Korrespondenz: Großdeutsche Doppelmoral

Der Pressedienst „Eurotopics“ meldete am 30. Mai: „Nach Angaben der Hamburger Sozialbehörde vom Dienstag sind mehrere hundert afrikanische Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, weil die Behörden in Italien sie mit 500 Euro und Papieren ausgestattet hätten. Italien bestreitet diesen kausalen Zusammenhang, doch die Boulevardzeitung Bild ist empört:  ‚Das ist dreist! Italienische Behörden schließen ihre Flüchtlingslager und sagen den Asylbewerbern: Seht selber, wie ihr weiterkommt! (…) Italien widersetzt sich seiner Pflicht, Flüchtlinge menschenwürdig zu behandeln. Und sie nicht wie eine unerwünschte Ware ins nächste Land zu schicken. Italien will es billig. 500 Euro drückt es den Unerwünschten in die Hand. Und schiebt den andern alle Lasten zu. In Deutschland hungern Italiens Asylbewerber auf den Straßen. (…) Der deutsche Steuerzahler wird schon für sie sorgen. Er tut es, weil hierzulande Menschenwürde zählt. (…) Deutschland ist nicht der Verschiebebahnhof für das Staatsversagen anderer Länder. Die Menschenwürde ist ein Fundament, auf dem Europa ruht. Ein Land, das die Ärmsten wie Treibgut auf die Reise schickt, handelt würdelos.’“
Soweit also „Bild“. Nun dürfte dem Leser aufgefallen sein, dass sich diese „Zeitung“ selbst in Widersprüche verstrickt, wenn sie schreibt, dass „hierzulande Menschenwürde zählt“ und gleichzeitig anprangert: „In Deutschland hungern Italiens Asylbewerber auf den Straßen“; doch um dies zu bemerken, muss man als „Bild“-Schreiberling sicherlich überqualifiziert sein.
„Ein Land, das die Ärmsten wie Treibgut auf die Reise schickt, handelt würdelos“, schreibt die „Bild“, und hier muss man ihr ausnahmsweise einmal recht geben. Wenn sie diese Linie allerdings gegenüber allen Ländern gleichermaßen konsequent anwenden würde (was sie als Volksverdummungs- und -verhetzungsinstrument der deutschen Bourgeois natürlich niemals tun wird), hätte sie (wie es etwa die „junge Welt“ vom 30. Mai tat) auch dies melden müssen: „Eisenhüttenstadt. Einen Tag vor seiner geplanten Abschiebung hat sich ein Flüchtling aus dem Tschad am Dienstag im Brandenburger Erstaufnahmelager für Asylbewerber in Eisenhüttenstadt erhängt. Dies teilte die Berliner Initiative ’Für eine linke Strömung (FELS)’ in einer am Mittwoch verbreiteten Erklärung mit. Für den gestrigen Mittwoch sei die Abschiebung des Mannes nach Italien im Rahmen der sogenannten Dublin-II-Verordnung geplant gewesen. Diese sieht vor, dass Deutschland Flüchtlinge ohne Prüfung ihres Asylantrages in den ersten EU-Mitgliedsstaat abschieben kann, den sie betreten haben. Von dort aus drohen weitere Abschiebungen. Durch die Dublin-II-Verordnung wurde die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl durch den deutschen Bundestag vor fast genau 20 Jahren auf EU-Ebene institutionalisiert.“
Wie besagte schon ein altes chinesisches Sprichwort: „Der Stein, den sie erhoben haben, fällt auf ihre eigenen Füße“. Man wird hoffen dürfen, dass irgendwann einmal nicht bloß ein Stein, sondern ein Fels herabfallen wird, der die „Bild“ und ihre Hintermänner zermalmt.

CR