Kommentar: In christlicher Nächstenliebe die Alten verkommen lassen

Dreist und offen hat sich jetzt Phillip Mißfelder, der Bundesvorsitzende
der Jungen Union, mit seinen Vorstellungen von christlicher Nächstenliebe
zu Wort gemeldet (siehe Auszug aus seinem Intrview im "Tagesspiegel"
vom 5.8.03). Insbesondere bei alten Menschen verlangt er eine radikale
Kürzung medizinischer Leistungen auf das Notwendigste. Künstliche
Hüftgelenke und ein schmerzfreies Leben sind für ihn "Luxus".
Seine Meinung: "Früher sind die Leute auch auf Krücken
gelaufen." Vielleicht werden die Alten ihre Krücken bald nutzen,
um diesem 23-jährigen Schnösel noch ein wenig Erziehung zukommen
zu lassen.
Doch Mißfelders Angriffe auf die Alten in unserer Gesellschaft sind
Teil der Kapagne des Kapitals zum radikalen Abbruch aller Sozialsysteme.
Deshalb erhält Mißfelder laut den Internet-Seiten der Jungen
Union vom 5.8.03 auch Unterstützung von allen Seiten:

"Mißfelder erhält Rückendeckung
In der Debatte um die gesundheitspolitischen Äußerungen von
Philipp Mißfelder erhält der JU-Chef im ‚Tagesspiegel‘ Rückendeckung
von den beiden Bundestagsabgeordneten Katherina Reiche (CDU) und Carsten
Schneider (SPD). Die Grundsätze, die hinter Mißfelders Äußerungen
stünden, seien ‚vollkommen richtig‘, so Reiche. Es sei ‚völlig
in Ordnung‘ und ‚mutig‘ von Mißfelder, dass er für seine Generation
‚mal den Kopf aus dem Fenster gelehnt‘ habe, so Reiche.
Der Abgeordnete Carsten Schneider stimmte dem zu: ‚Grundsätzlich
geht die Generationengerechtigkeit im politischen Tagesgeschäft unter,
weil der Druck der Rentnerlobby zu groß ist.‘ Der Vorsitzende des
Bundesverbands Junger Unternehmer (BJU), Marcus Schneider, sagte, Mißfelders
Vorschläge gingen ‚eindeutig in die richtige Richtung‘. Vor allem
aus der Sicht eines Unternehmers sei ‚jedes Zehntelprozent, das die Lohnnebenkosten
senkt, willkommen‘. Über die Bezahlung von Hüftgelenken müsse
man ‚von Fall zu Fall unter ethischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten
entscheiden.’"

Für die große Koalition aus SPD, CDU, Unternehmern ist jedes
Zehntelprozent willkommen, dass man den Alten und Armen in der Gesellschaft
abpressen kann, damit das Kapital entlastet werden kann. Denn das bringt
Milliarden Euro Entlastung für die Unternehmer.
Der Vorsitzende des Bundesverbandes Junger Unternehmer (BJU), Marcus Schneider,
sagt offen, wofür der Vorschlag von Mißfelder steht.
– "aus der Sicht eines Unternehmers". Ja! richtig! Dieser Vorschlag
ist "aus der Sicht eines Unternehmers", Mißfelder und
alle die ihn unterstützten wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Schneider
vertreten Klasseninteressen! Aus der sicht eines Arbeiters und Angestellten,
der jahrelang in Kranken- und Rentenversicherung eingezahlt und dafür
schwer geschuftet hat, sieht es doch anders aus, wenn man ihn dann im
Alter Krücken und Schmerzen empfiehlt, statt notwendige Hüftioperationen
vorzunehmen.

– Was "die Lohnnebenkosten senkt, (ist) willkommen" für
die Unternehmer. Klar! Damit sparen sie Lohnkosten ein. Die medizinische
Versorgung wird durch solche Vorschläge weder besser noch billiger.
Die Kosten bleiben gleich, aber sie werden anders als bisher verteilt.
Das Kapital spart. Die Arbeiter, Angestellten, ihre Familien, die Rentner,
die Sozialhilfeempfänger usw. bezahlen entweder die Leistung selbst
oder sie bezahlen mit einer Verschlechterung ihrer Gesundheit und ihres
Lebens!
Phillip Mißfelder jammert, die Jungen würden zu sehr belastet.
Das ist pure Demagogie. Tatsächlich geht es ihm darum, das Kapital
zu entlasten. Und er hofft sicher, dass er mit seinen nassforschen Ansichten
so rasch Karriere machen kann, dass er sich später einmal als pensionierter
Abgeordneter, Politiker, Minister oder was sonst noch keine Gedanken um
seine Rente oder seine medizinische Versorgung machen muß. Bei den
Kürzungen, die er vorschlägt und in seinem weiteren Leben mithelfen
wird durchzusetzen, wird bestimmt ein nettes Sümmchen für ihn
und seinesgleichen übrig bleiben.

Die immer übleren Angriffe auf alle sozialen Rechte zeigen deutlich,
dass dieses System den Arbeitern und Angestellten und allen unteren Schichten
immer weniger zu bieten hat. Die Krise dieses System verschärft sich
zusehends. Innerhalb dieses Systems kann der Rückschritt nur noch
gebremst und verzögert werden. Deshalb streben wir eine andere, eine
sozialistische Gesellschaft an, in der nicht "aus der Sicht eines
Unternehmers" regiert wird, sondern aus der Sicht der arbeitenden
Menschen.
Der aktuelle Kampf gegen diese Angriffe muß verstärkt werden,
wenn etwas gebremst und verzögert werden soll. Deshalb ist es dringend
nötig aktiv in örtlichen, regionalen und bundesweiten Initiativen
gegen Hartz, Agenda 2010, die Gesundheitsreform" usw. mitzuarbeiten.
Ebenso ist es wichtig, in den Gewerkschaften dafür einzutreten, dass
diese zum Widerstand mobilisieren und dies auch selbst unter den Kolleg/innen
zu tun. Termine zahlreicher gewerkschaftlicher und aussergewerkschaftlicher
Initiativen findet man im www.labournet.de.
Inzwischen gibt es auch einen Aufruf für eine bundesweite Demonstration.
Für diesen Aufruf werden Unterschriften gesammelt. Man findet ihn
unter:
http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/aufruf-stgt.pdf

Auszug aus einem Interview in "Der Tagesspiegel", 5.8.03 mit
Phillip Mißfelder, Bundesvorsitzender der Jungen Union

Frage: Was zählt noch zum Nötigsten? Künstliche Hüftgelenke
etwa? Früher ging’s auch ohne.

Antwort: Genau. Das auszusprechen, davor schrecke ich nicht zurück.
Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke
auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen. Das ist eine reine Frage
der Lebensqualität. Das klingt jetzt zwar extrem hart, aber es ist
doch nun mal so: Früher sind die Leute auch auf Krücken gelaufen.
Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass nicht jeder medizinische
Fortschritt automatisch und auf Kosten der Allgemeinheit in Anspruch genommen
werden kann.

Frage: Also: Künftig also nur noch Geld für das, was absolut
notwendig ist, um zu überleben?

Antwort: Nein. Es geht auch darum, ein hohes Maß an Lebensqualität
zu gewähren. Aber dafür muss jeder nach Maßgabe seiner
Leistungsfähigkeit, ähnlich wie bei der Rente, selbst Verantwortung
übernehmen. Die Solidarsysteme sind nicht dafür zuständig,
dass jeder Senior fit für einen Rentner-Adventure-Urlaub ist.

Frage: Wir halten also fest: Grundsicherung bei der Rente, Mindestsicherung
bei der Gesundheit.

Antwort: Man kann das noch knapper zusammenfassen: Viel mehr Selbstvorsorge!
Was wir momentan haben, das ist ein sozialistisches Ausbeutungssystem
zu Lasten meiner Generation.

Das vollständige Interview findet man unter:
http://www.tagesspiegel.de/politik/index.asp?gotos=http://archiv.tagesspiegel.de/toolbox_po.php?ran=on&url=http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/03.08.2003/682253.asp#art