Tarifrunden und Abwehrkämpfe unter der Last der Krise

Kämpfen unter den Bedingungen der Krise ist immer stärker
angesagt für die Belegschaften zahlreicher Bereiche! Forderungen nach Arbeitszeitvelängerung
stehen auf der Tagesordnung.

Aber wegen der Krise klein beizugeben, kommt für tausende
Kolleginnen und Kollegen nicht in Frage. Diesen Gefallen machen die
Kolleg/innen dem Kapital in zahlreichen Branchen nicht. Heftigen Widerstand
leisten immer zahlreichere Belegschaften, die von Entlassungen, „Plattmachen“,
Verlagerungen und Werksschließungen betroffen sind. So ergeben die Tatsachen
ein anderes Bild, als das, welches die Herrschenden zeichnen wollen, wenn sie in
allen Medien verbreiten lassen, dass die Masse der Werktätigen im Grunde ein
Einsehen habe und die „Reformen“ alla Agenda 2010 oder die von Frau Merkel mehr
oder weniger herbeisehnten.

Stahltarifrunde

Hohe Streikbereitschaft und eine vom Vorstand der IG Metall
beschlossene Urabstimmung hatten am 10. Mai dieses Jahres die Stahlarbeitgeber
zurück an den Verhandlungstisch gebracht. Wie üblich wurde dann die
kampfbereite Arbeiterklasse von der IG Metall außen vor gelassen und am 11. Mai
2005 schnell ein Abschluss unter Dach und Fach gebracht. Trotzdem musste das
Kapital mit 3,5 % immerhin die höchsten Lohnzuwächse der letzten Monate
zubilligen. Dazu kommt eine Einmalzahlung von 500 Euro. Laufzeit 12 Monate.

Aber wie nachlässig dieser Abschluss wirklich ist, zeigt die
Tatsache dass die Zukunft der Gewerkschaft, die Jugend einzig und allein mit
einer Einmalzahlung von 100 Euro abgespeist wurde. Massive Unzufriedenheit in
den Stahlbelegschaften, deren Schwerstarbeit den Stahlkapitalisten in den
letzten Jahren des internationalen Stahlbooms Riesenprofite beschert hatten!
Deshalb musste sogar BDA-Boss Hundt ran und beschimpfte medienwirksam den
Abschluss als „Ergebnis einer Erpressung!“. So sieht dann der IG
Metall-Vorstand etwas besser aus

Chemie

In den der Chemietarifrunde hatten erstmals seit vielen
Jahren die Kolleg/innen der Großbetriebe an Kampfaktionen teilgenommen. Beim
zweitgrößten Betrieb in Deutschland, der BASF in Ludwigshafen, fand Anfang Juni
mit rund 6000 Kolleg/innen der größte gewerkschaftliche Warnstreik seit Jahren
statt. In Krefeld protestierten 2200 Kolleg/innen verschiedener Chemiefirmen.
Nach zahlreichen Fusionen der letzten Jahre macht die Branche gute Gewinne. So
musste die Führung der IGBCE diesmal sehen, dass sie ein optisch einigermaßen
annehmbares Ergebnis erzielten. Aber das ist ihr nicht gelungen: 2,7 % bei
einer Laufzeit von 19 Monaten. Hinzu kommt eine Einmalzahlung von 1,2 % eines
Monatsentgelts multipliziert mit 19. Das ist äußerst bescheiden. Immerhin blieb
die Wochenarbeitszeit unverändert. Sie beträgt in der chemischen Industrie 37,5
Stunden.

Außerdem wurden Tarifverträge über verstärkte Ausbildung in
der Chemiebranche und über eine verbindliche Altersvorsorge Bestandteil des
Pakets.

Druck- und Papierindustrie

In der Druckindustrie verteidigten über 15000 Kolleginnen
und Kollegen aus 190 Betrieben in zum Teil mehrtägigen Warnstreiks die
35-Stunden-Woche und den Flächentarifvertrag. Darunter etliche Betriebe, die
erstmals seit 1984 wieder gestreikt haben. In diesen Kämpfen wurde der
gewerkschaftliche Organisationsgrad erhöht: allein in Hessen gibt es über 500
neue Gewerkschaftsmitglieder in den bestreikten Druckereibetrieben.

Gleichwohl willigte ver.di in sehr magere Lohnerhöhungen
ein. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 24 Monaten (April 2005 bis März
2007). Für das erste Jahr gibt es eine Einmalzahlung von 340 Euro, für die
restlichen 12 Monate dann eine Erhöhung von 1 %.

Außerdem gibt es ab sofort eine weitere Flexibilisierung der
Arbeitzeit und eine Ausweitung der Samstagsarbeit.

In der Tarifrunde der Papierverarbeitung stimmten vom
20.-24.6. in der Urabstimmung 89,3 Prozent für Streik im Kampf gegen den Horrorkatalog
des Unternehmerverbands:

  • 40-Stunden-Woche mit und ohne Lohnausgleich,
  • Samstag als Regelarbeitstag,
  • keine Lohnerhöhung,
  • Absenkung des Weihnachtsgelds um bis zu 60 Prozent).

Inzwischen tobt der Tarifkonflikt als offener
Klassenkampf 

Am 28.06.22005 , wurde in NRW in 14 Betrieben der
Papierverarbeitung gestreikt, darunter: Bischof + Klein, Lengerich, Procter
& Gamble, Neuss, Wellpappe Otto Hampel, Remscheid, Wellpappe Gelsenkirchen,
Walki Wisa GmbH, Steinfurt, mehrere Betriebe von Gunova, Oerlinghausen, Wolf,
Vlotho , die Betriebe Minden, Hoevelhof und Paderborn  von SCA (Schwedischer Wellpappenkonzern),
PPC-Card Systems, Paderborn, Thimm Wellpappe, PVG in Spenge .

In Hessen wurden die 3 Schichten bei der Marburger Tapetenfabrik
bestreikt.

Die Beschäftigten vom Amcor Flexibles Helio Folien in
Viersen haben anlässlich der Tarifverhandlungen ebenfalls die Arbeit
niedergelegt.

Nur einen Tag später ließen die Arbeitgeber die
Verhandlungen platzen, indem sie völlig neue Forderungen auf den Tisch legten,
ohne auf Vorschläge der Gewerkschaft zur Lösung des Konfliktes einzugehen.
ver.di hat am 29.6.05 das Scheitern der Verhandlungen über einen neuen
Manteltarifvertrag erklärt, weil die Arbeitgeber Möglichkeiten zur
Arbeitszeitverlängerung bis hin zu einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40
Stunden – ohne verbindliche Beschäftigungssicherung – zum Gegenstand rein
betrieblicher Vereinbarungen verlangten. ver.di-Vize Werneke: Verhandlungen
über einen neuen Manteltarifvertrag werde es zunächst nicht geben. ver.di stehe
aber für Verhandlungen über einen neuen Vergütungstarifvertrag zur Verfügung: „Jetzt
wird die Auseinandersetzung in den Betrieben entschieden“, kündigte er an.

Immerhin konnten in den letzen Tagen Vereinbarungen über die
Fortgeltung der Manteltarifvertrages und damit der 35-Stundenwoche mit der
SCA-Konzernleitung und beim Verpackungshersteller Beucke und Söhne bis zum 1.1.
2007 abgeschlossen werden.

Ver.di hat angekündigt, dass nun Betrieb für Betrieb um die
Fortgeltung der 35-Stundenwoche und des Manteltarifvertrages gekämpft werde.

Bei Redaktionsschluss war noch keine Lösung dieses
Tarifkonflikts in Sicht.

 

Die Bau-Tarifrunde schließlich stellt dramatisch
unter Beweis, zu welchem Zweck die Deregulierung einer Branche, die Freigabe
der Baustellen für Billig(st)-Anbieter, Subunternehmer, und der EU-weite
„unverfälschte“ Wettbewerb der EU-Verfassung veranstaltet werden. In der
offenen Krise der Bauwirtschaft in Deutschland stehen die Kolleg/innen am Bau
mit dem Rücken zur Wand.

Die Führung der BAU war vor über einem Jahr ohne eine
Lohnforderung in die Tarifrunde gegangen und hatte lediglich eine so genannte
Beschäftigungssicherung gefordert. Am 21. Juni 2005 gelang wenigstens ein
Abschluss:

  • 40-Stundenwoche statt 39-Stundenwoche(!!) ohne
    Lohnausgleich ab 1.1.06. Laut Zentralverband des Deutschen Baugewerbes sind das
    2,5% Lohnsenkung. Ursprünglich hatten die Bau-Arbeitgeber die 42 Stundenwoche
    ohne Lohnausgleich verlangt.
  • 7 Einmalzahlungen von 30 Euro(!!) bis März 2006, danach 1%
    Lohnerhöhung. Für ein Jahr. Hierbei gehen Auszubildende und die Kollegen in den
    Ostbundesländern leer aus!
  • Dafür gab es eine Einigung mit den Arbeitgebern, dass es
    im Winter keine saisonbedingten Kündigungen mehr geben sollte, die viele Kollegen
    direkt an das Arbeitslosengeld II alla Hartz IV ausliefern würde.

Hier zeigt sich der Tod der traditionell arbeitenden
Gewerkschaften! Die Gewerkschaft hat es unter diesen Bedingungen noch nicht
gelernt, gerade die Kollegen der „Billiganbieter“ aus den Ländern des Ostens zu
organisieren. Nur der Zusammenhalt und die Solidarität kann den Abstieg
bremsen.

Aber es zeigt sich auch das Wirken der ökonomischen Gesetze
des Kapitalismus. Die Ware, die wir anbieten, die Arbeitskraft, ist am Bau im
Überangebot, weitere Unternehmen driften in die Pleite. Der Rückgang des
Baumarktes wird für dieses Jahr mit vorsichtigen 4 bis 5% geschätzt. Hier ist
die Defensive offensichtlich.

Besonders ist zu bemerken, dass das Tarifpaket in zwei
Punkten die „Hilfe“ der Politik, von Wirtschaftminister Clement benötigte:

  1. Das Bau-Tarifpaket enthält eine Vereinbarung über den
    Mindestlohn. Er wurde um 1,7% abgesenkt! Er muss aber noch vom Wirtschaftsminister
    Clement für verbindlich erklärt werden, damit er überhaupt gilt.
  2. Auch die Vereinbarung über den Ausschluss saisonbedingter
    Kündigungen im Winter, der als der wichtigste Erfolg der IG BAU ausgegeben
    wird, bedurfte der Mithilfe von Clements Ministerium. Es saß mit am
    Verhandlungstisch.

Die Arbeiterklasse befindet sich sichtlich in der Defensive.
Aber auch in der Defensive kann und muss gekämpft werden. Und es wird gekämpft!
Immer mehr Kolleginnen und Kollegen zeigen dem Kapital die Zähne. Aber so, wie
in der Politik die Arbeiterklasse noch keine geschlossene und kampfkräftige
Partei hat, so fehlt ihr in der Aktion des gewerkschaftlichen Kampfes die
Einheit um kämpferische Gewerkschaften.

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