Eine Welt aus den Fugen

Am 7. und 8. Juli treffen sich unter dem berechtigten Protest zehntausender Menschen die politisch Verantwortlichen für ein historisches menschliches und soziales Desaster in Hamburg. Auf ihrem jährlichen Gipfel schachern die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten über all die von ihnen angerichteten Katastrophen, also die Verursacher und Verantwortlichen! Keines der betroffenen Länder, wo Massen von Menschen die Flucht ergreifen, wo Hunger und Dürre herrschen, wo die „Hamburger Ehrengäste“ Krieg über Krieg inszenieren, keines dieser unterdrückten Länder und Völker darf hier mitreden. Nein, hier treffen sich ihre Unterdrücker, die weltweit für ein unglaubliches imperialistisches Desaster verantwortlich sind!

Ihre Welt ist aus den Fugen
In den letzten Monaten haben sich Ereignisse wie der Brexit, die Wahl Trumps zum US-Präsidenten, die Zuspitzung des Krieges in Syrien, die Wahl Macrons zum französischen Präsidenten, die Wahlniederlage Theresa Mays in Großbritannien, die Konflikte zwischen Trump und einigen europäischen Ländern gehäuft. Immer mehr Menschen spüren, dass diese kapitalistische Welt aus den Fugen gerät.
Alle diese Ereignisse stehen in einem inneren Zusammenhang.
Die Brexit-Kampagne der Rechten in Großbritannien wie auch die Wahl Trumps wurden von denselben zutiefst reaktionären Kreisen des US-Kapitals und des britischen Kapitals finanziert, gemanagt und durchgezogen. Das steht in Verbindung zu dem sich verschärfenden Konkurrenzkampf zwischen dem US-Kapital und dem erstarkten deutschen Kapital. Deutschland als Exportweltmeister hat zunehmend Märkte und Einflussgebiete erobert zu Lasten des US-Kapitals. Selbst auf dem US-Heimatmarkt haben beispielsweise die deutschen Autokonzerne aggressiv expandiert. Das US-Kapital lässt sich nicht ohne Gegenwehr Märkte und Einfluss wegnehmen. Der Brexit stellt eine deutliche Schwächung der EU und dabei vor allem des deutschen Kapitals als führende Macht dar.
Mit Trump an der Macht wurde diese Schwächung fortgesetzt. Trump will das deutsche Kapital wieder unterordnen.
Merkels Reaktion darauf: Sie will die Großmacht Deutschland stärken. Begeistert hat sie die Forderung Trumps nach Aufstockung der Militärausgaben auf 2% des BIP aufgegriffen. Das bedeutet fast eine Verdoppelung! Deutschland wird damit mehr Geld für sein Militär ausgeben als Russland, wenn nicht Russland nachzieht und ebenfalls mehr als bisher aufrüstet. Denn aufgerüstet hat Russland schon seit Jahren.

Merkel setzt auf Achse Deutschland Frankreich
Merkel hofft vor allem mit der Achse Deutschland-Frankreich die Position des deutschen Kapitals auszubauen. Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Macron hofft auf eine Stärkung des französischen Kapitals und den Verkauf von Rüstung für die Militarisierung Europas; Merkel hofft auf eine Stärkung der deutschen Dominanz in Europa und neue Märkte. Beiden geht es ums Geschäft, und das Bündnis wird wie alle imperialistischen Bündnisse solange halten, wie es beiden nützlich erscheint.

China – scharfer Konkurrent!
Zeitgleich verschärft Trump den Konflikt mit China. Denn China ist noch mehr als Deutschland zum stärksten Konkurrenten der USA geworden. China hat jahrzehntelang einen riesigen Exportüberschuss im Handel mit den USA erzielt, auf diese Weise Dollars gehortet und damit über den Kauf von US-Staatsanleihen die USA wieder stabilisiert. US-Konzerne haben ganze Produktionszweige nach China verlegt, weil es dort billiger ist und weil sie dort auch auf die Eroberung von Märkten zielen. Doch China ist aus diesem Deal gestärkt hervorgegangen und zu einer Bedrohung für das US-Kapital geworden. China ist in Afrika, Asien und Lateinamerika ökonomisch aktiv, sichert sich Rohstoffe und Absatzmärkte. Das sind alles Märkte, die bis dahin von den US-Monopolen oder europäischen Monopolen besetzt waren. Diese Expansion geht zu deren Lasten.
Die herrschende Klasse Chinas, eine kleine Gruppe von Multimilliardären und höchsten Staats- und Parteifunktionären, reagiert auf die verschärfte Konkurrenz, indem sie Bündnisse anbietet und schmiedet. So lockt sie beispielsweise mit Projekten wie der „neuen Seidenstraße“ mit hunderten Milliarden Dollar Investitionen. Da durfte Merkel nicht fehlen. Denn in ihrer Not sucht sie neue Bündnisse.

Es geht um Neuaufteilung der Welt
Bereits 1916 schrieb Lenin in seinem Werk „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“:
„Für den Imperialismus ist gerade das Bestreben charakteristisch, nicht nur agrarische Gebiete, sondern sogar höchst entwickelte Industriegebiete zu annektieren (Deutschlands Gelüste auf Belgien, Frankreichs auf Lothringen), denn erstens zwingt die abgeschlossene Aufteilung der Erde, bei einer Neuaufteilung die Hand nach jedem beliebigen Land auszustrecken, und zweitens ist für den Imperialismus wesentlich der Wettkampf einiger Großmächte in ihrem Streben nach Hegemonie, d.h. nach der Eroberung von Ländern, nicht so sehr direkt für sich als vielmehr zur Schwächung des Gegners und Untergrabung seiner Hegemonie.“
Auch bei den gegenwärtigen Kämpfen geht es um eine Neuaufteilung der Märkte und Einflusszonen entsprechend den veränderten Kräfteverhältnissen zwischen den Großmächten. Deutschland ist stärker geworden, also will das deutsche Kapital auch mehr. Chinas Stärke ist enorm gewachsen, also will das chinesische Kapital mehr. Russland muss sich derzeit aufgrund seiner ökonomischen Schwäche verteidigen und hat sehr viel Einfluss und Märkte verloren. Die USA kämpfen um ihre Position als Weltmacht gegen die neuen Aufsteiger.
Das alles hat zu einer ausgesprochen labilen und gefährlichen Situation geführt. Bündnisse, die als stabil galten wie USA-Europa, geraten ins Wanken. Die Türkei Erdogans nähert sich in einer krassen Hinwendung zu Russland an, weil ihr Bündnis mit den USA und Europa sie in ihrer chauvinistischen Politik bremst.
Deutscher Imperialismus in der Zwickmühle!
Merkel und das deutsche Kapital üben sich in einem Spagat: einerseits weiter Zusammenarbeit mit den USA und Unterordnung, andererseits nicht zu übersehende Bestrebungen eine eigenständige imperialistische Politik zu betreiben, wie z.B. immer umfassendere militärische Zusammenarbeit in Europa und Aufbau einer europäischen Armee. China sucht in Europa und Deutschland einen neuen Partner, was dort auf Gegenliebe stößt. Moralische Prinzipien spielen bei diesen Bündnissen keinerlei Rolle. Es geht um Macht und Profit!
Lenin sagte dazu 1916:
„“Interimperialistische“ oder „ultraimperialistische“ Bündnisse sind daher in der kapitalistischen Wirklichkeit… notwendigerweise nur „Atempausen“ zwischen Kriegen – gleichviel, in welcher Form diese Bündnisse geschlossen werden… Friedliche Bündnisse bereiten Kriege vor und wachsen ihrerseits aus Kriegen hervor…“
Man muss hinzufügen: Egal ob „friedlich“ oder „kriegerisch“, bezahlen muss immer die Arbeiterklasse und das Volk. Die Expansion des deutschen Kapitals, sein Kampf als „Exportweltmeister“ ist nur auf dem Rücken der Arbeiter und Angestellten durchzuführen und zu gewinnen. Hartz IV, Minijobs, Leiharbeit, Niedrigstlöhne, Sozialabbau, Rentenkürzungen, um sich greifende Armut. Das ist die Konsequenz der deutschen Großmachtpolitik. Im Falle eines Krieges muss dann zusätzlich mit Blut und ungeheurer Zerstörung bezahlt werden.
Und so geht es in allen Ländern: Macron will die französischen Arbeiter für die „Stärke Frankreichs“ bluten lassen. Theresa May präsentiert den britischen Arbeitern und dem Volk die Rechnung für ihre Großmachtpolitik. Und Trump zerstört die wenigen sozialen Errungenschaften, um „Amerika groß“ zu machen, also den „friedlichen“ und den militärischen Krieg des Kapitals zu führen. Das ist auch in den kapitalistischen Ländern China und Russland so.
Mit der Zuspitzung dieses Konkurrenzkampfes, des Kampfes um Märkte und Einflusszonen besteht die Gefahr der Ausweitung der vorhandenen Kriege und eines Krieges zwischen den Großmächten. Es ist ein brandgefährliches und tödliches System, das beseitigt werden muss.
Die Menschen spüren, wie die Welt sich dramatisch verändert und immer mehr für die Herrschaftsansprüche und den Profit einiger weniger zerstört wird. Sie haben zunehmend Angst, unter die Räder dieses Machtkampfes zu geraten. Sie haben recht!
Doch Angst hilft nicht! Es muss eine breite Front gegen die Militarisierung der Gesellschaft geschaffen werden. Es muss eine breite Front aufgebaut werden, die sich dagegen wendet, dass wir die Kämpfe der Reichen um Macht und Einfluss bezahlen.
Eine solche Front muss sich gegen die Kriegspolitik, gegen die Aufrüstung wenden. Sie muss sich ebenso gegen Sozialabbau, Niedriglohn, unsichere Arbeit usw. richten.
Nur gemeinsam sind wir stark!
Keine 2% Rüstungsetat!
Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr!
Keine Waffenexporte!
Keine „europäische Verteidigung“!