Die türkische Regierung schafft es nicht mal, den Schein einer Demokratie zu wahren!

Die Verfassung wurde vorübergehend geändert. HDP Abgeordneten drohen Gefängnisstrafen.
Erklärung der DIDF (Föderation demokratischer Arbeitervereine) vom 20.5.16

Diese Woche erlebt die Türkei im Namen der Demokratie einen weiteren Tiefpunkt ihrer Geschichte. Am Freitag haben 376 Abgeordnete für eine vorübergehende Verfassungsänderung gestimmt. Demnach wird ein Satz aus Artikel 83 für jene 138 Mitglieder der Nationalversammlung gestrichen, denen Straftaten vorgeworfen werden: „Ein Abgeordneter, der vor oder nach der Wahl eine Straftat begangen haben soll, darf nicht festgenommen, verhört, verhaftet oder vor Gericht gestellt werden, wenn die Versammlung nicht anderweitig entscheidet.“ Dieses Aufhebungsverfahren betrifft zwar 138 Abgeordnete aus allen vier Parteien im Parlament, richtet sich aber vor allem gegen die HDP.

Die CHP schwingt große Worte über ein „Nein“, stimmt aber mit „Ja“
Nach Berichten der Tageszeitung Evrensel, haben einige CHP Abgeordnete die Regierung unterstützt. Wenn angenommen wird, dass die AKP mit 316 Stimmen (Parlamentspräsident ausgenommen), die faschistische Partei (MHP) 40 Stimmen, geschlossen mit ja stimmen würden, müssten mindestens 17 Abgeordnete der Republikanischen Partei (CHP) mit ja gestimmt haben. Angenommen wird auch, dass es wegen innerparteilicher Auseinandersetzungen sowohl von der AKP als auch von der MHP einige „Abweichler“ geben soll. So könnte es durchaus sein, dass noch mehr als 17 CHP-Abgeordnete mit ja gestimmt haben. Mit diesem Schritt ist die CHP für den weiteren Verlauf der Entwicklungen mitverantwortlich. Sie hatte die Gelegenheit, für die Demokratie Standhaftigkeit zu zeigen und nicht einen Kniefall vor Erdogan zu begehen. Diese nationalistische Politik der CHP vertieft bei ihrer Anhängerschaft die Unzufriedenheit.

Frau Merkel, das ist ihr demokratischer und verlässlicher Partner!
Unterdessen sprach Erdogan von einer „historischen Abstimmung“. In der Stadt Rize am Schwarzmeer sagte er „Mein Volk will in diesem Land keine schuldigen Parlamentarier in diesem Parlament sehen. Vor allem will es jene nicht im Parlament sehen, die von der separatistischen Terrororganisation (PKK) unterstützt werden.“ Nun seien die Gerichte am Zug. „Nehmt sie und richtet über sie. Sie sollen den Preis, welchen auch immer, bezahlen.“
Diese Geisteshaltung hat sich bei der Abstimmung widergespiegelt. Es war eine „geheime Wahl“ die von Abgeordneten der AKP missachtet wurde. Viele Abgeordnete der AKP haben ihre Stimmabgabe offen zur Schau gestellt und damit indirekt mögliche Abweichler beeinflusst und ihnen gedroht. In einem ordentlichen Parlament wäre allein dieses Vorgehen, ein Grund die Abstimmung zu annullieren. Ohnehin könnte es für viele AKPler die kommenden Tage ziemlich heikel werden. Denn nach Kommentaren vieler Journalisten ist nicht nur der ehemalige Premierminister Davutoglu auf der Abschussliste, sondern auch andere AKPler, die bei dem Parteitag am Sonntag (22.05.2016) ihr Schicksal erfahren werden. Nicht weil sie Verteidiger der Demokratie, Menschenrechte und Meinungsfreiheit wären, sondern weil sie nicht tief genug und schnell genug niedergekniet sind. Davutoglu und alle anderen, die vor ihm gegangen sind und nach ihm gehen werden, haben alle Dreck am Stecken und Blut an den Händen kleben.

Einmann-Diktatur, mehr Gewalt und Staatsrepressionen, mehr Tote und Unsicherheit für die ganze Region!
Die herrschende Politik in der Türkei bringt das Land an den Rand des Chaos. Kurden/innen, Akademiker/innen, die Jugend, Gewerkschafter/innen, Frauen, Journalist/innen und jede und jeder, der /die sich gegen die herrschende Politik stellt, Kritik ausübt, wird angegriffen, verhaftet und mundtot gemacht. Schon vor 22 Jahren wurde kurdischen Abgeordneten die Immunität entzogen und diese aus dem Parlament heraus in Haft gesteckt. Abgeordnete wie Sirri Sakik, der diese Tage mit der DEP (Demokratie-Partei) mit erlebt hat, sagte der Tageszeitung Evrensel „Wir hatten damals noch die Möglichkeit im Parlament unsere Meinung zu äußern, gegen die Vorwürfe zu argumentieren. Jetzt ist nicht mal das erlaubt.“ Es wird erwartet das gegen 50 HDP Abgeordnete (von 59) so schnell wie möglich Haftbefehle erlassen werden, um diese festzunehmen. Diese Konfrontationspolitik wird sicherlich nicht ohne Folgen bleiben. Die Erdogan/AKP Regierung tut alles daran die Gewaltspirale hoch zu drehen, das Land zu destabilisieren und letzten Endes die Teilung des Landes zu provozieren. Denn jegliche andere Möglichkeiten und Wege lehnt sie kategorisch ab. Die HDP als eine Kraft, die zur Lösung des Problems einen sehr immensen Beitrag leisten könnte, zu akzeptieren und ernst zu nehmen, wäre einer dieser Möglichkeiten und Wege.

Was nun Frau Merkel?
Am Sonntag möchte die Kanzlerin Angela Merkel wieder in die Türkei reisen. Und wieder ist es der „perfekte“ Zeitpunkt. Ihr Sprecher gab bekannt, dass die Polarisierung in der Türkei, die Bundesregierung mit Sorge erfülle. Diese Sorge ist nicht unberechtigt. Wo die Kanzlerin doch versucht, sich die Flüchtlinge vom Hals zu halten, schafft Erdogan/AKP die Bedingungen für eine weitere Fluchtwelle. Und davon kann sich die Kanzlerin nicht so ganz freisprechen. Denn schließlich war Deutschland das einzige Land, die Bundesregierung die einzige Regierung, die die türkische Regierung trotz ihres grausamen Vorgehens gegen die Kurden und gegen jegliche demokratischen Kräfte und Menschen unterstützt hat. Sie hat die Türkei in der EU wieder hoffähig gemacht. Die Regierung, die regelrecht die drei Affen gespielt hat und es immer noch tut. Damit nicht genug, im eigenen Land kurdische Aktivist/innen kriminalisiert und somit der türkischen Regierung so nahe steht wie keine andere Regierung. Diesen Kurs wird die Kanzlerin und die Bundesregierung fortsetzen. Das ist eine heuchlerische Politik. Das ist die gängige Haltung und Politik der Bundesregierung. Von daher haben wir von ihr nichts zu erwarten. Einzig und allein die demokratische Öffentlichkeit, Gewerkschaften und Politiker_innen können jetzt öffentlich Druck auf die Türkei ausüben, um dieses undemokratische Votum nicht zu akzeptieren.
Wir verurteilen aufs schärfste diesen Angriff auf die Demokratie. Dass von der Bevölkerung gewählte Parlamentarier, kriminalisiert werden ist nicht zu akzeptieren. Die Abgeordneten, die sich für Frieden, Demokratie und eine friedliche Lösung der Kurdenfrage einsetzen, werden aus dem Parlament gedrängt. Seit mehreren Monaten herrschen unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung in vielen kurdischen Gebieten Bürgerkriegsähnliche Zustände. Dutzende Tote sind bereits zu zählen. Dieser Entscheid wird die Türkei in ein noch dunkleres Grauen führen.