Kündigungen bei ROTO in Stuttgart: Legale Erpressung im Arbeitsgericht

ROTO-Kolleg/innen protestieren gegen ihre Entlassung.

Am Freitag, dem 22.10.15 gab es im Arbeitsgericht Stuttgart gleich drei Verhandlungen, weil entlassene Kolleg/innen (von 29 insgesamt, wir berichteten) auf Wiedereinstellung geklagt hatten. Ein Ort, an dem eigentlich Gerechtigkeit walten sollte, entpuppte sich als Bazar, wo über den Kaufpreis der Gerechtigkeit gefeilscht und gestritten wurde.
Die Vorgeschichte dieses Tages ist komplex. Wir wollen an dieser Stelle nicht unsere gesamte Berichterstattung wiederholen, sondern den Verlauf und die Ergebnisse bewerten. Denn es handelt sich auch um ein Lehrstück des aktuellen Standes der Arbeiterbewegung.
Immerhin hatte der Betriebsrat allen 29 Kündigungen widersprochen. Das ist anständig und schon etwas mehr, als manche andere Betriebsräte heute tun, die an Kündigungen „mitwirken“, Entlassungspläne in trauter Gemeinsamkeit mit dem Unternehmen aufstellen und die Kolleg/innen als Co-Manager von der „Notwendigkeit“ überzeugen.
Mehr jedoch konnte oder wollte der Betriebsrat bis auf Einzelne nicht tun. Angst scheint heute ein großes Hindernis für jeden Kampf. Man hat Angst, „dem Unternehmen zu schaden“. Man hofft, dass dafür an allen anderen der Kelch der Entlassung vorübergeht. In der Belegschaft gab es Solidarität, aber nicht ausreichend. Auch hier Angst! Angst vor der eigenen Entlassung, Angst vor einem harten Kampf und einer möglichen Niederlage. Denn dass es hart werden würde und nur so etwas zu erreichen gewesen wäre, war von vorn herein klar.
ROTO hatte geschickt agiert, indem es vor allem Frauen und Älteren kündigte. Da hoffte man, dass einige geräuschlos mit etwas Abfindung gehen und die übrigen nicht lange durchhalten können.
Widerstand entwickelte sich erst, als von einigen Betroffenen, einzelnen Betriebsräten und gewerkschaftlich Aktiven auch aus anderen Stuttgarter Betrieben ein Solidaritätskomitee gebildet wurde. Hier sammelten sich vor allem Kolleginnen, die nicht einfach kampflos aufgeben wollten.
Die IG Metall war bereit, vor dem Betrieb Flugblätter zu verteilen, die auf den Skandal hinwiesen und zur Gegenwehr aufriefen. Es war eine Sensation als nach Tagen der Ruhe morgens Verteiler mit einem selbst gebastelten Transparent auftauchten.
Dieser Kampf, wenn er auch noch schwach war, hat die Szene noch einmal gründlich aufgemischt. Damit hatten die Betriebsleitung von ROTO und auch einige im Betriebsrat nicht mehr gerechnet. Auch dass die Meldung über die Entlassungen, die sonst geräuschlos über die Bühne gegangen wären, in der Presse erschien, war hart für die Geschäftsleitung.
Das Solidaritätskomitee organisierte eine Veranstaltung – wir berichteten. Hier wurde noch einmal eindrücklich deutlich, dass ROTO sich die Schwächsten herausgepickt hatte und selbst vor der Kündigung von Schwerbehinderten nicht zurückschreckte. Übrigens: Das Integrationsamt, dass die Schwerbehinderten schützen soll, stimmte allen diesen Entlassungen rasch zu.
Doch der Kampf der Kolleg/innen brachte ROTO zunächst in die Defensive. Hatten sie vielleicht vorher gehofft, die Menschen billig abspeisen zu können, waren sie nun unter Druck. Um nicht weiter in der Öffentlichkeit angreifbar zu sein, mussten sie nun mit aller Kraft daran arbeiten, ihren Schandfleck wegzuwischen.
Und dafür waren die heutigen Gerichtsverhandlungen ein beredtes Zeugnis.
In den jetzigen Prozessen, an denen wir teilnahmen, wurde zunächst länger über die Kündigungsgründe verhandelt. Es kam deutlich heraus, dass die von ROTO angegebenen Gründe in keiner Weise den gesetzlichen Erfordernissen entsprechen. ROTO hat einfach Behauptungen gemacht. Nach Gesetz hätten sie aber Beweise für die Notwendigkeit der Kündigungen und ihre Zahl vorlegen müssen. Ebenso war die Sozialauswahl nicht korrekt verlaufen. Der Betriebsrat war nicht rechtzeitig und ausreichend informiert worden, mögliche Ersatzarbeitsplätze oder Versetzungen an andere Standorte nicht geprüft worden. Und selbst am Standort Stuttgart wären Ersatzarbeitsplätze möglich, was ROTO jedoch bestritt, ohne Fakten vorzulegen. Es schälte sich deutlich heraus, dass im Falle eines Urteils die Kündigungen vom Gericht für ungültig erklärt worden wären.
Doch nun begann ein merkwürdiges Schauspiel, das schon routiniert eingeübt war und das man als Beobachter auch als legale Erpressung bezeichnen kann.
In allen Fällen wurde nach der Beweiserhebung, die deutlich zu Ungunsten ROTOs ausfiel, von den Richtern gefragt, ob sich die Parteien auf eine Abfindung einigen könnten. Nun begann ein Feilschen wie auf einem Bazar. Dieses Feilschen fand weitgehend ohne die Kolleg/innen statt, die gequält dabei saßen. Die Kollegin A. brach fast zusammen und erklärte unter Tränen, dass sie 30 Jahre ihre Kraft bei ROTO gelassen und gute Arbeit geleistet und nun mit 50 Jahren keine Chance mehr habe. Bei allen Betroffenen war deutlich, dass es um ihre Existenz ging. Sie werden entweder keine Arbeit mehr finden oder nur noch als Leiharbeiter bzw. im Billigstlohnbereich. Doch die Kolleg/innen haben Verpflichtungen, Familie, Schulden, Kinder in Ausbildung oder gleich alles zusammen. Sie stehen vor einer Katastrophe. Ihre Qual störte das Feilschen.
Am Ende der Feilscherei stand dann eine Summe, die in allen Fällen deutlich über der von ROTO zunächst angebotenen Summe lag, jedoch niemals den großen Verlust ausgleichen kann und wird. Das Ungeheuerliche an diesem System ist nun, dass die Kolleg/innen in wenigen Minuten und unter starkem Druck entscheiden mussten. Und ihre „Wahl“ ist eine legale Erpressung! Wenn sie die Abfindung ablehnen, bekommen sie wahrscheinlich in dieser Instanz Recht. Aber ROTO kündigte an, bis zum letzten zu kämpfen. Sollte aber ROTO vor dem Landesarbeitsgericht dann besser vorbereitet gewinnen, bekommen die Kolleg/innen gar nichts mehr, die es gewagt haben „Nein“ zu sagen. Es kann auch sein, dass sie wieder Recht erhalten, es dann aber weiter vor das Bundesarbeitsgericht geht. Sie tragen dann noch, obwohl sie gekündigt sind und nichts haben, das Prozesskostenrisiko. Bei dem jetzigen „Rechtssystem“ ist das Risiko für die Betroffenen unkalkulierbar und groß. Auch wenn es gesetzlich und legal ist, ist dies eine erlaubte Form der Erpressung.
Und man sah deutlich bei den Kolleg/innen, wie sie sich erpresst fühlten. Sie wanden sich, kämpften innerlich. Man sah deutlich den Widerwillen auf ihrem Gesicht, denn in diesem perversen Schauspiel der Macht des Geldes werden sie gezwungen, „freiwillig“ ja zu sagen. Dabei wissen sie selbst am besten, dass ihr „Ja“ ihnen zwar jetzt etwas Geld bringt, aber danach schnell das Elend von Hartz IV folgt. Hinzu kommt, dass das Finanzamt und die Sozialversicherung einen großen Batzen der Abfindung einkassiert, sodass für die Betroffenen real nur wenig übrig bleibt. Eine Kollegin meinte dann auch: „Ich dachte, ich lebe in Deutschland in einem Rechtsstaat. Aber das hier hat mich hart gemacht.“
In dem Schauspiel der legalen Erpressung störten die Kolleg/innen mit ihren Ängsten und Nöten. Deutlich wurde das, als die Kollegin A. ihre Qual zu recht herausschrie und offen sagte, dass hier ihre Existenz zerstört würde. Peinlich berührt schwiegen die Feilscher. Der Richter sagte, er verstehe ihre Gefühle, aber nun brauche er eine Entscheidung „Ja oder nein!“ Man wollte es hinter sich bringen. Als die Kollegin sich verzweifelt ihr „Ja“ heraus gequält hatte, wurde das Ergebnis in Windeseile und mit der üblichen geschäftlichen Routine ins Diktaphon gesprochen. Fertig!
Ein Menschenschicksal wurde abgewickelt, aber „freiwillig“ und man ist endlich fertig.
Der Tag im Arbeitsgericht zeigte überdeutlich, was ein Mensch in diesem kapitalistischen System wert ist und wie viel dagegen das Geld wiegt.
Hervorzuheben sind die Kolleg/innen, die ohne viel Rückendeckung mit allen ihren Möglichkeiten gekämpft haben, solange sie konnten. Sie haben gezeigt, dass man sich auch unter schlimmsten Bedingungen wehren kann. Zwar haben sie keine Wiedereinstellung geschafft, aber sie haben sich und anderen Mut gemacht und sie haben ROTO, das starke Unternehmen, in die Defensive gedrängt. ROTO war deshalb gezwungen, die Abfindungen kräftig zu erhöhen. Ohne den Kampf der Kolleg/innen wäre alles still und leise über die Bühne gegangen und sie wären billig abgespeist worden.
Zugleich zeigt diese Auseinandersetzung die Schwächen aber auch die Möglichkeiten der Arbeiterbewegung. Die überall grassierende Angst, ist derzeit ein schweres Hindernis für die Entwicklung. Daran müssen wir arbeiten und den Kolleg/innen ihre Kraft bewusst machen. Deshalb ist auch der Kampf der bei ROTO Entlassenen so wertvoll. Er bestätigt den Satz: „Wer kämpft, kann verlieren! Wer nicht kämpft, hat schon verloren!“ Und in diesen manchmal noch zaghaften Ansätzen zur Gegenwehr liegt die Zukunft der Arbeiterbewegung. Mit seiner Aggressivität treibt das Kapital immer mehr Kolleg/innen in den Kampf. Dabei werden sie lernen. Wir sollten dabei helfen, die Lehren auszuwerten und zu verbreiten, damit die Menschen schneller lernen und sich entwickeln können.