PCB – nicht nur für Dortmund ein Problem

In Elektronikschrott, wie er bei Envio verarbeitet wurde, steckt PCB

In Elektronikschrott, wie er bei Envio verarbeitet wurde, steckt PCB


Die zum „dreckigen Dutzend“ der gefährlichsten chemischen Verbindungen zählenden PCB-Verbindungen sind nicht nur für Dortmund ein Problem. Im Zusammenhang mit dem Prozess gegen die vor Jahren stillgelegte Recycling-Firma Envio hat AZ bereits mehrfach berichtet.

Der im Mai 2012 begonnene Prozess gegen Dirk Neupert, den Haupteigner der Firma, und weitere Angeklagte war zunächst mit etwa 20 Terminen nur bis Ende August 2012 geplant und sollte eigentlich jetzt im Januar 2014 beendet werden – doch nun hängen im Landgericht Dortmund schon Prozesstermine bis Mitte 2014 aus… und läuft und läuft und läuft…

Im Jahr 2010 – dem Jahr der Envio-Schließung – wurde für die bei Envio Beschäftigten (vor allem Leiharbeiter) ein dreijähriges Betreuungsprogramm begonnen, mit dem die Beschäftigten „medizinisch begleitet“ wurden. Finanziert wurde es von der Berufsgenossenschaft. Die zahlte jedoch nicht für Familienangehörige, auch nicht für in der Umgebung von Envio lebende oder arbeitende Menschen. Die „Begleitung“ schloss nur Untersuchungen ein, aber keine Behandlung. Allerdings erhielten die Envio-Opfer von Prof. Kraus (TU Aachen) durchaus auch psychologische Betreuung. Das eigentlich schon beendete Programm wurde jetzt erfreulicherweise für weitere drei Jahre verlängert – unerfreulich ist der Anlass: die deutliche Zunahme von Schilddrüsen-, Haut- und anderen Schäden bei den Betroffenen.

Inzwischen bereitet man sich in Dortmund auch darauf vor, die auf dem Envio-Gelände noch lagernden Materialien „für die Insolvenz-Kasse“ zu vermarkten. Dazu wird es demnächst zu den gesetzlich vorgeschriebenen öffentlichen Ausschreibungen kommen. Allerdings gibt es einige Probleme – wir nennen nur eins: Auf dem Gelände sollen Transformatoren sein mit einem Eigengewicht von 50 Tonnen und mehr – die Kräne, die diese Ungetüme bewegen sollen, wiegen selber aber nur etwa 20 Tonnen. Aber was soll’s? „Dem Ingeniör ist nichts zu schwör!“

PCB wurde nicht nur für Transformatoren verwendet, sondern vor rund vierzig Jahren auch in der Bauindustrie eingesetzt. Wenn wir die Zahl richtig in Erinnerung haben, hat das Land NRW zu Beginn dieses Jahres etwa 5600 öffentliche Gebäude, die in dieser Zeit errichtet wurden, auf ihre heutigen PCB-Ausdünstungen untersuchen lassen und ist bei mehreren tausend „fündig“ geworden.

In Dortmund betrifft das einige Schulen, in anderen Städten sicherlich auch. An der Universität Düsseldorf musste eine ganze Anzahl von Räumen geschlossen werden wegen der PCB-Belastung, etliche Beschäftigte verloren dadurch ihre Arbeit. In Duisburg gibt es als Folge der Stahlproduktion für die Kleingärtner mehrerer Stadtteile „Verzehrempfehlungen“, d.h. es wird ihnen geraten, was sie nicht verzehren sollen: z.B. kein Gemüse oder Obst, das in Bodennähe geerntet wird. In Leverkusen gibt es ähnliche Probleme – verursacht durch wen wohl? Nicht durch die Fußballspieler…

Die Universität Bochum, vor etwa 50 Jahren als architektonische Gruseltat aus dem Boden gestampft – hat ihre Mitarbeiter am 6.9.2013 durch ein Schreiben informiert, aus dem wir zitieren:

In den Gebäuden der Ruhr-Universität Bochum ist PCB in den 1960er und 1970er Jahren als Baustoff verwendet worden. PCB ist ein Gefahrstoff und durch verstärkte Raumluftmessungen und Materialproben in den Fakultätsgebäuden in den Fokus gerückt…

PCN wurde als Bauschadstoff in allen Fakultätsgebäuden (MA, N-Reihe, G-Reihe, I-Reihe, NI/NT, Bota) verbaut… In den Fakultätsgebäuden liegen die Werte in der Regel zwischen 300 ng und 3000 ng PCB/m3 Raumluft. Die PCB-Richtlinie NRW gibt für diese Räume folgendes vor:

Bei der Raumlufkonzentration zwischen 300 und 3000 ng PCB/m3 Luft ist die Quelle der Raumluftverunreinigung aufzuspüren und unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit mittelfristig zu beseitigen…“

…Zusätzlich wurden in einigen Räumen erhöhte Gehalte des dioxinähnlichen PCB-118 in der Raumluft nachgewiesen. Die Gehalte überschreiten den Wert von 10 ng/m3 Luft, bei dem von … der Obersten Landesgesundheitsbehörde expositionsmindernde Maßnahmen gefordert werden. Räume, die Werte über 3000 ng PCB/m3 Raumluft (Interventionswert) aufweisen, werden der Nutzung entzogen, bis durch geeignete Maßnahme der Interventionswert wieder unterschritten wird.

Zu den gesundheitlichen Auswirkungen von PCB kann nur wenig gesagt werden. Aus Unfällen mit hochdosiertem PCB und Tierversuchen werden mögliche dosisabhängige Effekte auf Nervensystem, Immunsystem, Hormonhaushalt, Haut, Leber, Psyche und Krebsentwicklung vermutet. Es wurde 2012 von der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft – Anm. AZ) eingestuft…

Wir zitieren in diesem Zusammenhang den Leiter des Betreuungsprogramms für die Envio-Opfer, Herrn. Prof. Kraus von der TU Aachen:

Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die in den letzten Jahren erreicht wurden und die wir auch im Betreuungsprogramm festgestellt haben, (sind) noch nicht in der nachlesbaren wissenschaftlichen Literatur zu finden, so dass einige Gutachter dann immer noch auf einem Wissensstand von 1965 oder 1970 (urteilen).“ (in einem Interview mit dem WDR)

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Die Dortmunder „Bürger-Initiative gegen den PCB-Skandal“ beabsichtigt, mit entsprechenden Gruppen in anderen Städten Kontakt aufzunehmen zwecks Erfahrungsaustausch und Zusammenarbeit.