Korrespondenz: „Nur siebzig“ AfDler – aber das sind siebzig zuviel!

Die AfD hatte intensiv geworben in „sozialen Netzwerken“, auf rechtsextremen Hetzseiten im Internet usw. für eine Kundgebung und Demonstration am Pfingstsonntag in Recklinghausen – „für mehr Transparenz in der Politik und mehr soziale Gerechtigkeit“. Die Stadt Recklinghausen wollte darauf „angemessen antworten.“ Und sie tat das so, wie sie es in der Vergangenheit bei ähnlichen Anlässen immer getan hat: zwar zeitgleich, aber räumlich getrennt wurde zusammen mit den Kirchen deren Pfingstfest gefeiert als „Friedensfest“ gegen Rechtspopulismus. Das Ergebnis war, dass die etwa 1000 an diesem Fest teilnehmenden Menschen den Rechtsradikalen nicht optisch und akustisch entgegentraten, sondern sie ungestört gewähren ließen. Ist die Vermutung abwegig, dass die dieses Fest Organisierenden gerade das erreichen wollten?

Verschiedene nicht im Fahrwasser der Herrschenden schwimmende Organisationen und Einzelpersonen hatten für den Samstag vor dem Aufmarsch der Rechten einen „Kreativmarkt“ organisiert, auf dem es Musik und andere kulturelle Beiträge gab, auf dem aber vor allem von zahlreichen Bürgern Plakate selbst gestaltet wurden, die dann entlang der bekannten Demo-Route „möglichst hoch“ aufgehängt wurden – viele von ihnen überstanden die Nacht auch. Da konnte man z.B. lesen: “Es ist ganz einfach: Gehirn einschalten, Rassismus ausschalten!”

Da ich auch für mehr Transparenz in der Politik bin und für mehr soziale Gerechtigkeit, beschloss ich, zur Kundgebung zu gehen, und zog mir dazu mein T-Shirt vom Bildungsstreik vor ein paar Jahren an – mit den Bildern von Karl Marx und Friedrich Engels und der Forderung „Neue Lehrer braucht das Land“. Ich wollte versuchen, möglichst mit „Zombies“ ins Gespräch zu kommen, also mit Leuten, die aus verständlicher Empörung über die Zustände hier den Rechten in die Falle gehen. Und – wer hätte das gedacht ? – ich kam problemlos durch die Polizeiabsperrung und auch unbehelligt zu den rechten Demonstranten. Vielleicht kannten die die Bilder von Karl und Friedrich nicht…

Angekündigt in der Presse waren etwa 500 Teilnehmer – gekommen waren jedoch nur etwa siebzig. Anwesende riefen per Handy bei noch Erwarteten an und stellten fest: „Die pennen noch!“ Na, wenn das nicht Selbsterkenntnis ist und der erste Schritt zur Besserung!

Unter den siebzig Rechten waren natürlich vor allem die zu hart Abgekochten, weshalb es mit den Gesprächen nichts wurde bis auf das mit einem Pensionär. Er arbeitet in einer Gruppe für bessere Altersversorgung und bezeichnete sich als „neutral“.Er gab mir ein Infoblatt mit etwa 15 Punkten, für die sich diese Rentnerorganisation einsetzen wollte: überwiegend „Reform von …“ ohne nähere Erklärung. Reformen macht ja „unsere“ Regierung noch und nöcher, doch die sind meist von Nachteil für die „Reformierten“; die Forderung nach gleicher Rente für Witwen und Witwer konnte ich unterstützen; als dann die Forderung nach einem Stop des Familiennachzugs für Flüchtlinge kam, war für mich auch die angebliche „Neutralität“ vorbei – ich nenne den Namen der „Rentnerband“ nicht, weil ich keine Werbung für die machen will.

Am Sammelplatz der Rechten hatten sich auch fast siebzig Gegendemonstranten eingefunden, die sich optisch und akustisch bemerkbar machten. Etwa dreißig von ihnen waren Jugendliche der „Antifaschistischen Aktion“, mit denen ich gut klar kam. Neben den antifaschistischen Nettigkeiten, die wir und sie den Faschisten bei solchen Gelegenheiten um die Ohren hauen, hatten sie z.B. die Parole „Nationalismus – raus aus den Köpfen!“ Sie sahen die Front wie ich auch zwischen „oben“ und „unten“, also zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten; zu letzteren gehören ja auch viele, die den Rechten nachlaufen. Und deshalb sollten wir uns darum kümmern, was sie im Kopf haben und sie nicht vor den Kopf stoßen, sondern dessen Inhalt zu ändern versuchen. „Abwegige“ Friedensfeste sind dazu ungeeignet! Zombie – what’s in your head?