch so gut wie nichts weiß. Das heißt, dass es aufgrund der niedrigen PCB-Werte im Blut für die Geschädigten leider keine Entwarnung geben kann.

Warum wurden die Untersuchungen dann am Blut durchgeführt? Nun, natürlich wären Untersuchungen an den Körperorganen besser, doch das geht verständlicherweise nicht so einfach. Den Patienten wurden bei den jeweiligen Untersuchungen 20, ja 27 verschiedene Blutproben entnommen – es leuchtet wohl jedem ein, dass man aus beispielsweise der Leber nicht einfach ein paar Stücke herausschneiden kann.

Aber etwas anderes ist nun klar bewiesen: die heute im Blut der ehemaligen Envio-Beschäftigten und der in der Nähe des Betriebes lebenden Menschen festgestellte niedrige PCB-Belastung ist nur zum geringen Teil auf Envio zurückzuführen, denn der Betrieb ist erfreulicherweise 2010 dicht gemacht worden. Von seinem hochgradig kontaminierten Gelände geht allerdings immer noch eine Gefahr aus, doch das meiste heute im Blut der Untersuchten gefundene PCB stammt aus denselben Quellen, aus denen jeder Mensch heute belastet wird. Die Tatsache, dass zu Beginn der Aachener Untersuchungen die Werte deutlich höher lagen als heute, beweist also eindeutig, dass das „frühere“ PCB aus einer anderen, besonderen Quelle kam als aus der heutigen für alle gleichen Umweltbelastung. Mit der Schließung von Envio hat sich für die damals dort Beschäftigten und für die Anwohner etwas entscheidend geändert – und prompt sinkt die PCB-Belastung ihres Blutes… Damit ist unseres Erachtens die Beweiskette gegen Dirk Neupert und Mittäter geschlossen. Die „höchst ungesunden Lebensumstände“ der ehemaligen Envio-Beschäftigten und der Anwohner sind bestätigt und deswegen sitzt Neupert dort, wo er hingehört: auf der Anklagebank.