Nach den Attentaten von Brüssel

Der Verhaftung von Salah Abdeslam, der in die Attentate von Paris verwickelt ist, folgte das Doppelattentat von Brüssel. Überall auf der Welt überboten sich die politischen Reaktionäre in beängstigenden Übertreibungen: in der Slowakei, in Ungarn, in Großbritannien… wird die Immigration beschuldigt, die Freizügigkeit im Schengen-Raum, die „nachlässigen Grenzkontrollen“. Die israelische Regierung beschuldigte die EU, lieber Israel zu kritisieren als die islamischen Terrorzellen bei sich zu bekämpfen. Moskau profitiert davon, um seine Unterstützung Assads zu rechtfertigen. In den Vereinigten Staaten predigt der republikanische Kandidat Donald Trump die Schließung der Grenzen und… die Anwendung der Folter! Im Lager der französischen Republikaner (LR) ist es kaum besser, wo lauthals nach der Inhaftierung von Personen verlangt wird, die als „S“ (unter Überwachung stehende Personen, die als potentielle Gefahr für die „Sicherheit des Staates“ eingestuft sind) registriert sind, und zwar „dauerhaft und unwiderruflich“.
Das ist der Gedanke des von der LR eingebrachten Gesetzesänderungsantrags, der Anfang März in erster Lesung abgestimmt wurde….
Auf europäischer Ebene haben diese Attentate die Widersprüche und Unstimmigkeiten vergrößert. Der französische Minister Sapin sprach von der „Naivität“ der belgischen Behörden gegenüber dem Kommunitarismus (1), Valls versuchte den Ball anlässlich eines Besuchs in Brüssel zu übernehmen, indem er seinerseits Angela Merkel attackierte: „Vor einigen Monaten fragten die französischen Medien :’Wo ist die französische Merkel?‘ oder wollten der Kanzlerin den Nobelpreis übergeben. Heute sehe ich die Ergebnisse.“
Für die Zeitung Le Monde ist die schnelle Auslieferung Salah Abdeslams als Fortschritt in der europäischen Zusammenarbeit zu begrüßen: „Es ist Schluss mit der schuldhaften Romantik von Francois Mitterrand, der die Terroristen der Roten Brigaden nicht an Italien auslieferte“, konnte man aus der Feder einer ihrer Journalisten lesen, der nach noch radikaleren Maßnahmen als Antwort auf die Lage verlangte: „Die Gründung eines europäischen FBI, um zu verhindern, dass Brüssel sich zu einer Drehscheibe und dann zu einem Opfer des Terrorismus verwandelt. Mit der Einführung einer Politik der Bündnisgrenzen, da die Griechen ihre Grenzen nicht bewachen können. Und die Einrichtung einer gemeinsamen Verteidigung, um ernsthaft gegen die Organisation Islamischer Staat vorzugehen und wirklichen Druck auf die Länder des Mittleren Orients auszuüben.“
Also, ob sie nun für „mehr Europa“ sind oder austreten wollen, Sozialdemokraten, Sozialliberale, Liberale oder Nationalisten, alle sind sich in einem Punkt einig: dem Ruf nach polizeilicher Zusammenarbeit auf europäischer und internationaler Ebene.
In Frankreich machte sich das der neue Minister für Stadtentwicklung, Jugend und Sport für seinen Mediendurchbruch zunutze,in dem er behauptete, es gäbe „in Frankreich etwa hundert Stadtviertel, die potentielle Ähnlichkeiten mit dem, was in Molenbeek passierte, zeigten“. Ihm zufolge „ist (Molenbeek) eine enorme Konzentration von Armut und Arbeitslosigkeit, ein System des Kommunitarismus, ein mafiöses System mit einer Schattenwirtschaft, ein System, in dem die öffentlichen Dienste praktisch verschwunden sind, ein System, wo die Abgeordneten resigniert haben.“ Diese angeblich „hellsichtigen“ Äußerungen wurden von der Rechten und dem Front National lebhaft begrüßt. Sie stützen sich auf eine Tatsache: die Häufung von Armut und Arbeitslosigkeit, die Ausbreitung von Schmuggel, Verschlechterung der Wohnqualität und Aufgabe der öffentlichen Versorgung in den ärmeren Stadtvierteln. Sie stützt sich auch auf die Tatsache, dass die terroristischen Gruppen erwarten können, hier ein für die Fanatisierung und Rekrutierung einiger verwirrter Jugendlicher günstiges Terrain vorzufinden. Aber solche Aussagen sind falsch und gefährlich, denn sie machen die Vorstellung glaubwürdig, dass die heruntergekommenen Arbeiterviertel Bastionen des Terrorismus und Bedrohungen „für die Republik“ seien. Das ist erneut eine Stigmatisierung dieser Viertel und kann sehr schnell dazu führen, der Kriminalisierung der Armut und dem Umkippen in die Islamophobie Vorschub zu leisten. Für ihre Bewohner ist das eine doppelte Strafe!
Während der Sparkurs seine Raubzüge bei der Erziehung, der Gesundheit, im Wohnungsmarkt unternimmt und die Zahl der Armen, Prekären und Arbeitslosen ständig zunimmt, fehlt zur gleichen Zeit nie das Geld, um die „Ordnungskräfte“ zu verstärken, neu zu organisieren und mit Waffen hochzurüsten: neue Ausstattung für Polizei und Gendarmerie, sehr starken Druck, die Ortspolizisten zu bewaffnen…
Um das zu rechtfertigen, wird man uns weiterhin regelmäßig ankündigen, dass dies oder jenes größere Attentat in Vorbereitung verhindert werden konnte, aber jeder hat begriffen, dass weder die Verstärkung des „Kriegs gegen den Terrorismus“, noch die Steigerung der Sicherheitsmaßnahmen in der Lage ist, die Bevölkerung tatsächlich zu schützen. Die einzig wirklichen Schranken, die wir gegen den Terrorismus errichten können, sind die Volkseinheit und die Solidarität, die Organisierung und Verbreitung des Widerstands der Arbeiter und kleinen Leute gegen die Sparpolitik, die Politik der Reaktion und des Krieges… und die Aussicht auf eine radikale Veränderung der Gesellschaft auf fortschrittlichen Grundlagen.

1) Unter Kommunitarismus (lat. communitas ‚Gemeinschaft‘) versteht man eine politische Philosophie, die die Verantwortung des Individuums gegenüber seiner Umgebung und die soziale Rolle der Familie betont.

Aus „La Forge“ April 2016, Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs (PCOF)