Immer noch ein „Nein“ zum Verfassungsvertrag

Unsere Partei (die PCOF -Kommunistische Arbeiterpartei Frankreichs, d. Übers.) ist Mitglied im
Organisationskollektiv, das sich gegründet hat, um eine Kampagne zu führen für
die Ablehnung des angeblich vereinfachten Verfassungsvertrags und des Betrugs
von Sarkozy, ihn durch eine Abstimmung im Parlament in Kraft zu setzen. Es
wurde ein gemeinsamer Aufruf veröffentlicht und es wird begonnen, ihn zu
verbreiten und zu unterzeichnen. Es werden öffentliche Versammlungen
organisiert, um über den Inhalt dieses Textes zu informieren, damit ein aus dem
Volk kommendes, fortschrittliches „Nein“ gestärkt wird und um ein Referendum
darüber zu verlangen. Wir haben den Genossen, der uns im Kollektiv vertritt,
gebeten, einen Überblick über die Mobilisierung zu geben:

 

„Auf was muss der
Schwerpunkt gelegt werden? Auf die Erläuterung und die Kritik an dem
Vertragstext oder auf die Forderung nach einem Referendum?“

„Für viele Kräfte
liegt der Schwerpunkt auf der Frage des Referendums. Diese Frage ist wichtig,
denn sie verweist zurück auf die Anerkennung des Ergebnisses des Referendums
vom 29. Mai 2005 und darauf, dass alle führenden politischen Kreise diese durch
das Volk ausgesprochene Ablehnung nicht akzeptieren. Es ist ganz
offensichtlich, dass die große Koalition der Befürworter der EU-Verfassung ihre
Niederlage weder jemals akzeptiert noch verdaut hat. Die Überlegung, die ins
Spiel gebracht wird, besteht darin, zu sagen, „dass das, was durch ein
Referendum abgelehnt worden ist, nur wieder durch ein erneutes Referendum
abgeändert werden kann.“ Sarkozy will diese Ablehnung umgehen und deshalb
vermeiden, eine neue Runde der politischen Mobilisierung zu eröffnen, die fatal
für den Vertrag sein könnte und die dazu führen könnte, dass seine eigene Politik
abgestraft wird. Beides gehört eng zusammen.

Auch wir fordern ein
neues Referendum, um noch einmal „Nein“ zu sagen und um eine breite, politische
Massenkampagne zur Frage der Ablehnung des Neoliberalismus, der den jetzigen
Vertrag von Anfang bis Ende durchzieht, so wie er ihn gestern im Wortlaut der
EU-Verfassung durchzog, zu führen

Wohl gemerkt, wir sind
weit davon entfernt, das Referendum als höchsten Ausdruck der Demokratie zu
sehen. Mit Sarkozy und seiner besonderen Begabung zur Manipulation, zur Demagogie
und zum Populismus kann dies zu einer furchtbaren Waffe gegen die Arbeiter und
das Volk werden. Aber wir sind überzeugt, dass die Kräfte des Fortschritts alle
Kapazitäten besitzen, um im Geist der Offensive das politisch Terrain der
Ablehnung des Vertrags zu besetzen und dass sie die politischen Fähigkeiten
haben, die breiten Massen von der Gefährlichkeit dieses Textes zu überzeugen.

Wir denken, dass die
Forderung nach dem Referendum nicht von der Kritik am Inhalt des Vertrags
getrennt werden kann. Es ist so: Sarkozy wird seine Meinung nicht ändern und
nicht akzeptieren, dass ein Referendum organisiert wird. Er hat sich gegenüber
den führenden EU-Politikern stark gemacht und kann sich in diesem Punkt nicht
frei machen. Um ein Referendum herbeizuführen, muss man verhindern, dass 3/5
der Abgeordneten und Senatoren für die Änderung der französischen Verfassung
stimmen. Das ist eine Vorbedingung für die Annahme des EU-Vertrags. Von daher
kommt der Vorschlag, etwas mehr als 2/5 der der Wahlberechtigten (Abgeordneten
und Senatoren, d.Ü.) davon zu überzeugen, dagegen zu stimmen. Wir sind nicht
gegen dieses Vorgehen, aber wir sind überzeugt, dass das auf keinen Fall die
Aktivitäten zur Mobilisierung der einfachen Menschen ersetzen darf, und dass
diese Mobilisierung nur gelingen kann, wenn man klar und deutlich sagt, dass
man gegen den Vertrag sein muss und dass man ein Referendum braucht, um „Nein“
zu sagen.“

„Sarkozy wie Hollande
und die anderen Befürworter des Vertrags bemühen sich zu erklären, dass das
nicht derselbe Text sei wie der der EU-Verfassung, dass es Fortschritte gäbe.
Was hat es damit auf sich?“

„Der Text, den wir nun
in Händen haben, ist der, welcher auf der Konferenz der Staatsregierungen in
Lissabon Anfang Oktober vorgestellt worden ist als „Entwurf eines Vertrags zur
Änderung des Europäischen Verfassungsvertrags und des Vertrags zur Einführung
der Europäischen Gemeinschaft“ sowie die „Protokolle“. Das ergibt ein Dokument
von 228 Seiten.

Es ist wichtig
festzustellen, dass der endgültige Text immer noch nicht verfügbar ist, denn
als der Entwurf angenommen worden ist, waren die letzten Änderungen noch nicht
veröffentlicht.

Andererseits ist
dieser Text schwierig zu verstehen, da er die Abänderungen der zugrunde
liegenden Texte enthält, sprich den Unionsvertrag, den Vertrag zur Europäischen
Gemeinschaft, den über die Arbeitsweise der Union und den über die gemeinsame
Atomenergiepolitik.

Anders ausgedrückt:
das Studium des „abgeänderten Vertrages“ ist kompliziert und nicht mit dem
Studium der Europäischen Verfassung zu vergleichen. So gesehen ist es nicht der
gleiche Text, aber die Zusätze und Abänderungen bestehen aus Wiederholungen
ganzer Teile des Verfassungsvertrags, manchmal wortwörtlichen. Diese
Kostümierung verfolgt einen Zweck: den Vertrag für die Masse der Bürger
unlesbar zu machen, zu vermeiden, dass man die Autoren ertappt bei der
frenetischen Lobpreisung der „freien und unverfälschten Konkurrenz“, der
absoluten Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, einer internationalen
Politik, deren Hauptziel der Kampf gegen den Terrorismus und ihre Anpassung an
die Nato. Man muss es verstehen, die technokratische Sprache zu entschlüsseln.
Wenn es z.B. heißt, „die Union ergreift Maßnahmen, die dazu bestimmt sind, das
Funktionieren des Binnenmarktes in Übereinstimmung mit den entsprechenden
Bestimmungen der Verträge zu gewährleisten und zu sichern,“ dann hat man eine
neue Umschreibung der „freien und unverfälschten Konkurrenz“, welche man in der
Formel wieder findet: „Zur Herstellung einer Zollunion trägt die Union im
gemeinsamen Interesse zur harmonischen Entwicklung des Welthandels bei, zur
fortschreitenden Beseitigung der Behinderungen für den internationalen
Austausch und die ausländischen Direktinvestitionen sowie zur Reduzierung der
Zoll- und anderer Barrieren.“

Zur EZB (Europäische
Zentralbank) heißt es: „Die EZB ist in der Ausübung ihrer Macht und in der
Führung ihrer Finanzanglegenheiten unabhängig…Die Staaten respektieren diese
Unabhängigkeit.“

Anders gesagt: die
Entlarvung dieses Vertrags kann nicht auf einen einfachen Vergleich des Textes
des EU-Verfassungsvertrags mit dem Text des „modifizierten“ Vertrags reduziert
werden, indem man sich auf den Versuch beschränkt, die Ähnlichkeiten in den
Ausdrücken herauszuarbeiten. Man muss von der Errungenschaft der Kampagne gegen
den EU-Verfassungsvertrag ausgehen, das heißt von der Bewusstseinsbildung über
den Neoliberalismus und seine Ablehnung durch die Volksmassen. Man muss
aufzeigen, dass dieser Text gleichbedeutend ist, indem man ihm das Gewicht eines
Vertrages gibt, der 27 Staaten aufgezwungen wird, Ein kürzlich erschienener
Artikel in „Le Monde Diplomatique“ vom November titelte: „Die Maschine, von der
die Neoliberalen träumten: seit 1958, die „Reform“ durch Europa.“ Darin wird
erklärt, wie der Aufbau Europas mit dem Vertrag von Rom schon von Anfang an
dazu bestimmt war, die neoliberale Politik durchzusetzen, auch schon zu Zeiten
De Gaulles.“

 

„Wie muss diese
Kampagne mit dem Kampf gegen die Politik Sarkozys verbunden werden?“

„Die von Brüssel angestoßene
Politik und der kämpferische Liberalismus Sarkozys sind keine völlig
verschiedenen Politikkonzepte, auch wenn Sarkozy manchmal über die EZB
herzieht. Nehmen wir z. B. die europäische Einwanderungspolitik: sie ist eine
Version der „gezielten Einwanderung“, die von Sarkozy-Hortefeux durchgeführt
wird. Die Reform „Pécresse“ zur Autonomie der Universitäten ist die Anwendung
der europäischen Direktive zur „Liberalisierung der Universität“. Der Wunsch
Sarkozys, Frankreich wieder in die Nato unter dem Kommando Bushs einzugliedern,
geht konform mit der in dem modifizierten EU-Vertrag enthaltenen Feststellung
über die „Verpflichtung innerhalb der Nato, welche für die Mitgliedsstaaten die
Grundlage ihrer gemeinsamen Verteidigung und die Instanz ihrer Durchführung
bleiben.“

Anders gesagt: die Kritik der neoliberalen Politik und die
des neoliberalen Europa, die Tag für Tag zunehmen, gehören zusammen.

So begreifen wir unsere Kampagne gegen diesen Vertrag, eine
Kampagne, die wir mit allen Kräften fortsetzen, mit denen wir uns schon in der
Kampagne gegen den EU-Verfassungsvertrag zusammengefunden haben.

Aus La Forge, Nov. 2007, Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei
Frankreichs