Korrespondenz: Vielen Dank, Herr Brodersen, für die Aufklärung!

Herr Brodersen ist Herausgeber der Zeitung „aktiv“, eines
monatlich im Bildzeitungs-Stil erscheinenden 
Blatts, das die Aufgabe hat, die Beschäftigten der Metall- und
Elektroindustrie auf die Ideologie der Metall- und
Elektroindustrie-Kapitalisten einzunorden. Das macht Ulrich Brodersen recht
gut. In seiner regelmäßigen Kolumne auf Seite 2 nahm er sich diesmal, in der
April-Ausgabe von „aktiv“, das Thema „Nokia“ bzw. „fragwürdiges Besitzstands-Denken“
vor.

Ulrich Brodersen schreibt da: „… Nokia hat hierzulande über
zwei Jahrzehnte hinweg mehr als 2 000 Leute beschäftigt. Und zwar zu deutlich
(derzeit 15 Prozent) höheren Arbeitskosten als im heimischen Finnland. Schon
dieser Feinheit wegen sind die an das Unternehmen geflossenen Subventionen
diesem in keiner Weise anzukreiden. So verständlich der persönliche Schmerz der
Betroffenen ist: Wäre nicht von den Repräsentanten der Öffentlichkeit zum
Abschied ein – wenn auch trauriges – „Dankeschön!“ passender gewesen als „Wut“
und „Empörung“?

„Derart rabiate Gefühlstöne könnte anschlagen, wem
widerrechtlich genommen wurde, was von Rechts wegen sein Eigen ist. Und in der
Tat vertreten Gewerkschaften und sämtliche Parteien (FDP und Union nur
überwiegend) im Ergebnis den Standpunkt: Nach Vergabe von Arbeitsplätzen dürfen
Firmen nicht mehr so über ihr Eigentum verfügen, dass Jobs wieder entfallen. Sie
sollen also mit der Arbeitsplatz-Bereitstellung Fremdbesitzstände geschaffen
und sich an den Hals gehängt haben.

In Großaufnahme ist diese politische Verdrehung an der
Anklage gegen Nokia abzulesen, dass das Werk Bochum „schwarze Zahlen“ schreibt.
Ab welcher Rendite laufender Lohn-Aufwand lohnt, soll der Lohn-Zahler nicht
selbst bestimmen. Der Standort D als Unternehmensfalle, jetzt hat sie
zugeschnappt!

Mit Gewerkschafts- und Staatsmacht wird ein freiwilliges,
auf beiderseitigen Vorteil abstellendes Vertragsverhältnis in einen
Daueranspruch der einen gegen die andere Seite umgebogen. Das liegt auf einer
Linie mit Fehlentwicklungen in anderen Industrieländern. Typisch deutsch aber
ist die Verlängerung dieser Linie mit Kündigungsschutz, ausufernder
Mitbestimmung und einer aberwitzigen Arbeitsrechtsprechung. …“

In dankenswerter Offenheit legt hier Herr Brodersen den
Unternehmerstandpunkt dar. Ihn stört der Kündigungsschutz, die „ausufernde“
Mitbestimmung (ein bisschen, wie bei VW, darf ruhig sein), die
Arbeitsrechtsprechung, wo doch hin und wieder der Kapitalistenwillkür Schranken
gesetzt werden. Und vor allem stört ihn das Besitzstandsdenken der
Arbeitsplatz“besitzer“, die nicht schon dafür dankbar sind, überhaupt
beschäftigt zu werden.

Heuern (und dafür Subventionen kassieren) und Feuern (ohne
Hindernisse in den Weg gelegt zu kriegen) ist für ihn angesagt. Als Wortführer
der Kapitalisten blendet Herr Brodersen natürlich aus, dass die
Arbeitsplatz“besitzer“ in jahre- und jahrzehntelanger Arbeit für „ihre“
Kapitalisten Mehrwert und damit Profit geschaffen haben, den die sich ganz
allein angeeignet haben.

Und irgendwo lügt er, sicher nicht unbewusst, auch: dass
nämlich die Parteien und Politiker und sogar der Staat auf Seiten der
Arbeitenden stünden. Wir haben nämlich die Erfahrung gemacht, dass manche
Politiker, sogar führende wie Franz Müntefering, schnell dabei sind, ein paar
radikale Phrasen wie „Heuschrecken“ und „Turbokapitalismus“ loszulassen und
Solidarität mit den Betroffenen zu mimen, im Grunde aber nichts gegen die Macht
des Kapitals ausrichten. Sie sind auch von ihm abhängig. „Uns aus dem Elend zu
erlösen, müssen wir schon selber tun!“ heißt es schon in der Internationale.

Und was den Staat betrifft, so besteht seine Rolle vor allem
darin, die nötige (Friedhofs-)Ruhe für die reibungslose Ausbeutung der
Arbeitsplatz“besitzer“ aufrecht zu halten. Und von Zeit zu Zeit finanziell
einzuspringen, wenn Konzerne wieder einmal großzügig Arbeitsplätze schaffen,
bzw. die Empörung bei Betriebsschließungen durch Zuschüsse der Agentur für
Arbeit zu Auffanggesellschaften zu dämpfen.

Aber „ein bisschen“ lügen, Herr Brodersen, das ist nicht so
schlimm. Das sind wir von den Schreiberlingen der Kapitalistenklasse seit jeher
gewöhnt.    

S.N.