Abstimmung in Montenegro – ein Ereignis von großer Bedeutung

Selten in der Geschichte hat sich ein Volk mittels
Abstimmung von einem Staat losgetrennt, wie jetzt im Fall Montenegros. 55.5%
der Wählerinnen und Wähler haben sich beim Referendum (= Volksbefragung) für
die Abtrennung von Serbien entschieden.

Dies sind 5% mehr als notwendig waren, um die Hürde von 55%
Zustimmung zur Loslösung zu überspringen. Dieses so genannte Zustimmungsquorum
wurde den Montenegrinern von den Imperialisten mittels der EU-Kommission
diktiert. Sie wollten Rumpfjugoslawien erhalten.

Eine solche Abstimmung, bei der nicht die einfache Mehrheit
entscheidet, ist vollkommen undemokratisch. Man stelle sich vor, die
„Independisti“, die Verfechter der Unabhängigkeit, hätten 54,8 % der Stimmen
erhalten, die „Unionisti“ 45,2. Dann hätte formal die deutlich geschlagene
Minderheit gewonnen. De facto wäre es zu heilloser Verwirrung,
Rechtsunsicherheit und Streit gekommen. So ist das Wahlergebnis, das von 500
ausländischen und 2500 inländischen Wahlbeobachtern als korrekt bestätigt
wurde, klar. Bei einer Wahlbeteiligung von 85,5 % bildet es eine solide Basis
für die Zusammenarbeit der Ethnien, nämlich der Montenegriner (43%), Serben
(32%), Bosniaken (13%) und Albaner (7%).

Die Frage des Referendums lautete: „Wünschen Sie, dass
Montenegro ein unabhängiger Staat mit voller völkerrechtlicher Souveränität
wird?“ und war mit Ja oder Nein zu beantworten. Eine ähnliche Abstimmung wurde
1999 in Osttimor durchgeführt. Leider kam es im Zusammenhang mit der
Volksbefragung zu Massakern, welche von Banden, die von der indonesischen Armee
angeleitet wurden, verübt wurden. Nach dem Eingreifen australischer Truppen mit
UNO-Mandat konnte die Abstimmung durchgeführt werden.

Es gibt nur ganz wenige Beispiele in der Geschichte, die
aufzeigen, dass das „Selbstbestimmungsrecht der Völker bis zur Lostrennung“ auf
friedlichem, demokratischem Wege,
nämlich durch allgemeine Abstimmung,
verwirklicht wurde. In Diskussionen mit Linken kam oft die Behauptung: „Dies
ist nicht möglich“. Die Meisten haben die unzähligen Beispiele vor Augen, in
denen nationale Bewegungen von den Unterdrückerstaaten blutig niedergeschlagen
und bekämpft wurden wie die Befreiungskämpfe der Palästinenser, Tschetschenen,
Kurden, Kaschmiris, Albaner, Iren etc.

In den Thesen zur nationalen Frage schrieb Lenin 1913: „1.
Der Paragraph unseres Programms (Über die Selbstbestimmung der Nationen) darf
nicht anders ausgelegt werden als im Sinne politischer
Selbstbestimmung, d.h. des Rechts auf Lostrennung und Bildung eines
selbständigen Staates. 2. Für die Sozialdemokraten Russlands ist dieser Punkt
des sozialdemokratischen Programms absolut
unumgänglich a) sowohl allgemein als um der Grundprinzipien der Demokratie
willen…“ Weiter wird ausgeführt: „3. Der Umstand, dass die Sozialdemokratie das
Recht aller Nationalitäten auf Selbstbestimmung anerkennt, verlangt von den
Sozialdemokraten, a) dass sie sich energisch gegen jegliche wie auch immer
geartete Gewaltanwendung von Seiten der herrschenden (oder die Mehrheit bildenden)
Nation gegenüber einer Nation wenden, die sich in staatlicher Hinsicht
loszutrennen wünscht, b) dass sie fordern, die Frage einer solchen Lostrennung
ausschließlich auf Grund einer allgemeinen, direkten, gleichen und geheimen
Abstimmung der Bevölkerung des betreffenden Gebiets zu entscheiden.“

Gerade im letzten Absatz verlangt Lenin von den wahren
Kommunisten, ausschließlich den demokratischen Weg der Volksabstimmung zu
fordern. Dass dieser Weg möglich ist, zeigt das Beispiel Montenegro. Mögen die
unterdrückten Nationen, die die Scheidung wollen, davon lernen und das
Referendum international einfordern. Dies kann viel unnötiges Blutvergießen
vermeiden helfen.

eni

Leserbrief

Ich möchte kritisch Stellung beziehen zum Beitrag von Eni.

Lenins Haltung in der Frage des Selbstbestimmungsrechtes und
der Lostrennnung wird von Eni einseitig wiedergegeben. Und auch heute kann man
so an die Frage nicht herangehen.

Lenin unterstützt zwar das „Selbstbestimmunbgsrecht der
Völker bis hin zur Lostrennung“ als einen Akt der Demokratie – und
insofern kann die Abstimmung in Montenegro auch hingenommen werden.

Eni gibt aber nur die halbe Wahrheit wider! Lenin spricht
sich ausdrücklich dagegen aus, dass Sozialisten und Kommunisten, unabhängig
davon, dass sie für ein streng demokratisches Vorgehen sind, für die
Lostrennung eintreten!

Kommunisten treten nicht ein für die immer weiter gehende
nationale Zersplitterung, sondern, wenn immer möglich (und es ist nicht immer
möglich: Kosova ist wohl ein unmöglicher Fall!), für ein gleichberechtigtes
Zusammenleben der Nationen, gegen Lostrennung. Kommunisten in Montenegro hätten
gegen die Trennung von Serbien agitieren müssen! Nur das entspricht dem
Interesse der Arbeiter/innen, denn sie haben eigentlich keine nationalen
Gegner, sollten sich solche von „ihrer“ Bourgeoisie auch nicht aufschwatzen
lassen und sollten die internationale Einheit untereinander suchen!

Ich habe angedeutet, dass es in Kosova möglicherweise keine
Lösung ohne Lostrennung geben kann, nach allem was geschehen ist. Aber
Montenegro? Gleiche Sprache, Serben und Montenegriner durcheinander siedelnd
seit Jahrzehnten/Jahrhunderten?

Wer ist und was will dieser Milo Djukanovic, Präsident
Montenegros? Wofür steht seine Partei? Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete ihn
am 23.April 2001 als einen „ jungen Heißsporn, der in der Zeit des
Jugoslawien-Embargos mit Schmuggel-Geschäften zu einem der reichsten Männer
Montenegros geworden sein soll.“

Er führte, wenn ich mich nicht irre, im Jahr 2000 die DM als
Alleinwährung in Montenegro ein, was für ein Zufall!?

Ich meine, dass die EU, gestützt auf diesen Präsidenten, ihr
Schnäppchen macht und ihre Interessenssphäre 
geflissentlich erweitern will. Dass sie sich in das Abstimmungsverfahren
eingemischt hat, ist für mich ein starker Hinweis darauf, dass die EU dort
starke Interessen hat. Man sollte nicht vergessen, dass Albanien – unmittelbar
benachbart – ziemlich auf die USA hört. Also: Ein weiterer Staat mit starkem
EU-Einfluss ist daher strategisch willkommen und eine weitere Schwächung des
für den gesamten Westen unbotmäßigen Serbiens, die man sich auf das
Verdienstkonto der EU schreiben kann.

Wenn es Bedenken gegen ein Lostrennung bei der EU gibt, dann
höchstens in dem Sinne, dass man möglichst beide, Montenegro und Serbien,
„integrieren“ möchte. Das kam darin zum Ausdruck, dass die Unterstützung einer
montenegrinischen Unabhängigkeit nach Milosevics Sturz stark nachließ.
Inzwischen überwiegt wieder die Unzufriedenheit mit Serbien und seinem als
„halsstarrig“ und „unberechenbar“ eingeschätzten Präsidenten Kostunica. Man
denke an die Affäre um die ständige Herauszögerung einer Auslieferung von
General Mladic durch Serbien.

Deshalb interpretiere ich die Bedingung „55%“, die
die EU gestellt hat,  nicht als eine erschwerende
Hürde, sondern als einen Schritt zur Vermeidung von Legitimitätsproblemen bei
der Anerkennung der Lostrennung. 55% ist eben schon eine deutliche Mehrheit.
Übrigens: Als 2001 das Plebiszit-Projekt in Montenegro zur Diskussion gestellt
wurde, war dort staatsintern  sowohl
bezüglich des Parlaments als auch bezüglich einer Volksabstimmung von der
Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit die Rede!

Ich finde es wichtig, dass ein aktiver Gewerkschafter in
Montenegro so unproblematisch wie möglich mit den Kollegen beispielsweise
der  internationalistisch denkenden
unabhängigen Gewerkschaft „Nezavisnost“ in Serbien zusammenarbeiten
kann. Diese hat sich z. B. gegen die Albaner-Unterdrückung durch Serbien
ausgesprochen. Sie prangerte im Krieg die Aggression der Nato, aber auch die
Verbrechen der eigenen Bourgeoisie an! Sie ist dadurch schwer unter Druck
geraten! Für mich sind das immerhin diskutierenswerte Argumente, gegen eine
klar auf die EU ausgerichtete Lostrennung Montenegros zu stimmen!

Es ist die historische Tragik Serbiens, dass dieses Land mit
demokratischer Kultur mit einem Bein im chauvinistischen Sumpf des
Albaner-Hasses zu versinken droht. Gerade deshalb ist der Zusammenhalt mit
allen internationalistischen politischen Kräften auch und gerade in Serbien
gegen alle Imperialisten wichtiger als einen Milo Djukanovic zu unterstützen.

Nie werde ich vergessen, wie der kosovarische-albanische
Demokrat Adem Demaci, 25 Jahre Haft in jugoslawisch-serbischen Knästen, der
„Mandela  Kosovas“, heute Chef
von Radio/TV Prishtina, mitten im gerade explodierenden Balkan-Krieg der
neunziger Jahre im Belgrader Sender „Studio B“ vom „serbischen
Brudervolk“ und zu ihm sprach und sich durch keine

Hetze serbischer Nationalisten, die telefonisch zugeschaltet
wurden, davon abbringen ließ. Das ist auch heute noch eine vorbildliche
Haltung!

Gruß C.