Leserbrief zum Thema Atomkraft und Energiewende

Leserbrief zum Thema Atomkraft und Energiewende

Werte Genossen,
vielen Dank für die Zusendung aktueller AZ-Ausgaben!

Zum letzten Artikel (S.16):
Hier verstehe ich nicht, warum definitiv *linke *Organisationen als „sogenannte „linke“ Organisationen“ bezeichnet werden. Außerdem: Ich persönlich halte Umweltpolitik nicht für einen obligatorischen Schwerpunkt von Arbeiterparteien.
Die Energiewende ist mit Preiserhöhungen und anderen volksfeindlichen Ergebnissen verbunden. Atomkraft ist nicht per se negativ! Auch im Sozialismus wurde sich der Atomenergie sinnvoll bemächtigt. Erneuerbare Energieträger sind z. T. nicht weniger problematisch (Silicium in Solaranlagen…).
Rote Grüße
AdR.

 

Vollständiger Leserbrief unter: http://www.arbeit-zukunft.de/index.php?itemid=1993

 

Zum Leserbrief des Genossen AdR:

 

Lieber Genosse,

Du schriebst in Deinem Leserbrief unter Anderem: „…Ich persönlich halte Umweltpolitik nicht für einen obligatorischen Schwerpunkt von Arbeiterparteien…“

Ich schon. Karl Marx erwähnte bereits im „Kapital“, dass im Kapitalismus nicht nur die „Ressource“ Arbeitskraft zur Erzielung von Profit ausgebeutet wird, sondern auch die natürlichen Ressourcen. Das betrifft z.B. die Auslaugung der Böden durch intensive Landwirtschaft, die Verwüstung ganzer Landstriche durch Abbau von Bodenschätzen im Tagebau (da war z.B. auch die DDR beim Abbau von Braunkohle in Sachsen und Sachsen-Anhalt recht aktiv), auch die Kontaminierung der Umgegend durch den Abbau von Uranerz usw…

Luftverschmutzung, Wasserknappheit, Bodenerosion, Klimakatastrophe – überall sehen wir das blinde Wüten des Kapitals. Und von all diesen katastrophalen Zuständen soll die Arbeiterklasse nicht betroffen sein bzw. das soll eine Arbeiterorganisation nicht zum Schwerpunkt – natürlich nicht zum Einzigen – machen?

Der Kampf der Bevölkerung gegen Atomkraftwerke hat in der Bundesrepublik schon eine lange Tradition. Er begann mit dem Bürgerprotest gegen das 1975 begonnene AKW Wyhl, das schließlich am Widerstand der Bürgerinitiativen und -proteste scheiterte. Danach kamen Brokdorf, Grohnde, Kalkar am Niederrhein (schneller Brüter), die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf, das Atommüll-Endlager Gorleben; es gibt praktisch keinen Standort für die „friedliche“ Nutzung von Kernenergie, gegen den nicht protestiert wurde und wird. Da muss man sich schon fragen: ist das Volk so fortschrittsfeindlich?

Denn es sind tatsächlich nicht nur Naturschützer und Öko-Freaks, die gegen die AKWs kämpfen, sondern ganz normale Menschen wie Du und ich, meistens von den Atomanlagen unmittelbar Betroffene, besonders auch Bauern – das heißt, Menschen aus allen Bevölkerungsschichten außer den Herrschenden und den Ihnen verpflichteten Politikern.

Zu dem Argument „Auch im Sozialismus wurde sich der Atomenergie sinnvoll bemächtigt.“: Das einzige sozialistische Land, das sich der Atomenergie bemächtigt hat, war meines Wissens die Sowjetunion. Sie tat das aber vor allem, um im „kalten Krieg“ in den Besitz der Atombombe zu kommen und damit den westlichen Atommächten entgegentreten zu können. Über die „friedliche“ Nutzung der Atomenergie in der SU ist mir zu wenig bekannt. Ich habe nur einmal in einer Broschüre des 1990 aufgelösten MS Spartakus gelesen, dass das alles in der Sowjetunion (und auch in der DDR) so reibungslos gelaufen sei. Allein mir fehlt der Glaube. Jedenfalls habe ich schon gelesen, dass im Ural ganze Gebiete wegen des Uranabbaus verstrahlt und unbewohnbar seien und in der Gegend von Tschernobyl sowieso. Das gleiche in der Ex-DDR: vom Uranabbau im Erzgebirge strahlenkranke Menschen und der Schrottreaktor von Greifswald (6 Reaktorblöcke), der 1990 abgeschaltet wurde und dessen Rückbau gerade beendet ist – das kann man übrigens alles in Wikipedia nachlesen. Von „sauberer“ Atomkraft im Sozialismus oder dem, was sich fälschlicherweise Sozialismus nannte, kann also keine Rede sein.

Die Vorstellung, dass im Sozialismus auf einmal alles gut und richtig läuft, halte ich für naiv. Der Sozialismus ist eine Gesellschaftsordnung, in der ein mächtiger Klassenkampf stattfindet. In Bezug auf die Atomkraft stelle ich mir das so vor: Selbst wenn der Staat auf die Atomkraft gesetzt hätte, müsste er spätestens dann, wenn die Risiken für die Menschen und die Umwelt offenbar werden, die Notbremse ziehen und aus der Atomkraft aussteigen. Wenn Zigtausende gegen AKWs und Castortransporte demonstrieren und die Mehrheit der Bevölkerung den Atomausstieg befürwortet, dann ist es fast schon zu spät!

Im Imperialismus läuft das natürlich anders: Wenn die AKWs bereits abgeschrieben sind und die Energiekonzerne täglich Millionen mit Atomstrom verdienen – die Unkosten bei Störfällen und für die Endlagerung trägt der Staat – dann spielen vor allem deren Profitinteressen eine Rolle. Das Interesse der Menschen an gesunden Lebensverhältnissen und intakter Umwelt müssen zurücktreten. Ein Beispiel: der Staat lässt mit tausenden schwerbewaffneten Polizisten, mit Wasserwerfern, Hubschraubern etc. die Castortransporte nach Gorleben gegen die Demonstranten verteidigen, obwohl Gorleben als Endlager für atomare Abfälle noch gar nicht feststeht.

Schließlich sollte man noch folgenden Aspekt beachten. Die sogenannte (hier ist das „sogenannte“ wirklich angebracht) friedliche Nutzung der Atomenergie ist immer auch eine Vorstufe zur militärischen Nutzung. Die in den AKWs anfallenden Spaltprodukte werden in Wiederaufbereitungsanlagen und Plutoniumfabriken zu waffenfähigem Uran und Plutonium aufbereitet. Nicht umsonst betrieben schon die Nationalsozialisten Forschung mit einem Versuchsreaktor in Haigerloch. Daraus ging dann nach dem 2. Weltkrieg des Kernforschungszentrum Karlsruhe hervor. Weitere Atomforschungszentren sind Jülich (NRW) und Garching bei München. Natürlich nutzen alle Staaten, die Atomwaffen besitzen, die Kernkraft auch „friedlich“.

Du hast recht: „sogenannte „linke“ Organisationen“ hätte ich nicht schreiben sollen. „Sogenannte“ ist falsch, weil es sich ja wirklich um Organisationen dreht, die sich als links oder sogar kommunistisch begreifen. Anführungsstriche kann man dann auch weglassen. Es muss heißen: Linke Organisationen sollten sich mehr in der Anti-AKW-Bewegung engagieren – und nicht das Feld den „Grünen“ und Öko-Freaks überlassen.

S.N.