Revolution und Konterrevolution in Mexiko: Faschistischer Terror gegen die Völker Oaxacas

Seit mehr als 200 Tagen dauert im mexikanischen Bundesstaat
Oaxaca und in der gleichnamigen Hauptstadt der von der „Volksversammlung der
Völker Oaxacas“ (APPO) geführte Aufstand des Volkes an und trotzt der brutalen
Polizei- und Militärintervention der Staatsmacht, der Bundespolizei, von
Paramilitärs und Todesschwadronen aus dem Dunstkreis der reaktionären Partei
PRI, die in Oaxaca den im Volk verhassten Gouverneur Ruiz stellt.

Dieser Aufstand steht im Zusammenhang mit der explosiven
Lage in ganz Mexiko. An der Spitze eine mit dem US-Imperialismus verbündete
Oligarchie mit ihren Parteien, der ehemaligen Staatspartei PRI und der PAN des
Ex-Präsidenten Fox und seines Nachfolgers Calderon, der in diesem Sommer mit
einer extrem knappen Mehrheit an die Macht kam. Ihm wird massiver Wahlbetrug
vorgeworfen. Der knapp unterlegene Kandidat der Linken, Obrador, wurde am 1.
Dezember, dem Tag der Amtseinführung Calderons, von einer riesigen
Menschenmenge in Mexiko-Stadt zum „Gegenpräsidenten“ ausgerufen. Dieser für
bürgerliche Legalisten unerhörte Vorgang bringt die tiefen sozialen und
nationalen Widersprüche, die das Land zerreißen, deutlich zum Vorschein.

Mexiko ist ein mit Erdöl gesegnetes Land, potentiell
steinreich. In der phantastischen Natur und in der mit archäologischen
Denkmälern der altamerikanischen Kulturen übersäten Landschaft boomt der
Tourismus. Aber diese Reichtümer werden von imperialistischen Konzernen, vor
allem aus den USA, ausgebeutet. Die mexikanische Oligarchie partizipiert an
diesen Profiten. Und sie lässt die Völker Mexikos verkommen. Der Geldsegen des
Tourismus, der die Reichen erfreut, treibt die Lebenshaltungskosten für das
Volk in unerreichbare Höhen. Der Reichtum der Einen ist die Armut der Anderen.

Auf der anderen Seite herrscht deshalb Massenarmut.
Gewaltsame, brutale, kolonialistische Unterdrückung der zahlreichen indigenen
Völker, der armen Bauern und Landarbeiter prägen das Land. Im Norden die
berüchtigte stacheldrahtbewehrte Grenze(!) zu den USA, mit der der reiche
Nachbar sich der massenhaften Armutsemigration in die Zentren der USA erwehren
will. Sie kostete zahllosen Menschen, die sie überwinden wollten, das Leben.

Und es entwickelt sich in den meist vom ausländischen
Kapital beherrschten industriellen Sektoren, in der Erdölindustrie, der Textil-
und Automobilindustrie eine wachsende und kämpferische Arbeiterklasse.

Oaxaca ist nicht die einzige Region im Aufstand. Legendär
ist der Aufstand in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts im Bundesstaat
Chiapas, geführt von der Zapatistischen Befreiungsfront EZLN unter dem so
genannten „Subcommandante Marcos“ gegen die Zentralregierung. Er ist bis heute
nicht befriedet und hat zu einer Art Doppelherrschaft in Chiapas geführt.

Am 4. Mai 2006 kam es in Atenco zu einem massiven
Gewaltexzess der Staatsmacht mit einem Toten, zahlreichen Verletzten und 300
Verhafteten, weil sich große Teile der Bevölkerung entschlossen der korrupten
Polizei entgegenstellte, die in einem Nachbarstädtchen Terrormaßnahmen gegen
arme Straßenhändler durchführen wollte. Gerade hatte EZLN-Führer Marcos in
Atenco vor Tausenden Menschen gesprochen. Atencos Bevölkerung hatte bereits
2001 einen auf dem Stadtgebiet geplanten internationalen Großflughafen mit
entschlossenem Widerstand verhindert. Die Vorfälle in Atenco hatten eine breite
Solidaritätsbewegung in Mexiko wie auch international ausgelöst.

In Oaxaca hatte der Aufstand im Juni mit einem Streik der
Lehrer/innen des Bundesstaates gegen die unhaltbaren Zustände in den
Volksschulen begonnen. Es ging um bessere Bezahlung, aber auch um die
Verbesserung der Bedingungen für die Kinder. Im Bundesstaat Oaxaca leben 16
indigene Völker mit eigenen Sprachen. Der Streik richtete sich auch gegen die
Unterdrückung ihrer Kultur.

Am 14. Juni hatten tausende Lehrer den Hauptplatz der Stadt
Oaxaca besetzt. Der korrupte, verhasste Gouverneur Ulises Ruiz von der
abgewrackten alten Regierungspartei PRI ließ den Platz gewaltsam von der
Polizei räumen. Dabei kamen 4 Menschen ums Leben und fast hundert wurden
verletzt.

Dieser brutale Akt der Repression führte zu einer unerwartet
breiten Solidarisierung in Oaxaca. Unter der zentralen Forderung nach Rücktritt
von Ulises Ruiz schlossen sich zahlreiche Organisationen, Parteien und
Initiativen zur „Volksversammlung der Völker Oaxacas“ (APPO) zusammen. Diese
organisiert seitdem den Kampf gegen Ruiz, gegen die herrschenden Parteien PRI
und PAN und übernahm innerhalb kurzer Zeit in Oaxaxa die Rolle eines
Machtorgans, einer Regierung. Sie organisierte den weiteren Kampf, bemühte sich
um die öffentliche Ordnung und nutzte eigene Radiosender und das Internet (www.asambleapopulardeoaxaca.com)
zur Information der kämpfenden Menschen und der Öffentlichkeit.

Sie verhinderte lange Zeit erfolgreich den Zugang der
Sicherheitskräfte in die von der Volksbewegung besetzen Zonen. Die Staatsmacht
in Oaxaca und die Bundesregierung in Mexico-Stadt reagierten nach anfänglicher
Unsicherheit (Man hatte ja Wahlen zu bestehen!) mit zunehmend brutaler Gewalt,
deren Höhepunkt am 29. Oktober mit dem Einmarsch von tausenden Bundespolizisten
der PFP begann, die den Hauptplatz und zahlreiche Stadtviertel besetzten. Die
APPO reagierte mit friedlichen Massendemonstrationen, die massiv angegriffen
wurden. Hubschrauber beschossen die Demos mit einem Hagel von
Tränengasgeschossen. (www.arbeit-zukunft.de brachte ein Link zu einem Video,
das diese Ereignisse dokumentiert) Polizeiagenten schossen scharf. Es hat
Verhaftungen, mehrere Tote und zahlreiche Verletzte gegeben.

Seitdem hört der Staatsterror in Oaxaca nicht mehr auf. War
es zunächst der APPO und der aufständischen Bevölkerung gelungen, die
Bundespolizei zum Rückzug aus dem Stadtzentrum zu bewegen, so besetzte sie es
später erneut. Sie entfaltete eine Kampagne mit Morden, Verhaftungen und – mit
dem berüchtigten Verschwindenlassen! Auf mehr als 500 summieren sich die
Verhafteten und Verschwundenen, mehr als 20 Tote sind bis heute zu beklagen!
Die offizielle(!) mexikanische Menschenrechtskommission CNDH bilanzierte am 18.
Dezember 2006 immerhin:

 „…349 verhaftete
Personen und 20 Verstorbene…“. Weiter sagt sie: „Die PFP und die weiteren
Kräfte, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung intervenierten,
machten wiederholt und exzessiv von Gewalt Gebrauch. Als Folge davon wurde das
institutionelle, soziale und kulturelle Gefüge im Bundesstaat Oaxaca
beschädigt… Im Bundesstaat Oaxaca und in …Oaxaca Stadt geht die
Konfliktsituation weiter, so dass die Bedingungen für die Einhaltung und
Beachtung der fundamentalen Rechte nicht mehr gegeben sind.“

Was eine offizielle Kommission so nüchtern darstellt,
bedeutet in der Realität für die Völker von Oaxaca Staatsterror. Und Präsident
Calderon stellt sich nun unmissverständlich hinter den verhassten Gouverneur
Ruiz. Die Entscheidung, den Konflikt gewaltsam zu beenden, scheint gefallen zu
sein.

Am 5. Dezember wollte der neue Präsident Calderon sich
angeblich zu Verhandlungen über die Beilegung des Konflikts mit Vertretern der
APPO treffen, deren Vertreter auf Grund der Repression im Bundesstaat längst in
den Untergrund gehen mussten. Als sich deswegen einige, voran Flavio Sosa, aus
dem Untergrund an die Öffentlichkeit begaben und zunächst eine Pressekonferenz
abhielten, wurden sie dort sofort verhaftet. Verhandlungsangebot als üble
Falle!! Die Genossen sind bis heute verhaftet!

Überhaupt sind der November und Dezember 2006 in Oaxaca die
Tage des Terrors: Die Zeitung „Correos de las Americas“ berichtet am 15. 12.:

„ Schulen werden überfallen: Schwer bewaffnete
Spezialeinheiten dringen in Kindergärten und Grundschulen ein und entführen die
anwesenden Lehrerinnen und Lehrer, denen die Teilnahme an der Volksbewegung
APPO vorgeworfen wird. Hunderte Gefangene, sogar Menschenrechtler, werden
gefoltert…34 weibliche Gefangene berichten aus dem Sicherheitsknast von
‚brutaler, inhumaner und entwürdigender’ Behandlung. Kirchenmänner wie der …
populäre Padre Ubi sprechen von Zuständen wie im Guatemala von Rios Mont und
werden postwendend von Paramilitärs attackiert… Internationale
Menschenrechtsorganisationen schreien auf, sie hätten geglaubt, Verschwundene
hätte es nur in den Militärdiktaturen Südamerikas gegeben, nun hätten sie eine
lange Liste solcher Namen mit Verschwundenen in Oaxaca, Mexiko, das den Vorsitz
des UN-Menschenrechtsrat hat…“

Die Botschaft von PRI und PAN ist eindeutig! Die APPO, die
bisher mit friedlichen Mitteln kämpfte, muss vernichtet werden!

Verhaftet und gefoltert: Florentino López Martínez, der Sprecher der APPOAber Oaxaca und die APPO wehren sich verbissen, mit großer
Disziplin und in einer schier unglaublichen, lang andauernden Mobilisierung.
Über Monate wahrte die APPO die öffentliche Ordnung in den von ihr
kontrollierten Gebieten, rief erfolgreich zu immer neuen Großdemonstrationen
gegen Ruiz und die Bundesregierung auf. Auch in den Tagen des Terrors gelangen
ihr immer wieder Aktionen zur Befreiung von Gefangenen. Auch der  Teilnehmer am 8. internationalen Jugendcamp
gegen Imperialismus und Faschismus diesen Sommer in Dänemark, Florentino Lopez
Martinez aus Oaxaca, der inzwischen Sprecher der APPO geworden war, konnte am
18. Dezember 06 mit zwei weiteren Genossen aus einer mehrstündigen Folterhaft befreit
werden. Schon am 17. Dezember kamen 43 Häftlinge nach 4 Wochen frei, am 24.
Dezember noch einmal 18 Gefangene, gegen eine horrende Kaution. Aber noch immer
sind mindestens 100 weiter in Haft.

Diese Befreiungen sind nach den Worten von Mayen Arellanes,
einer Mitstreiterin des Rechtshilfeteams Comitee 25 de Noviembre „ keine
Großzügigkeit weder des Gouverneurs noch der Justiz“, sondern ein „Ergebnis des
Drucks von örtlichen und internationalen Kollektiven und
Menschenrechtsorganisationen.“

Am 22. Dezember war es international zu zahlreichen
Solidaritätsdemonstrationen gekommen, in Deutschland in Berlin, Bremen,
Frankfurt/M München Hamburg und Stuttgart. Es ist höchste Zeit, dass die
Schweigefront der offiziellen bürgerlichen Medien in Deutschland aufgebrochen
wird! Verbreiten wir die Wahrheit über Mexiko und Oaxaca, so gut es irgend
geht!

Die Ereignisse in Mexico und Oaxaca sind in ihrer Bedeutung
kaum zu unterschätzen. Sie verlangen die Solidarität aller fortschrittlichen
Menschen auf der Welt und in Deutschland!

Der Aufstand unter Führung der APPO in Oaxaca trägt
unübersehbar Kennzeichen einer Rätebewegung, die sich angeschickt hat, im
Bundesstaat Oaxaca Regierungsgewalt zu übernehmen! Wiederholt gelang es ihr,
mit einer sehr breiten Volksbewegung, die PFP zurückzudrängen und aus der Stadt
zu jagen. Mitten in den Tagen der Gewalt, am 12. Dezember, am Tag der
Menschenrechte, organisierte sie die 8. Großdemonstration (Megamarcha).
Zehntausende gingen wieder auf die Straße und forderten den Rücktritt des
verhassten Gouverneurs Ruiz!

Die APPO wird heute von der Zapatistischen Befreiungsfront
EZLN aus Chiapas ebenso unterstützt wie von zahlreichen anderen revolutionären
und fortschrittlichen Organisationen im Land. Die internationale Konferenz
marxistisch-leninistischer Parteien und Organisationen, die im Dezember in
Brasilien tagte, hat eine Resolution zur Unterstützung des Kampfes der
Bevölkerung von Oaxaca verabschiedet. Es gab bereits Solidaritätsaktionen in
Mexiko-Stadt.

Die Ereignisse in Oaxaca und Mexiko sind von der Entwicklung
in Lateinamerika nicht zu trennen. In Venezuela und Bolivien wurden linke
Präsidenten gewählt, die bereits praktische Maßnahmen gegen den
US-Imperialismus ergriffen haben. Sie tun das keineswegs im Sinne eines
Sozialismus, der von einer revolutionären Arbeiterklasse getragen und
organisiert würde. Aber sie stützen sich auf Volksmassen, die es leid sind, in
ihren reichen Ländern auf Grund der Herrschaft des US-Imperialismus und der
anderen imperialistischen Mächte, ihrer Banken und Konzerne, die die Reichtümer
dieser Länder unter sich aufteilen, in einem Sumpf aus bitterer Armut,
Korruption und Armutskriminalität unterzugehen, der eigenen Kulturen und
Sprachen beraubt zu werden.

In diese Bewegung reihen sich die Ereignisse in Mexiko ein.

Die Rätebewegung Oaxacas zeigt, dass die Fragen der
Revolution und des Kampfes gegen die Konterrevolution aktuell sind. Das gilt
sowohl für die theoretischen Anstrengungen als auch für den praktischen
Klassenkampf. Die Revolutionen der alten Welt, die Oktoberrevolution in
Russland, die bitteren Lehren der Novemberrevolution in Deutschland und nicht
zuletzt die der Pariser Kommune erscheinen angesichts dieser Ereignisse neu und
hochaktuell! Es ist unsere mindeste Aufgabe als Kommunisten, in der
Arbeiter/innenklasse unseres Landes die Solidarität und Sympathie mit diesen
Kämpfen zu fördern. Wir gewinnen die Chance deutlich zu machen, dass nur der
eigene, der in die eigenen Hände genommene, selbst organisierte Kampf es
ermöglicht, die Interessen als werktätige Menschen durchzusetzen! Erwerbslose
wie Beschäftigte müssen die Nähe der Kämpfenden Oaxacas zu ihren eigenen
Problemen erkennen und sich selbst der konterrevolutionären Propaganda gegen
diese Bewegungen entgegenstellen und mit praktischer Solidarität helfen.

Wie auch immer der Konflikt in Oaxaca weitergehen wird: Ein
halbes Jahr der Politisierung, des Widerstands und einer gelebten Utopie wird
unter den dreieinhalb Millionen Bewohner/innen von Oaxaca unauslöschliche
Spuren hinterlassen. Man hat dem Staatsterror getrotzt, er ist als überwindbar
durchschaut. Dieser lange Kampf, mit seinen Barrikaden, mit Tod, Trauer,
Tränen, aber auch mit großartigen Erfolgen zeigt, was schon Thomas Münzer, der legendäre
politische Führer des Bauernkrieges 1525 in Deutschland erkannte:

„Die Macht muss gegeben werden dem Volk!“

Nehmen wir unser Schicksal selbst in die eigenen Hände!

Redaktion Arbeit-Zukunft, 31.12.2006