Zur Entlassung des Brigadegenerals Günzel: „Einzelfall“ oder Spitze des Eisberges?

"Verteidigungsminister" Struck gab sich militärisch, zackig.
Ruckzuck wurde Brigadegeneral Günzel entlassen, nachdem er sich mit den
antisemitischen Hasstiraden des CDU-Bundestagsabgeordneten in einem Brief solidarisiert
hatte und dieser Brief öffentlich wurde. Er sprach von einem "Einzelfall"
in der insgesamt demokratischen Bundeswehr.

War es wirklich ein Einzelfall?

Der Fall Günzel hat eine lange Vorgeschichte: Günzel war Offizier
beim Gebirgsjägerbataillon 571 aus Schneeberg im Erzgebirge, als dort 1994
ein Video auftauchte, in dem Vergewaltigungen, Folterungen und Erschießungen
von "Feinden" von Mitgliedern dieses Bataillons gestellt wurden. In
einem weiteren Video wurde gegen die "Auschwitzlüge" und "linke
Zecken" gehetzt. Zur musikalischen Unterhaltung warten die "Doitsche
Patrioten" auf. Und der Nazi-Barde Frank Rennicke singt "Ewiges Deutschland
– Heiliges Reich". Im Zuge der Ermittlungen wurde Günzel zunächst
Kommandeur des Bataillons, nachdem sein Vorgänger wegen der aufgeflogenen
Ereignisse gehen musste. Auch damals hieß es: "Einzelfall".
Dass Soldaten und Offiziere über einen Zeitraum von 3 Jahren solche Videos
herstellten und diese in der Kaserne gezeigt wurden, dass keine Soldat, kein
Offizier dagegen etwas unternahm, dass das ganze von oben erst unterbunden wurde,
als es in die Öffentlichkeit gelangte – dazu gab es keine Erklärungen,
außer der "Einzelfall"-Rechtfertigung! Doch Günzel blieb
nicht lange Kommandeur, denn auch er musste im weiteren Verlauf der Ermittlungen
seinen Posten abgeben, obwohl ihm "kein direkter Vorwurf" zu machen
gewesen sei. Merkwürdig!

Doch Günzel fiel erneut öffentlich auf. Bei einer Bundeswehrübung
in einem Nationalpark 1996 gab es eine Protestdemonstration. Offizier Günzel
sagte damals in einem Interview einer örtlichen Zeitung: "Wenn ich
meinem Fallschirmjägerbataillon… gesagt hätte: Kameraden, tretet
nach hinten zur Pause weg und löst dieses Problem, es wäre in fünf
Minuten gelöst gewesen… Wir haben, ich habe sehr die Faust in der
Tasche geballt, um einen solchen Befehl nicht zu geben. Wir wollen eben nicht
diese Bilder in der Presse."

Doch Günzels Karriere bekam dadurch keinen Knick. Im Gegenteil alle Skandale
um ihn führten zum Aufstieg bis zum Chef der Krisenreaktionsstreitkräfte
der Bundeswehr. Erst als er seinen eigenen Ratschlag "Keine negativen Schlagzeilen
in der Presse" nicht mehr befolgte und mit seiner antisemitischen Haltung
an die Öffentlichkeit ging, wurde er entlassen. Seine Haltung war offensichtlich
kein Problem für die Bundeswehr und "Verteidigungsminister" Struck.
Ein Problem war nur, dass sie an die Öffentlichkeit drang!

Kein Wunder! Denn die Bundeswehr ist selbst nach offiziellen Untersuchungen
mit rechtsradikalem Gedankengut durchsetzt. Hans-Ulrich Kohr, der 1993 für
das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr die Einstellungen Jugendlicher
zu Politik und Bundeswehr untersuchte, zog die Schlussfolgerung: "Je weiter
rechts, desto eher zum Bund". Die Bundeswehr sei "zunehmend für
Männer attraktiv, die sich den demokratischen Prinzipien und Werten kaum
oder gar nicht verpflichtet fühlen". Von den Jugendlichen, die der
Bundeswehr gleichgültig oder ablehnend gegenüberstehen, sind 2%, die
sich als Neonazis bezeichnen bzw. Neonazis gut finden. Unter denen, die zur
Bundeswehr "positiv" bzw. "sehr positiv" stehen, sind es
12% bzw. 32%. Schon 1978 fanden Dozenten der Hochschule der Bundeswehr Hamburg
in einer Untersuchung bei 10.6% der Studenten ihrer Hochschule (gegenüber
5.6% in der Vergleichsgruppe Wehrdienst leistender Abiturienten) starke bis
sehr starke rechtsextreme Einstellungen vor. Aus diesen Studenten gehen die
hohen Offiziere der Bundeswehr wie Günzel hervor. Nicht umsonst durfte
an der Hamburger Bundeswehrhochschule der Neonazi Röder als Dozent Vorträge
halten.

Mit der neuen Rolle der Bundeswehr als Eingreiftruppe in aller Welt wird die
demokratische Fassade immer lästiger. Da braucht man Jungens, die zupacken
und keine Hemmungen haben. Gefühlsduselei, Skrupel sind lästig, wenn
man am Hindukusch, in Somalia, in Jugoslawien in Kriegen mitmischt. Deshalb
wird solche Gesinnung in der Bundeswehr benötigt. Sie ist kein "Einzelfall".
"Demokratische" Großmachtpolitik, "demokratische"
Kriege sind eine Illusion! In Kriegen geht es um die Beherrschung anderer Völker,
um Macht und Einfluss, um die Ausschaltung der Konkurrenz. Günzels Karriere
ist daher die logische Konsequenz des bundesdeutschen Militärpolitik! Sein
Sturz ebenso. Denn in der Öffentlichkeit redet man lieber von "Friedensmissionen"
und "humanitärer Hilfe". Günzels Verbrechen war daher nicht
seine faschistoide Gesinnung, sondern sein öffentliches Bekenntnis und
die Entlarvung der zuckersüßen Propagandaparolen!