Buchbesprechung: Von Mauerfall bis Nagelbombe – Der NSU-Anschlag auf die Kölner Keupstraße

Am 4. Juni 2004 explodierte mitten in Köln in der Keupstraße eine Nagelbombe. Zahlreiche Immigranten wurden teilweise schwer verletzt, Geschäfte und Wohnungen zerstört. Der Anschlag war Teil des NSU-Terrors.

Für die Polizei war das anders. Nur einen Tag nach Beginn der Ermittlungen, als noch nichts geklärt war, verkündete der damalige SPD-Innenminister Otto Schily, ein rechtsradikaler Hintergrund sei auszuschließen und wies die Polizei an, Ermittlungen in dieser Richtung einzustellen. Stattdessen wurden die Opfer von Anfang an gequält und zu Tätern gemacht. So durften viele Opfer nach dem Anschlag stundenlang ihre Wohnungen nicht verlassen und mussten auf ein Verhör warten. In den Verhören wurde sie nach Verbindungen zur PKK, zur Mafia, Schutzgelderpressung usw. befragt. Rasch ließ die Polizei verlauten, es handele sich um eine kriminelle Tat aus dem „Milieu“ der Opfer. So wurden Spuren verwischt, die man damals noch leicht hätte verfolgen können. Zeugenaussagen über eine Person deutscher Herkunft, die die Tasche mit der Nagelbombe deponiert hatte, wurden als „unglaubwürdig“ vom Tisch gewischt. Selbst nach dem unfreiwilligen Auffliegen der NSU und dessen enger Verbindungen zum Staatsapparat, seiner finanziellen und logistischen Förderung durch den Verfassungsschutz im November 2011, wurde beispielsweise Muhamed A., einer der Nebenkläger im NSU-Prozess, mit Verdächtigungen seitens der Ermittlungsbehörden drangsaliert. Entschuldigungen wurden nur leise vorgetragen.

Das Buch „Von Mauerfall bis Nagelbombe – Der NSU-Anschlag auf die Kölner Keupstraße im Kontext der Pogrome und Anschläge der neunziger Jahre“ behandelt all diese Fragen. Opfer des Terroranschlages und des nachfolgenden Polizeiterrors kommen ausführlich zu Wort und schildern ihre bedrückenden Erlebnisse mit dem deutschen Staatsapparat. In Beiträgen wird der Anschlag in Zusammenhang mit dem rassistischen Terror von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und der bundesdeutschen Politik analysiert, die diesen Terror als willkommenen Anlass nimmt, um das Asylrecht abzuschaffen und die Ausländergesetze zu verschärfen. Es wird deutlich, wie die gewalttätigen Nazis Hilfstruppen der bürgerlichen, rassistischen Politik sind. In Rostock-Lichtenhagen hatte die CDU-Landesregierung die Kapazität der Zentralen Aufnahmestelle nicht erhöht, sodass Flüchtlinge gezwungen waren, im Freien zu schlafen und ihre Notdurft in Büschen zu verrichten (S.27). Als die Flüchtlingsunterkunft von den Nazis in Brand gesteckt wurde, wurde die Polizei abgezogen, die Feuerwehr am Löschen gehindert. Nazis hatten freie Bahn und bekamen das Gefühl, dass sie ungestraft jedes Verbrechen begehen können. Von der Politik wurden sie als „Stimme des Volkes“ benutzt, um ihre reaktionäre, menschenfeindliche Politik durchzusetzen.

Engagierte Antifaschisten und Betroffene kommen in dem Buch zu Wort und behandeln die unterschiedlichsten Aspekte. Das Buch, das es übrigens auch auf türkisch gibt, bietet reichhaltiges Material für den, der sich grundlegender mit dem Naziterror in unserem Land und der Rolle der Politik beschäftigen will. Auch wenn wir nicht mit jedem Detail übereinstimmen, können wir dieses Buch uneingeschränkt empfehlen. Zu empfehlen ist auch die Internetseite der Initiative, die dieses Buch herausgegeben hat:

http://keupstrasse-ist-ueberall.de/ueber-uns/

„Von Mauerfall bis Nagelbombe – Der NSU-Anschlag auf die Kölner Keupstraße im Kontext der Pogrome und Anschläge der neunziger Jahre“, 128 Seiten, ISBN 978-3940878168, 10 Euro.

Ein Film über die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen „The truth lies in Rostock – Die Wahrheit liegt (lügt) in Rostock“: https://www.youtube.com/watch?v=5P21AfG6SPE