Korrespondenz: Bürgerinitiative „Gegen Billiglohn – Für Gleichbehandlung“ agiert in Thüringen gegen Sozialabbau

Könnte
man den Prophezeiungen der bürgerlichen Ideologen Glauben schenken,
dann müsste das "Wirtschaftswunder Ost" zuerst und vor
allen Dingen in Thüringen stattfinden. Denn Thüringen hat die
niedrigsten Einkommen in Deutschland. 35 % der Beschäftigten in Thüringen
erhalten Armutslöhne, die 50 % unter dem bundesweiten Durchschnittsverdienst
liegen. So wird z.B. das Lohnniveau Thüringer Facharbeiter durchschnittlich
vom westdeutschen Hilfsarbeiter übertroffen.

"Investoren kommen nur, wenn die Lohnkosten gering sind…"
so hörte man es erst vor kurzem in den Medien, als es um den Arbeits-kampf
zur Einführung der 35-Stunden-Woche im Osten ging. Argumentationsschlager
war: "…Lohnverzicht bringt den Aufschwung, bringt Arbeitsplätze…"
Nur haben die verkündeten Weisheiten leider keinen praktischen Wert,
obwohl man in Thüringen den Lohnverzicht äußerst vorbildlich
durch-gesetzt hat. Wo bleibt der Aufschwung?! Wo bleiben die Arbeitsplätze?!!!
Nichts von allem ist zu spüren. Kein Unternehmen investiert hierzu-lande
ohne staatliche Förderung.

Nichts hindert die Vertreter des Kapitals daran, ihre Gewinninteressen
auf dem Rücken der Schwächsten durchzusetzen und diese möglichst
noch zu steigern. Nicht zuletzt auch auf dem Rücken der Arbeitslosen,
wie dies zurzeit über staatliche Ebenen geschieht. Nämlich in
dem man ihnen "Fallen" stellt, um ihnen noch von dem kleinen
Arbeitslosengeld Abstriche ins "Staatssäckel" machen zu
können. Natürlich muss diese Schandtat auch gebührend als
"Leistungsmissbrauch" getarnt werden, damit sie ihr politisches
Ziel nicht verfehlt. In einem Bericht des Arbeitsamtes Gera (25.000 Arbeitslose)
wurde durch das Amtsblatt veröffentlicht, dass es im ersten Halbjahr
2003 zu Bußgeldbescheiden und Verwarnungsgeldern in einer Gesamthöhe
von rund 200.000 Euro gekommen ist, was einer Verdoppelung der Vorjahresergebnisse
entsprach. In diesem Zusammenhang muss allerdings auch gesagt werden,
dass Monate zuvor die Erwerbslosenzeitung "quer" vor Fallen
durch die Arbeitsämter warnte. Um Kosten zu senken, wurde in der
Bundesanstalt für Arbeit ein ganzes Maßnahmebündel geschnürt,
um Pflichtverletzungen Erwerbsloser zu provozieren und damit folgende
Strafen in Form von Leistungsstreichungen zu ermöglichen:

  • Provozieren von Säumniszeiten: (Leistungsentzug bei Versäumnis
    einer Infoveranstaltung)
  • Vorsicht bei Feiertagen! (vorrangige Meldetermine an "Brückentagen")
  • Sperrzeiten (eine Verdoppelung der Quote wird erwartet!)
  • Nachweis der Eigenbemühungen ("Pflichtheft" wird ausgehändigt)
  • Frauen mit kleinen Kindern (Restanspruch des ALG entfällt durch
    Zuweisung einer Trainingsmaßnahme)
  • zielzahlenorientierte Vermittlung (Qualität der Vermittlung
    rückt in den Hintergrund)

Statt Vermittlung: Verfolgung!!!

Sicherlich ließe sich diese Aufzahlung noch weiter fortsetzen,
aber wie sieht es nun für diejenigen aus, die durch diese Sparmaßnahmen
des Arbeitsamtes in eine Zwangslage gekommen sind???
Eine Zwangslage ist die Drohung mit Sperrzeit oder Sozialhilfekürzung,
aber auch allgemein eine längere Arbeitslosigkeit mit erfolgloser
Arbeitssuche, eine zunehmende Verschlechterung der finanziellen Lage,
steigende Schulden usw.
Den Menschen in Ostdeutschland, wie in Thüringen fehlt es oftmals
an Wissen, Erfahrung und Übung im Umgang mit der Ausweglosigkeit
ihrer Lebenssituationen, aus denen es vielleicht manchmal doch noch einen
besseren Ausweg gegeben hätte. In den meisten Fällen
fügt man sich dann doch der "Übermacht" des "Schicksals".
Was hindert die Unternehmer daran, die Zwangslage vieler Arbeitsloser,
die dann ihre Beschäftigten werden, Gewinn maximierend auszunutzen?
Unverhüllt gesagt, kann man vor allen Dingen im Niedriglohnbereich
von "Lohnwucher" sprechen, den der Gesetzgeber ungefähr
so beschreibt:

"Wer die Zwangslage eines anderen dadurch ausbeutet, dass er sich
oder einem Dritten für eine sonstige Leistung Vermögensvorteile,
versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen
Missverhältnis zur Leistung stehen

Von einem auffälligen Missverhältnis ist bei Löhnen die
Rede, wenn sie 33 % unter dem Tariflohn oder 29 % unter einem vergleichbaren
Tariflohn und 1/3 unter dem ortsüblichen Durchschnittslohn liegen.
Diese Bedingungen sind in Thüringen in zahlreichem Fällen erfüllt.
Um der ständig steigenden Tendenz solcher Ungerechtigkeiten wie des
"Lohnwuchers" durch eigenständiges Engagement entgegen
wirken zu können, schlossen sich im Oktober 2002 in Erfurt Betroffene
zur Bürgerinitiative "Gegen Billiglohn – Für Gleichbehandlung"
zusammen. In einem Schreiben der Initiative heißt es: "Immer
mehr Unternehmen steigern ihre Gewinne durch Arbeitsplatzabbau und mehr
Belastung der Beschäftigten, durch Billigjobs, durch Missachtung
der Rechte der ArbeitnehmerInnen. Das geht aber nur, weil diese es hinter
den Kulissen abwickeln können. Solchen Unternehmen wollen wir eine
"Goldene Nase" verleihen und öffentlich Druck entfalten,
damit die ArbeitnehmerInnen respektiert werden und ein Einkommen zum Auskommen
erhalten."

Die "Goldene Nase" bekommt das Unternehmen, das sich durch
– weniger Lohn für gleiche Arbeit; – rücksichtslosen Umgang
mit ArbeitnehmerInnen; – Missachtung von Gesetzen und Tarifverträgen;
– Billiglohnvergütung sowie Arbeitsplatzabbau bereichert. Große
Teile der Politik wollen solch unternehmerisches Verhalten fast zum Normalfall
machen. Wer sich dagegen wehrt, wird als "Bremser und Blockierer"
denunziert. Für den Modernisierer-chor sind die Erwerbslosen, ArbeitnehmerInnen
und Gewerkschaften "Bremser und Blockierer"
Die Initiative ruft in ihren Werbeprospekten dazu auf, Informationsaustausch
Über die größten Räuber der sozialen Gerechtigkeit
zu führen. Eine Jury innerhalb der Initiative wählt letztendlich
die skrupellosesten Unternehmen aus, denen dann in aller Öffentlichkeit
(möglichst unter Einbeziehung der Presse) eine "Goldene Nase"
als ironische Auszeichnung zur Krönung ihrer Schandtaten verliehen
wird. So wurde schließlich am 29.07.03 durch die Bürgerinitiative
entschieden, dass das HS Bewachungsunternehmen in Schwarza bei Suhl am
05.08.03 die "Goldene Nase" übergeben bekommen sollte.
Diese Firma überschreitet jegliches Negativniveau. Über die
Firma heißt es: Etwa 1.500 Beschäftigte werden trotz allgemeinverbindlichem
Tarifvertrag des Wach- und Sicherheitsgewerbes nicht nach Tarif bezahlt,
werden für Dumpingangebote in anderen Bundesländern missbraucht,
müssen oft 14 Stunden pro Tag arbeiten, freie Tage oder freie Wochenenden
werden selten gewährt, es gibt keine festgelegten Pausenregelungen,
es gibt keine Zahlung von Zuschlägen für Mehrarbeit, Urlaubsansprüche
werden hintergangen und Angestellten wird bei Gewerkschaftsmitgliedschaft
Kündigung angedroht. Das ist nur ein Auszug aus dem Sündenregister
dieser Firma.
Schließlich waren am Vormittag des 05.08.03 ca. 40 Demonstranten
zum Kundgebungsort nach Schwarza gekommen.

Der Betriebsleiter der Firma Hebold Sicherheitsdienste hatte es vorgezogen,
sich von der "Ehrung" der Initiative fern zu halten. Er war
vor Beginn der Aktion ins Auto gestiegen und weggefahren. So musste die
krönende Übergabe der "Goldenen Nase" vor verschlossenem
Tore erfolgen.
Aber das haben die Beteiligten nicht als Niederlage angesehen. Was kann
man von einem solchen Unternehmer schon erwarten?
Die ortsansässige Presse war zahlreich erschienen und man konnte
am Abend des 05.08.03 Thüringen weit im Regionalfernsehen, MDR Thüringen,
gegen 19.30 Uhr im "Thüringen Journal" eine kurze Berichterstattung
zur Kenntnis nehmen, allerdings mit abwertendem Tenor!!!
Nicht zuletzt waren auch Einwohner von Schwarza zu der Aktion gekommen
und unterstützten diese interessiert. Auch sie waren der Meinung,
dass es in der Firma HS Sicherheitsdienste sehr ungerecht und widerspruchsvoll
zugehe. Ihnen war zu Ohren
gekommen, dass der Betriebsleiter seine Beschäftigten für 4
Euro pro Stunde arbeiten lässt und sich selbst den Luxus leistet,
im Helikopter nach Rostock zum Fußballspiel zu fliegen.

Die Bürgerinitiative betonte nicht zuletzt auch in ihrer Presseinformation,
dass die Aktionen keinesfalls mit Personifizierung verbunden sind.
"Unser Anliegen ist es, die Beachtung der Menschenwürde durchzusetzen
und nicht zuzulassen, dass Menschen trotz Arbeit in Armut leben müssen
sowie in der Wahrnehmung ihrer Rechte behindert werden!"
Mit diesem Hintergrund werteten die Initiatoren die Aktion als positive
Erfahrung, die Auftrieb für weitere Aktionen gegeben hat. Die nächste
Übergabe der "Goldenen Nase" soll noch vor Ende des Jahres
stattfinden.