Erst Subventionen abkassiert, dann geschlossen: Motorola schließt sein Werk in Flensburg

Protest bei Motorola FlensburgDer US-Handyhersteller Motorola hat die Schließung der
Logistik-Sparte in Flensburg beschlossen. Schleswig-Holsteins 
Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU) bestätigte am 27. August
entsprechende Berichte. Von der Schließung sind  700 Arbeitsplätze
betroffen. Sie sollen nach Aachen verlagert werden. Somit bleiben am Standort
Flensburg nur noch gut 200 Beschäftigte in der Verwaltung, in der
Handy-Entwicklung und im Service.

Die Motorola-Handys für den europäischen Markt sollen ab
Anfang nächsten Jahres beim kanadischen Unternehmen Cinram in Alsdorf bei
Aachen programmiert, verpackt und verschickt werden. Dem Bericht zufolge laufen
die Verhandlungen darüber schon seit Wochen. Die Löhne in Flensburg seien
wesentlich höher als dort, heißt es aus dem Flensburger Werk. Außerdem sei der
Aachener Standort näher an den wichtigen Kunden und den großen Flughäfen. Allen
betroffenen Mitarbeitern solle ein Arbeitsplatz an dem neuen Ort angeboten
werden.

 

Weitere 300 Stellen bei Zulieferern in Gefahr

Doch auch die noch verbleibenden rund 200 Arbeitsplätze
gelten nach Einschätzung von Branchenexperten langfristig als bedroht.
Letztlich könnte von ehemals mehr als 3.000 Stellen keine einzige im
Motorola-Werk in Flensburg übrig bleiben. Die IG Metall befürchtet, dass der
US-Konzern nicht länger als zwei weitere Jahre an dem Standort bleiben wird,
denn das Werk solle verkauft werden. Dieser Ansicht ist auch der Betriebsratsvorsitzende
Dieter Neugebauer.

Außerdem könnten nach Einschätzung der IG Metall bei
Zuliefer-Firmen Stellen abgebaut werden. Für Motorola arbeiten dem Bericht
zufolge in Flensburg rund zehn Firmen, die in Spitzenproduktionszeiten
Leiharbeiter zur Verfügung stellten. Aufgrund des rückläufigen Geschäfts habe
eine Leiharbeitsfirma in diesem Jahr bereits 200 Mitarbeiter entlassen, so die
Gewerkschaft. Das Flensburger Arbeitsamt geht davon aus, dass weitere 300
Beschäftigte bei Dienstleistern und Zulieferbetrieben ihren Arbeitsplatz
verlieren werden.

 

Carstensen: „Ein Schlag ins Kontor“

Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) reagierte auf
die angekündigte Schließung mit Enttäuschung. Eine solche Entscheidung sei
„bitter und bedauerlich“. „Wir werden alles tun, um die Folgen
für den Standort Flensburg abzufedern“, sagte er. Am Wochenende hatte
Carstensen noch gemeinsam mit Austermann bei einer Reise in die USA versucht,
die Konzernspitze umzustimmen. Die Landesregierung hatte dem US-amerikanischen Telekommunikationsunternehmen
finanzielle Hilfe angeboten, sollte der Standort in Flensburg erhalten bleiben.
„Wir waren bereit, bis an die Schmerzgrenze des finanziell und rechtlich
Machbaren zu gehen“, sagte Carstensen. Die Gespräche seien „ein
Schlag ins Kontor gewesen“.

 

Bürgermeister: Aachen keine echte Alternative

Flensburgs Oberbürgermeister Klaus Tscheuschner reagierte
überrascht. Motorola habe jüngst eine drei-jährige Standortgarantie abgegeben.
„Wir durften bis zuletzt davon ausgehen, dass Motorola zu seinem
Versprechen stehen wird.“ Er machte keinen Hehl aus seinem Ärger über die
Informationspolitik. „Es ist unverantwortlich und unverständlich, wenn
Motorola jetzt 650 qualifizierte, motivierte und äußerst flexible Mitarbeiter
in die Arbeitslosigkeit schickt. Denn das Angebot, mit den Arbeitsplätzen in
das mehr als 600 Kilometer entfernte Aachen zu ziehen, ist für die in unserer
Region verwurzelten Mitarbeiter keine ernsthafte Alternative.“

 

Kritische Stimmen aus dem politischen Lager

Ähnlich wie Carstensen sprach auch der wirtschaftspolitische
Sprecher der CDU-Landtagsfaktion, Johannes Callsen, von einem „harten
Schlag für die Region Flensburg und den Landesteil Schleswig“. Die
Flensburger SPD-Landtagsabgeordnete Ingrid Franzen sagte: „Motorola liefert
damit den traurigen Beweis für die Machtlosigkeit von Politik, dauerhafte
Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn Missmanagement und Fehleinschätzungen der
Märkte zu Gewinneinbußen im Konzern führen, wird trotz massiver öffentlicher
Förderung ausgegliedert, verlagert, entlassen.“ Der
FDP-Landtagsfraktions-Vize Heiner Garg sagte, er hoffe, dass die Entscheidung
Motorolas nicht auf besseren Förderversprechen der Landesregierung
Nordrhein-Westfalens beruhe. „Denn ein Subventionswettlauf zwischen westdeutschen
Bundesländern wäre genauso schädlich wie einer zwischen ost- und westdeutschen
Ländern.“

„Es ist schäbig“, sagte der
schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende Ralf Stegner. Für Klaus Matthiesen,
Geschäftsführer der regionalen Wirtschaftsförderungsgesellschaft WiREG, ist es
nicht nachvollziehbar, „einen gewachsenen Standort mit qualifizierten und
hochmotivierten Mitarbeitern auf diese Art fallen zu lassen“.

 Die Vorsitzende des SSV im Kieler Landtag, Anke
Spoorendonk, sagte mit Blick auf eventuelle Stellenangebote in Dänemark:
„Für die allermeisten der Betroffenen gilt: lieber einen Arbeitsplatz in
Apenrade als in Aachen. Mit der Förderung zielgerichteter Sprachkurse könnte
die Landesregierung mit verhältnismäßig geringen Mitteln den
Motorola-Mitarbeitern kurzfristig neue berufliche Perspektiven eröffnen.“
Sie forderte Konsequenzen für die Wirtschaftsförderung und erklärte für den
SSW: „Wir meinen, dass sich die  Wirtschaftspolitik in Zukunft darauf
konzentrieren muss, die Gründung, den Ausbau und die Ansiedlung kleinerer und
mittlerer Unternehmen zu fördern. Denn nur diese Unternehmen sind in der Region
verwurzelt, und wir wissen ja aus den Erfahrungen der letzten Jahre, dass
gerade kleinere innovative Firmen neue Arbeitsplätze schaffen können. –
Natürlich muss es in Schleswig-Holstein auch  weiterhin internationale
Unternehmen geben, aber die öffentliche Förderung der Ansiedlung global
agierender Konzerne muss künftig viel kritischer betrachtet werden.“

Der Landtagsfraktionschef der Grünen, Karl-Martin Hentschel,
forderte die Landesregierung auf, für die zukünftige Förderpolitik Konsequenzen
zu ziehen. „Fördergelder des Landes dürfen nur noch in solche Unternehmen
fließen, die auch Forschung und Entwicklung betreiben. Forschungs- und
Entwicklungsabteilungen lassen sich nicht einfach verlagern.“ Niedergang
des einst modernsten Handy-Werkes in Europa. Die Grünen wiesen darauf hin, dass
es sich bei Cinram, wohin die Flensburger KollegInnen wechseln können, um alles
andere als ein soziales Musterunternehmen handelt. Cinram hat eine Belegschaft
von ca. 1.400 Arbeitnehmern, davon 700 Leiharbeitnehmer. Im Internet sind auf
einem Diskussionsforum zu Cinram Beiträge von Arbeitnehmern gesammelt, wo über
schlechte Arbeitsbedingungen und Stundenlöhne von 5 Euro pro Stunde berichtet
wird. Bei den Festangestellten von Cinram gelten die IG BCE-Tarifverträge
(Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie) und ein Haustarifvertrag. Neue
Mitarbeiter bekommen danach 1.325 EURO brutto bei einer 40-Std-Woche, d.h.
Stundenlohn 7,88 Euro. Da ist im Industriebereich ein Dumpinglohn.

Der Handy-Hersteller hatte im Frühjahr mitgeteilt, die
Flensburger Fertigung nach Asien zu verlagern. Von dieser Entscheidung waren
rund 230 Mitarbeiter betroffen. Das Flensburger Motorola-Werk war 1998 als
modernstes Handy-Werk Europas in Betrieb genommen worden. Zeitweise arbeiteten
dort mehr als 3.000 Beschäftigte. Bereits im Herbst 2003 waren von damals 1.800
Mitarbeitern 600 entlassen worden, weil die Produktion weitgehend nach China
verlagert wurde.

 

Motorola in Flensburg: Erst an Top, dann Flop

Im Flensburger Motorola-Werk sind zu besten Zeiten mehr als
3.000 Mitarbeiter beschäftigt gewesen. Das Land Schleswig-Holstein
subventionierte den Handy-Hersteller seit dem Jahr 1994 mit 26 Millionen Euro. Eine
Chronologie der Entwicklungen:

 

1. Oktober 1998: Motorola erweitert für mehr als 200
Millionen DM (102 Millionen Euro) seine Handy-Fertigung in Flensburg. Mit
Produktionsbeginn Anfang 1999 arbeiten rund 2.000 Mitarbeiter im Werk.

17. August 1999: Motorola kündigt an, wegen der starken
Nachfrage nach Mobiltelefonen in den folgenden zwölf Monaten die Zahl seiner
2.400 Beschäftigten in Flensburg um 800 erhöhen.

20. September 2000: Aufgrund geringerer Nachfrage drosselt
das Werk in Flensburg seine Produktion um gut zehn Prozent.

6. Dezember 2000: Motorola kündigt an, 400 der gut 3.000
Stellen abzubauen, es verlassen jedoch mehr Mitarbeiter das Unternehmen.

24. April 2001: Nach Spekulationen über eine Schließung
bleibt der Standort Flensburg von Umstrukturierungen verschont.

25. Januar 2002: Motorola streicht in Flensburg wegen der
rückläufigen Handy-Nachfrage 240 Arbeitsplätze. Rund 100 Mitarbeiter kommen in
anderen Bereichen des Motorola-Werks unter.

13. Februar 2003: Motorola baut in Flensburg rund 200
Stellen ab. Grund sei ein geringerer Aufwand bei der Handy-Montage.

16. September 2003: Motorola kündigt an, dass von Anfang
2004 an rund 600 Arbeitsplätze in Flensburg abzubauen. Eine Teilproduktion
werde nach China verlegt. Flensburg bleibt Produktionsstätte für UMTS-Handys
und Versandzentrum für Europa. Damit sind in der Fabrik noch rund 1.200
Mitarbeiter tätig.

13. Januar 2004: Motorola zahlt staatliche Fördergelder in
Millionenhöhe zurück. Als Auflage für die staatlichen Subventionen sollten
mindestens 2000 Mitarbeiter beschäftigt werden.

8. Dezember 2006: Motorola prüft in Flensburg eine mögliche
Auslagerung der Tätigkeiten an einen Fremdanbieter.

26. April 2007: Im Motorola-Werk fallen 230 Arbeitsplätze
weg, weil die Fertigung der UMTS-Geräte nach Asien verlagert wird. Zudem soll
die Sparte Logistik und Transport mit mehreren Hundert Mitarbeitern ausgelagert
werden.

24. August 2007: Ministerpräsident Peter Harry Carstensen
und Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (beide CDU) reisen kurzfristig in
die USA um Krisengespräche mit der Konzernspitze zu führen.

28. August 2007: Medienberichten zufolge schließt Motorola
seine Logistik-Sparte in Flensburg und verlagert den Bereich nach Alsdorf bei
Aachen (Nordrhein-Westfalen). 700 Mitarbeiter sind betroffen. Später bestätigt
die Kieler Landesregierung das Vorhaben des US-Konzerns.

29. August 2007 Auch Motorola selbst bestätigt jetzt die
Umstrukturierungspläne. Nach Aufsichtsrat und Betriebsrat werden die
Mitarbeiter informiert.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verfassers csk

Quelle: LinkX Sozialistische Zeitung für Kiel