Krankenhauspflege – Alarmglocken schrillen (Teil 2)

Pflege im Krankenhaus findet zunehmend vor dem Hintergrund prekärer Finanzen und ständig wachsender Aufgaben statt. PflegerInnen kommen immer häufiger an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Das zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung (DGB) geförderte Studie. Danach können schlechte Arbeitsbedingungen einen schon bestehenden Fachkräftemangel noch verschärfen.

Die Befunde der Studie decken sich mit internationalen Forschungsergebnissen zur sozialen Dienstleistungsarbeit in der Altenpflege, der Jugendhilfe und der Kindertagesbetreuung.
So hat sich im Krankenhaussektor durch Budgetkürzungen und seit der Einführung der Fallkostenpauschalen (DRG = Diagnosis Related Groups = Diagnosebezogene Fallgruppen) die Verweildauer der Patienten drastisch verkürzt. Zugleich hat die Zahl der Patienten in den vergangenen 20 Jahren um rund drei Millionen zugenommen – der „Durchlauf“ ist also deutlich angestiegen, während in der gleichen Zeit mehr als 25.000 Vollzeitstellen in der Pflege abgebaut wurden.

 

Industrialisierung der Pflegearbeit

Wenn die vorgeschriebene Verweildauer nicht eingehalten werden kann, geht das zu finanziellen Lasten des Krankenhauses. In der Folge sind die Organisationsstrategien der Kliniken auf die Effizienz der Ablauforganisation hin optimiert worden: alles muss so organisiert werden, dass der Patient in der vorgegebenen Zeit alle notwendigen Prozeduren durchläuft. Pflegekräfte versorgen immer mehr Patientinnen und Patienten in kürzerer Zeit und beziehen dabei einen geringeren Lohn. Insgesamt fehlen in den Krankenhäusern 162.000 Stellen, davon 70.000 Pflegekräfte (ver.di Pflegecheck). In Deutschland betreut ein Beschäftigter im Schnitt 21 Patienten, in Dänemark zehn, in Norwegen neun und in den USA acht. Die Versorgungsqualität ist nicht so gut, wie sie es mit einer angemessenen Personaldecke sein könnte. Vermehrt kommt es zu Stürzen aus dem Krankenhausbett, Hygienebestimmungen werden unter Zeitdruck nur unzureichend befolgt, die Belastung durch multiresistente Keime ist nach wie vor lebensbedrohlich.
Mehr als drei Millionen Menschen arbeiten laut Statistischem Bundesamt in Gesundheits-, Sozial- und Erziehungsberufen. Die Branchen, in denen sie tätig sind, stehen unter dem Druck einer zunehmenden Ökonomisierung: vor allem die Pflege ist negativ vom Spardruck im sozialen Sektor betroffen.
Die Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen den Personalabbau (1991: 913.376; 2011: 896.288 – bei gestiegenen Fallzahlen). Sie zeigen den Abbau von Vollzeitstellen hin zur Teilzeitarbeit (1991: 234.582 TZ-Beschäftigte; 2011: 408.280) und sie belegen einen Rückgang seit der Einführung der Fallpauschalen ab 2003.

 

Folgen der Fallpauschalen

Personalabbau ist eine Folge der Einführung von Fallpauschalen in den Kliniken. Unter dem Druck des Wettbewerbs werden Personalkosten gesenkt, denn Personalkosten sind ca. 80 Prozent der Kosten in den Krankenhäusern.

Zwischen 1996 und 2008 wurden in den deutschen Kliniken, trotz Arbeitsverdichtung und kontinuierlich gestiegener Patientenzahl, 50 000 Vollzeitstellen abgebaut. Das ist, mit 14,2 Prozent, jede siebte Stelle. Im gleichen Zeitraum wurde die Zahl der Klinikärzte um rund 26 Prozent erhöht. Und von den 3,8 Milliarden Euro, um die sich die Personalkosten zwischen 2002 und 2008 erhöhten, landeten 2,9 Milliarden bei den Medizinern. Bei den Pflegekräften dagegen gab es ein Minus von 50 Millionen Euro.

Die Zahl der behandelten Patienten hat sich indes kontinuierlich erhöht (seit 1995 um 12,1 %). Im Jahr 1995 wurden rund 15.6 Mio. Fälle in allgemeinen Krankenhäusern behandelt, im Jahr 2008 waren es bereits 17.5 Mio. Auch bei Verkürzung der durchschnittlichen Verweildauer auf nunmehr 8,1 Tage hat sich die Pflegekraft-Patienten-Relation seit 2007 noch einmal von 59 auf 61,5 Fälle pro Pflegekraft verändert. Das zeigt: 40% der Pflegekräfte haben zwischen 46 und 70 Überstunden geleistet.

 

und die Bundesregierung

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Fallpauschalen (DRG) die Personalkosten korrekt abbilden. Fachleute bestreiten das. DRG bilden linear steigende Ist-Kosten ab, keine Kostensprünge. Doch Personalkosten stellen einen Sonderfall dar, da sie sich nicht proportional zum Leistungsvolumen ändern, sondern nur in Intervallen, d.h. sprunghaft, angepasst werden können. Sie werden daher als „sprungfixe Kosten“ bezeichnet. Jede neue Stelle führt zu einem plötzlichen Kostensprung. Mit der Finanzierung der Krankenhausleistungen über DRG wird für jeden Fall nur noch ein normierter Personalkostenanteil vergütet. Das bedeutet, der Erlös und nicht der Aufwand für die Einzelleistung bestimmt den Stellenplan – mit den bereits bekannten verheerenden Folgen.

Das noch aus der Großen Koalition stammende „Pflege-Förderprogramm“ soll von 2009 bis 2011 14.400 Stellen geschaffen haben. Das ist nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts von 162.000 fehlenden Stellen, das Programm ist weit hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben, denn ursprünglich sollten 21.000 neue Stellen, dann 17.000 geschaffen werden.

 

Schon 2009 Alarmstufe Rot

Schon das „Pflege-Thermometer 2009“ des unabhängigen Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e.V. in Köln zeigte die Entwicklung auf. Über 10.600 umfassend auswertbare Datensätze und insgesamt über 14.000 Beteiligte machten die Studie zur bislang größten zusammenhängenden Befragung von Pflegekräften in Deutschland. Die Gewerkschaft ver.di hatte diese Befragung ausdrücklich unterstützt. Der Schwerpunkt lag auf allgemeinen und somatisch ausgerichteten Krankenhäusern, auf Fragen zu beruflichen Belastungen, Patientenversorgung und -sicherheit sowie Fragen zum Berufsbild, zur Koordination und Kooperation. Die zentralen Ergebnisse:

1. Es herrscht chronischer Pflegemangel in Deutschlands Krankenhäusern. In zehn Jahren wurden rund 50.000 Stellen in der Krankenhauspflege abgebaut.

2. Das Pflegepersonal altert schneller. Der berufsdemografische Wandel in der Gesundheits- und Krankenpflege beschleunigt sich. Der Stellenabbau vollzog sich vor allem bei den jüngeren Beschäftigten bzw. durch weniger Übernahmen von Ausbildungsabsolventen/innen.

3. Die Belastungen steigen weiter. Jede/r Fünfte ist hoch belastet, weil steigende Patientenzahlen, Überstunden und Einspringen an der Tagesordnung sind.

4. Weniger Nachwuchs bei bestehendem Fachkräftemangel. Gegenüber 2000 sanken die Ausbildungszahlen 2008 um 10 Prozent.

 

Gefahr für Patienten

 Weiter sagt das „Pflegethermometer 2009“ zusammenfassend aus:

Der Mangel betreffe inzwischen „ganz zentrale Bereiche“.

So wollte mehr als die Hälfte der Befragten nicht ausschließen, dass es wegen der hohen Arbeitsbelastung auch bei Medikamentengabe, Verbandswechsel und Hygiene zu Fehlern komme. Bei der Überwachung von verwirrten Patienten, dem Esseneingeben, der Mobilisierung oder fachgerechten Lagerung sowie der Betreuung von Schwerstkranken scheinen Mängel ohnehin der Regelfall. Vier von fünf Pflegekräften rechnen damit. Und nur jede dritte geht noch davon aus, das für notwendig Erachtete im Klinikalltag tun zu können.

Die Gefahr für die Patienten steigt der Umfrage zufolge mit der Arbeitsbelastung. Und jede fünfte Klinikpflegekraft muss laut Studie als „hoch belastet“ eingestuft werden. Mehr als zwei Drittel der Befragten gaben an, im vergangenen Jahr mehr Patienten betreut zu haben. Nur 5,6 Prozent der Befragten leisten keine Überstunden. Und nur zwei von fünf Pflegenden gelingt es, diese Überstunden zeitnah in Freizeit umzuwandeln.

 

Für gesetzliche Regelung bei der Personalbemessung

Ver.di und Deutscher Pflegerat fordern eine bundesweite gesetzliche Personalbemessung. „Es hat sich gezeigt, dass die Kliniken immer versuchen, bei den Beschäftigten zu sparen. Die Personalbemessung im Krankenhaus ist nach wie vor eine Art Black Box“, sagte Melanie Wehrheim, Abteilungsleiterin bei Ver.di. Eine vernünftige Bemessung müsse ausreichend fachlich qualifiziertes Personal vorschreiben, gesunde Arbeitsbedingungen ermöglichen und den Schweregrad der Arbeiten berücksichtigen. (Dies entspricht auch einer Gesetzesvorlage der Partei „Die Linke“ im Deutschen Bundestag im November 2013).

 

Kliniken in roten Zahlen – weitere Privatisierung droht

Etwa ein Drittel der Kliniken schreibt rote Zahlen. Nur 70 Prozent haben das Jahr 2011 kostendeckend abgeschlossen. Die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf. Zuständig sind Länder und Kommunen. Doch diese können ihren Verpflichtungen zur Finanzierung der Kosten von Krankenhausinvestitionen und Baumaßnahmen immer weniger nachkommen. Ursachen dafür liegen zum einen in der unzureichenden Bedarfsplanung als entscheidende Voraussetzung für Investitionsentscheidungen. Zum anderen in der Steuerpolitik des Bundes, die die öffentlichen Haushalte der Länder und Kommunen in den letzten Jahren ziemlich ausgedünnt hat. Der daraus resultierende Investitionsstau wird auf 56 Milliarden Euro beziffert. Die Schuldenbremse verschärft die Lage noch weiter.

Die Stuttgarter Nachrichten (StN) vom 15.April 2014 schreiben: „Bei den kommunalen Kliniken im Südwesten häufen sich zum Teil Millionen-Schulden an. Für private Klinikkonzerne ergeben sich dadurch gute Einkaufsmöglichkeiten.“ Ver.di befürchte aufgrund der miserablen Finanzlage der kommunalen Kliniken im Südwesten eine Privatisierungswelle. Tatkräftige Unterstützung bekommen die Konzerne dabei von CDU-Politikern wie dem Sigmaringer Landrat Dirk Gaerte. Dieser führte laut StN aus: Privatwirtschaftliche Konzerne hätten ein strafferes Management, könnten Investitionen besser wuppen, Personal flexibler einsetzen, Synergien nutzen und scheuten sich häufig nicht, Mitarbeiter zu weniger günstigen Tarifen anzustellen als die öffentliche Hand.

Diese Ausführungen sprechen Bände. Die Konzerne und ihr politisches Personal wollen Sklavereiverhältnisse schaffen. Offenbar wollen sie die Lebenserwartung in der Arbeiterklasse wieder drastisch senken. Gelingt ihnen das, fließen noch weit höhere Mittel als jetzt schon aus der Sozialversicherung in ihre Kassen.

Nicht mit uns! Wir fordern:

Vergesellschaftung des Gesundheitswesens!

Vergesellschaftung der Pharma-Industrie!

Vergesellschaftung der Monopole in der Medizintechnik!

Höhere Gehälter für Pflegepersonal!

30-Stunden-Woche für Pflegekräfte bei vollem Lohnausgleich!

Durch Bundesgesetz festgelegte bedarfsorientierte Personalbemessung!

 

Teil 1 wurde hier veröffentlicht.