Filmtipp / Filmkritik: Der unbekannte Soldat- Was hast du im Krieg gemacht, Vater?

Filkritik: Der unbekannte SoldatKorrespondenz:
Michael Verhoeven
gehört schon lange zu den bekanntesten politischen Filmregisseuren in
Deutschland. U.a. verfilmte er 1982 die Geschichte der Geschwister Scholl.
Schon Ende der sechziger Jahre gründete Verhoeven zusammen mit seiner Ehefrau
Senta Berger die Filmproduktionsfirma Sentana.

Aufsehen
erregte sein Anti-Vietnam-Kriegsfilm auf der Berlinade im Jahr 1970, als der
Wettbewerb daraufhin abgebrochen wurde und die Preisverleihung ausblieb [1].

Auch sein
neustes Filmwerk „Der unbekannte Soldat- Was hast du im Krieg gemacht Vater?“
, an dem Verhoeven sieben Jahre lang gearbeitet hat, dürfte für Aufsehen und Diskussionsstoff
sorgen. Am 21.September lief dieser Film in einem Münchner Kino als
Premiereveranstaltung an. Angeregt durch die Wehrmachtausstellung 1999 in München
und den darauf folgenden Wanderausstellungen in anderen deutschen Städten
untersuchte Verhoeven die Rolle der deutschen Wehrmacht während des II.
Weltkrieges, besonders in der Ukraine und Weisrussland. Entstanden ist ein beeindruckender
und ergreifender Film über dieses Thema. Zahlreiche Zeitzeugen, Historiker und
an der Wehrmachtausstellung Beteiligte und Besucher kommen im Film zu Wort. So
wird beispielsweise der ehemalige Kanzler Konrad Adenauer mit verharmlosenden
Aussagen über die Angehörigen der Wehrmacht ebenso zitiert wie der Neofaschist
Christian Worch.

Zwischen
den unterschiedlichsten Aussagen werden immer wieder Sequenzen von Originalaufnahmen
über den Vernichtungskrieg der Wehrmacht aus der Ukraine und Weisrussland
(1941-1944) gezeigt. Das Filmpublikum erlangt so einen Eindruck über das Ausmaß
der Verbrechen an denen die Wehrmacht direkt, unmittelbar und indirekt beteiligt
war. Besonders erschütternd ist eine Szene aus einer solchen Originalaufnahme, in
der ein deutscher Soldat vor einer Exekution eine Mutter von ihrem Kind trennt
und das Kind immer wieder versucht zur Mutter zu gelangen, der Soldat immer
wieder eingreift, um die Selektierung vorzunehmen. Der Film stellt klar die
Komplizenschaft zwischen Wehrmacht und SS und deren Helfer (Einsatzgruppen)
heraus, die zahlreiche, in der Geschichte beispiellose Verbrechen an der
Zivilbevölkerung, der jüdischen Bevölkerung und an Angehörigen der Roten Armee
verübten.

Ideologische
und psychologische Beweggründe werden angeführt und erläutert, weshalb sich
auch „einfache“ Wehrmachtssoldaten an den Verbrechen beteiligten,
oftmals sogar ohne Zwangsausübung durch einen Vorgesetzten. Ein ehemaliger
Unteroffizier der Ostfront, Jahrgang 1916 gesteht nach einem Besuch der
Wehrmachtsaustellung:

„Ich
bedanke mich für diese Ausstellung. Die Fakten stimmen, ich habe selbst viel
mitgemacht im Ost-Feldzug und schäme mich für manchen deutschen Soldaten- für
das, was damals passiert ist
[2].“

Wenngleich
es nicht Ziel dieses Films war, dass konkrete Wesen des Faschismus
herauszustellen und zu behandeln, so ist doch die Nichterwähnung der
Machtübergabe durch das Kapital an die NSDAP kein Zufall. Der Film orientiert
sich in mancherlei Hinsicht an den Totalitarismuskonzepten bürgerlicher
Historiker [3]. Der aufopferungsvolle und Kriegsentscheidende Kampf der Roten
Armee gegen das faschistische Deutschland wird nicht gewürdigt. Mit Äußerungen
über Verbrechen der sowjetischen GPU, die nicht näher erläutert werden, erhält
die Rote Armee eine negative Bewertung [4].

Nach der
Premiereaufführung in München stellte Verhoeven sein Filmteam vor und einige
Personen, die den Film erst möglich gemacht haben. Auch stellte er sich noch
einige Zeit den Fragen aus dem Filmpublikum.

Er wies
u.a. daraufhin, dass es ihm nicht um eine Pauschalverurteilung im Film ging,
dass es durchaus unter den Wehrmachtsangehörigen zu verschiedenen
Verhaltensweisen in bestimmten Situationen kam. Nicht selten war der
Handlungsspielraum des einzelnen Soldaten größer, als er von ihnen nach dem
Krieg dargestellt wurde.

In diesem
Zusammenhang sprach er auch die Rolle, dass schändliche Verhalten der Bundesrepublik
gegenüber den Deserteuren an.

Trotz
einiger Schwächen dieses Films lohnt sich der Kinobesuch dennoch. Die Legende vom
„väterlichen Soldaten“ sowie die Legende von einer „sauberen
Armee“ werden entlarvt, wenn auch die gesellschaftlichen Hintergründe,
insbesondere die Rolle des Kapitals im Film im Dunkeln bleiben.

(rab)

 

Quellenangaben
und Anmerkungen

 

1
Internetseite von Wikipedia über Michael Verhoeven.

2 Vgl.
Abendzeitung München vom 20.09.2006, Von Vätern und Söhnen.

3 Anm.:
Gemeint ist die von den Totalitarismusforschern unternommene Gleichsetzung von
Faschismus und Kommunismus.

4 Anm..
Angeführt im Film wird der Ort Babi Yar (ukr. Babyn Jar), den die GPU als Exekutionsort
benutzte und in dem es, nachdem die Wehrmacht und die SS in Kiew einmarschiert
waren zu Massenmorden durch diese an Juden, sowjetischen Militärgefangenen und
Zivilbevölkerung gekommen ist. Unterschiedliche Schätzungen gehen davon aus,
dass Wehrmacht, Angehörige des SD, der Polizei, Feldpolizei und des
Sonderkommandos 4a 150.000 bis 200.000 Menschen in der Schlucht von Babi Yar
ermordet haben.

5 Bilder
vom Film findet man unter http://www.filmstarts.de/bilder/kritiken/Der%20unbekannte%20Soldat/