Baden-Württemberg: Ministerrücktritt, weil er einmal die Wahrheit sagte

Mit dem ehemaligen baden-württembergischen Sozialminister Andreas Renner verbindet uns politisch herzlich wenig. Doch, was in den letzten Tagen zu seinem Rücktritt führte, ist ein Skandal.
Vor rund einem halben Jahr traf Renner bei einem Empfang auf den katholischen Bischof Fürst von der Diözese Rottenburg. Der Bischof griff CDU-Minister Renner heftig an, weil der die Schirmherrschaft für den Christopher Street Day, eine Schwulen- und Lesbendemonstration, übernommen hatte. Renner wehrte sich und sagte: „Dann lassen sie erst mal zu, dass Priester Kinder zeugen.“ Laut anderen Zeugen soll er gesagt haben: „Halten Sie sich da raus. Fangen Sie doch erst einmal damit an, Kinder zu zeugen.“ Beide Aussagen sind einfache bürgerliche Wahrheiten. Nicht umsonst ist die katholische Kirche für ihre Heuchelei in Sachen Sexualmoral im Volk verschrien. Sie predigen öffentlich Wasser und trinken heimlich Wein, wie schon Heine die Doppelmoral kennzeichnete. Wieviel sexuelle Perversionen, die unter dem Mantel des Zölibat, der Ehelosigkeit von Priestern, stattfanden, wurden schon aufgedeckt. Wieviele Priester haben heimlich eine Geliebte und Kinder. Wieviel seelisches Leid wurde schon durch diese reaktionäre mittelalterliche Doktrin verursacht. Und wie schäbig verhält sich die Kirche gegenüber den Opfern dieser Heuchelei.
Doch die katholische Kirche, die bei Doppelmoral und Heuchelei sicher einen Spitzenplatz einnimmt, stellt sich als Hort der Moral dar. Gegenüber Andersdenkenden teilt die Kirche oft heftig aus. Schwule und Lesben werden als „anormal“ hingestellt. Bei der Homoehe lief die Kirche Sturm gegen eine gesetzliche Regelung der Lebensverhältnisse von Homosexuellen Paaren. Frauen, die in Notlagen abtreiben, werden als Mörderinnen verurteilt. In „christlicher Nächstenliebe“ kann sie bei anderen heftig zuschlagen. Doch wenn sie selbst einmal mit der Wahrheit konfrontiert wird, reagiert sie wie eine Mimose.
Christliche Parteifreunde von Renner brachten den Vorfall nach einem halben Jahr in die Presse, um den unliebsamen Minister abzuschießen. Die Medien griffen den „Skandal“ gern auf. Doch nicht etwa die reaktionären Attacken von Bischof Fürst auf Homosexuelle galten als Skandal, sondern dass ein Minister einmal die Wahrheit üebr die reaktionäre Sexualmoral der katholischen Kirche gesagt hat. Der Minister mußte gehen.
Für die CDU ist es ungewöhnlich, dass ein Minister wegen solcher Kleinigkeiten gehen muß. Der „brutalst mögliche Aufklärer“ Koch ist trotz schwarzer Kassen der Hessen-CDU immer noch stolzer hessischer Ministerpräsident. Helmut Kohl saß seine Skandale bis zum bitteren Ende aus. Doch da ging es um schwarze Kassen, um Geheimspenden aus der Industrie, um Bestechlichkeit und Korruption. In diesen Fragen hält die CDU eine Menge aus. Nur ein wenig einfache, bürgerliche Wahrheit verkraftet sie nicht.
Ein Schlaglicht auf die Verfassung der SPD wirft die Reaktion der SPD-Landesvorsitzenden und Spitzenkandidatin für die Landtagswahl, Ute Vogt. In einem Interview in „Sonntag aktuell“ vom 29.1.06 begrüßt sie die Entlassung des CDU-Ministers wegen seiner „unangemessenen Flapsigkeit“. Sie bekennt, sie sei „geprägt von meinem Engagement in der Kirche, von der katholischen Jugendarbeit… Ich bin ein Fan von Bischof Fürst, weil er offensiv und differenziert die Werte der katholischen Soziallehre vertritt.“ Und sie bedauert, dass er angegriffen wurde. Wie differenziert Bischof Fürst die Werte der katholischen Soziallehre vertritt, kann man an seiner Haltung zu Homosexuellen sehen, und dass er das offensiv vertritt, ebenfalls. Dass jedoch Ute Vogt diese Werte verteidigt, sich hinter Bischof Fürst stellt und für die Entlassung von Renner eintritt, zeigt, wie reaktionär die Positionen der SPD mittlerweile geworden sind.
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