100 Jahre Novemberrevolution in Deutschland: Auf dem Weg zur Novemberrevolution 1918

Im November 2018 begehen wir den 100. Jahrestag der Novemberrevolution: Ein epochales Ereignis für unser Land! Sie erfasste hunderttausende Menschen im ganzen Reich, entwickelte ungeheure Kräfte. Sie konnte nur mit brutaler Gewalt von den Kräften der Konterrevolution, vor allem von der nun sozialdemokratisch kommandierten Reichswehr- und Freikorpseinheiten am Weiterschreiten zu einer sozialistischen Revolution gehindert werden. Hier zeigte sich die revolutionäre Kraft unserer Arbeiterklasse und unseres Volkes, auch wenn wir heute weit davon entfernt scheinen. Und sie ist ein lebendiges Anschauungsmaterial für die Gefahren, die einer Revolution drohen. Daher wollen wir im Laufe des Jahres einige besondere Aspekte dieser Revolution herausarbeiten.

Mit diesem Beitrag beschäftigen wir uns mit den Wurzeln der Novemberrevolution.

Mit Leserbrief am Ende.

Die Novemberrevolution war kein einmaliger Akt, der aus dem Nichts heraus entstand. Die deutsche Arbeiterklasse war nicht urplötzlich revolutionär, um dann wieder von der Bühne der Geschichte abzutreten. Die Novemberrevolution hat eine lange Geschichte und hat ebenso tiefe Spuren in unserem Land hinterlassen.

70 Jahre zuvor war das Kommunistische Manifest, geschrieben von Karl Marx und Friedrich Engels, erschienen. 43 Jahre zuvor war die SPD als revolutionäre Arbeiterpartei unter Führung von August Bebel und Wilhelm Liebknecht gegründet worden. Und sie war damals eine wirklich revolutionäre Partei, die das kapitalistische System stürzen und beseitigen sowie den Sozialismus aufbauen wollte. Diese beiden bedeutenden Ereignisse basierten auf der Existenz einer starken, kämpferischen Arbeiterbewegung. Ohne eine solche Massenbasis hätte sich der Gedanke des Sozialismus niemals so weit verbreiten und verankern können. Nur so konnte die SPD trotz Verbots unter Bismarck zur stärksten sozialistischen Partei weltweit heranwachsen. Nur so konnte die deutsche Arbeiterbewegung sich entwickeln und in zahlreichen Kämpfen dem Kapital Zugeständnisse abringen, die bis heute zum Vorteil der Arbeiterklasse sind. Angesichts der immer stärker werdenden Arbeiterbewegung und ihrer revolutionären Ausrichtung führte beispielsweise Bismarck die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung ein. Er hoffte damit, ein weiteres Anwachsen zu verhindern. Doch das Gegenteil war der Fall. Denn die Menschen begriffen sehr wohl, dass dieser Erfolg nur ihrer Stärke zu verdanken war. Und sie wollten in ihrer großen Mehrheit mehr: Den Sozialismus, eine andere Gesellschaft!

Doch von Anfang an gab es in der revolutionären SPD verschiedene Strömungen und damit verbunden Opportunismus, Anbiederung an das Kapital. Schon Marx und Engels kämpften mit aller Kraft dagegen an. Zusammen mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht konnten sie die SPD für lange Zeit auf einem revolutionären Kurs halten und voranbringen.

Insbesondere in der mit dem Wachstum der Gewerkschaften stark gewordenen Gewerkschaftsbürokratie entwickelten sich zunehmend Verfechter einer „friedlichen Lösung“ einer „Zusammenarbeit mit dem Kapital zum Wohle aller“. Diese Sorte ist der Arbeiterklasse im modernen Gewand der Co-Manager erhalten geblieben. Die Sprüche sind heute englisch durchsetzt, aber im Inhalt dieselben wie vor mehr als hundert Jahren.

Der Kampf in der revolutionären Bewegung um die Stellung zum Krieg

Ein wichtiger Ausgangspunkt für die Novemberrevolution war der Beginn des imperialistischen 1. Weltkrieges.

Schon früh begann eine Auseinandersetzung innerhalb der SPD um die Haltung zum Krieg. So hatte der internationale Stuttgarter Sozialistenkongress von 1907 mit knapper Mehrheit die sozialdemokratischen Parteien verpflichtet, alle Mittel anzuwenden, um die Kriegsgefahr zu bekämpfen und den Weltfrieden zu erhalten. Auf Antrag von Lenin und Luxemburg wurde folgender Zusatz angenommen:

Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, sind sie (die sozialdemokratischen Parteien) verpflichtet, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, um die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur politischen Aufrüttelung der Volksschichten und zur Beschleunigung des Sturzes der kapitalistischen Klassenherrschaft auszunutzen.“

1912 wurde dieser Beschluss beim Internationalen Sozialistenkongress in Basel zwar noch einmal bestätigt, doch in der Realität war der Einfluss der „Vaterlandsverteidiger“ bereits gestiegen.

Schon 1907 hatte der Reichstagsabgeordnete Gustav Noske (SPD), von dem wir später wieder hören werden, bei der Beratung des Militäretats die Friedenspolitik der kaiserlichen Regierung gelobt (!) und erklärt, die Sozialdemokratie wolle keinesfalls die Disziplin im Heer untergraben, sie wolle Deutschland möglichst wehrhaft sehen und sie werde im Kriegsfall das Gewehr auf den Buckel nehmen und sich im Kriege von keiner anderen Klasse an Patriotismus übertreffen lassen. Noske wurde nicht etwa aus der SPD rausgeschmissen, sondern machte Karriere.

Noch kurz vor Beginn des 1. Weltkrieges veröffentlichte der Vorwärts am 25.7.1914 einen Aufruf gegen den imperialistischen Krieg, der mit den Forderungen endete:

Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Hoch die internationale Verbrüderung!“

Hatte das kaiserliche Militär zunächst auf Geheiß der Regierung geplant, alle sozialdemokratischen Abgeordneten bei Kriegsbeginn zu verhaften, wurde bereits am 24.7.1914 im Kriegsministerium beschlossen, von Verhaftungen abzusehen. In einer Instruktion des Kriegsministeriums vom 31.7.1914 hieß es dazu:

Nach sicherer Mitteilung hat die Sozialdemokratische Partei die feste Absicht, sich so zu verhalten, wie es sich für jeden Deutschen unter den gegenwärtigen Verhältnissen geziemt.“

Während man also am 25.7.1914 noch Aufrufe gegen den Krieg im Vorwärts veröffentlichte, hatte man bereits insgeheim Kontakte zur kaiserlichen Regierung aufgenommen und dieser versichert, man werde beim Krieg mitmachen!

Und zugleich begann in den sozialdemokratischen Zeitungen übelste chauvinistische Hetze. So rief die „Frankfurter Volksstimme“ am 31.7.1914 zum „Sturz des Zarentums und seines Blutregiments“ auf. Am 2.8.1914 erklärte die „Chemnitzer Volksstimme“: „Deutschlands Frauen und Kinder sollen nicht das Opfer russischer Bestialität werden, das deutsche Land nicht die Beute der Kosaken.… für die deutsche Freiheit und die Unabhängigkeit des deutschen Volkes werden unsere Genossen in den Kampf ziehen..“

Wie wenig unterscheidet sich diese primitive Hetze von der heutigen Hetze gegen Russland.

Am 4.8.1914 stimmten die SPD im Reichstag den Kriegskrediten zu. Der SPD-Abgeordnete Haase, der sich zunächst innerhalb der Reichstagsfraktion gegen eine Zustimmung ausgesprochen hatte, verlas als Fraktionsvorsitzender eine Erklärung der SPD:

Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. Uns drohen die Schrecknisse feindlicher Invasionen…

Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Sieg des russischen Despotismus, der sich mit dem Blute der Besten des eigenen Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Es gilt diese Gefahr abzuwehren, die Kultur und die Unabhängigkeit unseres eigenen Landes sicherzustellen.

Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich.“

Es folgten dann noch ein paar warme Worte, dass man hoffe, dass die Kriegsleiden die Massen vom Ideal des Sozialismus und des Völkerfriedens überzeugen würden. Verlogener ging es nicht!

Diese sozialdemokratische Gewerkschaftszeitung durfte legal erscheinen und Kriegsparolen verkünden

Die Bourgeoisie wusste diese Haltung zu schätzen. Die SPD wurde zum Partner. Zugleich aber wurde eine Militärdiktatur errichtet und eine Zensurbehörde geschaffen. Sozialdemokratische Zeitungen durften frei erscheinen und auch ein paar kritische Töne anschlagen, wenn sie nur zur „Vaterlandsverteidigung“ aufriefen.

Diese sozialdemokratische Gewerkschaftszeitung, die eine revolutionäre Haltung gegen den Krieg einnahm, wurde mit Unterstützung der SPD-Führung zensiert.

Sozialdemokratische Zeitungen, die dies nicht mitmachten, und davon gab es einige, erschienen oft mit weißen Stellen oder ganzen weißen Seiten, weil Beiträge von der Zensur verboten wurden. Später wurden sogar solche weißen Stellen verboten, weil dadurch die Zensur und der Protest dagegen sichtbar wurde.

Der Kampf der Revolutionäre gegen den Krieg

Rosa Luxemburg

Mit der Entwicklung der SPD zur Kriegspartei gründeten die Revolutionäre um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg 1914 die „Gruppe Internationale“, die sich 1916 in Spartakusbund umbenannte und 1917 der von der SPD abgespaltenen USPD anschloss. Nachdem die Gruppe sich am 30.10.1914 in der Schweizer Zeitung „Berner Tagwacht“ öffentlich von der SPD-Führung distanzierte, wurde sie offiziell polizeilich überwacht und bald einige ihrer Mitglieder festgenommen, darunter Rosa Luxemburg. Sie musste am 18. Februar 1915 eine einjährige Haftstrafe im „Berliner Weibergefängnis“ antreten. Schon drei Monate nach ihrer Entlassung wurde sie nach dem damaligen Schutzhaft-Gesetz zur „Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit des Reichs“ zu insgesamt zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Juli 1916 begann ihre „Sicherungsverwahrung“. Drei Jahre und vier Monate verbrachte sie zwischen 1915 und 1918 im Gefängnis.

Doch auch im Gefängnis blieb sie aktiv, sammelte Informationen, schrieb Analysen und Aufrufe. Sie fand Wege, diese herauszuschmuggeln, wo sie illegal verbreitet wurden.

Karl Liebknecht

Karl Liebknecht stimmte am 2. Dezember 1914 als einziger SPD-Abgeordneter offen gegen weitere Kriegskredite. Die kaiserliche Regierung und die SPD wollten ihn nun loswerden. Daher wurde er Anfang Februar in ein Armierungs-Bataillion eingezogen, wo er an der West- und an der Ostfront eingesetzt war. Damit unterstand er der Militärgerichtsbarkeit. Jede politische Betätigung außerhalb des Reichstages und des preußischen Landtages war ihm verboten. Dennoch war er weiter aktiv und warb Menschen für den Spartakusbund, der sich so stärkte. 1916 sprach er bei der „Osterkonferenz der Jugend“ in Jena gegen den Krieg. Am 1.Mai 1916 war er Führer einer Antikriegsdemonstration in Berlin. Als er ausrief „Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“ wurde er verhaftet. Er kam dann mit Hilfe der SPD-Führung hinter Gittern. Er wurde aufgrund seiner Ablehnung der Burgfriedenspolitik aus der SPD-Fraktion ausgeschlossen und wenig später wegen „Kriegsverrat“ zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Prozess, eigentlich gedacht als Exempel gegen die Revolutionäre, geriet zum Fiasko für die kaiserliche Justiz: Organisiert von den Revolutionären Obleuten fand in Berlin ein spontaner Solidaritätsstreik mit über 50.000 Beteiligten statt. Statt die Opposition zu schwächen, gab Liebknechts Verhaftung dem Widerstand gegen den Krieg neuen Auftrieb. Nach etwa zwei Jahren Haft wurde er knapp drei Wochen vor dem Ende des Ersten Weltkrieges freigelassen.

In den folgenden Ausgaben von „Arbeit Zukunft“ werden wir den weiteren Weg zur Novemberrevolution aufzeigen, die Folgen des Krieges für die Arbeiterklasse und die Massen darlegen und uns mit der Entwicklung des Opportunismus auf der einen Seite und der Revolutionäre auf der anderen Seite beschäftigen.

dm

Leserbrief

Sehr gut geschriebener Artikel. Das Thema berührt mich deswegen, weil mein Opa damals bei der kaiserlichen Marine zur Revolution übergelaufen ist. Eine tolle Dokumentation über die Novemberrevolution hat auch Hartmut Idzko hergestellt.

Beim Vorlauf der Revolution spielen auch eine Rolle die Arbeiterbildungsvereine wie des Wilhelm Bracke in Braunschweig.

L.