Zombie – Was ist in Deinem Kopf?

Foto: Dolores O’Riordan, CC-Lizenz

Seit fast 25 Jahren begeistert das Lied „Zombie“ der irischen Gruppe The Cranberries vor allem die Jugend. Die Urfassung von 1994 ist bei YouTube bei mehr als 725.000.000 Aufrufen angelangt! Nimmt man weitere Fassungen des Original-Liedes mit anderem Bild-Hintergrund hinzu, so kommt man auf über 1 Milliarde Aufrufe. Hinzu kommen noch die täglich mehr werdenden Cover-Versionen von Einzelpersonen und Musikgruppen vor allem aus Europa, aber auch aus Nordamerika bis hin nach Sri Lanka (Ceylon) und Indonesien.

Woher kommt diese große Begeisterung? Darin drückt sich für uns der Wunsch nach Frieden und die Ablehnung des Krieges aus. Dieses Engagement vor allem der Jugend begeistert uns und ist ermutigend.

Was war der Anlass für dieses Lied? Bei einem Anschlag im Jahr 1994, der der Irischen Republikanischen Armee (IRA) zugeschrieben wurde, kamen in England zwei Kinder ums Leben. Das machte die irische (!) Mutter Dolores O’Riordan, Sängerin der Cranberries, so betroffen, dass sie dieses Lied schrieb – ich teile ihre Betroffenheit. Sie vergleicht in ihrem Lied die in Nordirland kämpfenden britischen Soldaten, die nordirischen „protestantischen“ Freischärler, aber auch die im Jahr 1994 immer noch wie 1916 (Beginn des Freiheitskampfes gegen England) militant kämpfenden Iren mit Zombies.

Was sind Zombies? Der Begriff stammt aus dem Voodoo-Kult; es sind Menschen, die durch eine Droge willenlos gemacht wurden – „lebende Tote“, die wie Automaten jeden Befehl ausführen. In unserer Sprache trifft es wohl das Wort „Kadavergehorsam“ ziemlich genau.

Ich verstehe den Wunsch der Sängerin nach Frieden. Ihre Kritik am bewaffneten Kampf der IRA im Jahr 1994 halte ich aber für falsch – die IRA-Kämpfer waren keine Zombies, sie hatten England immer wieder Friedensverhandlungen angeboten und Abkommen geschlossen, doch die wurden von den Engländern bzw. den Ulster-Freischärlern abgelehnt oder blutig gebrochen. Erst mehrere Jahre nach 1994 kam es zu einer hoffentlich endgültigen Lösung. Ich hoffe, dass der im Lied ausgedrückte verständliche Wunsch nach einem Ende des Blutvergießens dem Kampf der IRA nicht geschadet hat.

Es ist ein Lied für die „Zombies“, nicht gegen sie. In der Ursprungs-Fassung des Liedes tritt Dolores als Voodoo-Priesterin auf, vor einem mit herabhängenden Stricken versehenen christlichen Kreuz, und wird zusammen mit ihren Anhängern brutal abgeschlachtet – ich verstehe das im katholischen Irland als eine massive Kritik von Dolores an der blutigen Geschichte der christlichen Kirche; ich teile diese Kritik. Außerdem verstehe ich diese Darstellung auch als Warnung von Dolores an die „Zombies“: Wenn „sie“ Euch nicht mehr brauchen, schmeißen sie Euch weg – Zombies, wacht endlich auf! In Eurem Kopf sind nicht ich oder meine Familie, sondern „sie“! (aus dem Liedtext). Dolores sagt nicht, wer „sie“ sind, aber für mich ist klar: Es sind die, die die wirtschaftliche und damit auch politische Macht haben, die Kapitalisten.

Das Lied regt dazu an und ich sehe es als notwendig an, sich nach den Erfolgen, die im militanten Kampf später mit einem Friedensschluss errungen wurden, die Frage vorzulegen, ob aufgrund der durch den erfolgreichen Kampf veränderten Bedingungen nicht andere Kampfmethoden anzuwenden sind. Ich meine: der antikoloniale Freiheitskampf ist in den Klassenkampf umgeschlagen. Sollten nicht auch in Nordirland – noch zu Großbritannien gehörend – „katholische“ und „protestantische“ Arbeiter sich vereinigen?

Zombies“ gibt es nicht nur in Irland, sondern in allen Ländern. Und es gibt sie nicht nur beim Militär, sondern z.B. auch bei den Faschisten und Rassisten. Wir müssen (wie Dolores O’Riordan und die Cranberries) um ihre Köpfe kämpfen – die Front verläuft zwischen oben und unten, zwischen Unterdrückern und Unterdrückten. Wer sind in unserem Land die „Zombies“? Und: zuerst ist die Unterdrückung da – danach erst beginnt der Kampf gegen sie. Zuerst ist die von den Herrschenden verursachte Not da, erst dann beginnt… Damit hätten wir auch die Schuldigen… Damit können wir auch aufzeigen, dass es leider nicht ohne Kampf gehen wird, doch nicht wir verursachen ihn. Das ist auch manchen Cover-Gruppen des Liedes klar. Beim VoiceKids-Wettbewerb z.B. traten 3 junge Mädchen aus Belgien mit dem Namen „The Battle“ (Der Kampf) an – also keineswegs pazifistisch. Und gerade macht bei YouTube und in der Musikszene die Gruppe „Bad Wolves“ mit ihrer Version des Liedes Furore. Den Namen „Böse Wölfe“ haben sie sich selbst gegeben, was auch nicht gerade für Pazifismus spricht… Sie haben auch den Text geändert: die Jahreszahl 1916 haben sie durch 2018 (also „heute“) ersetzt und die von den „Zombies“ verwendeten Waffen um die Drohnen ergänzt – eine eindeutige Kritik an den heute mit Drohnen kämpfenden imperialistischen Mächten, den Herren über die „Zombies“ und ihre Gehirne. Dolores war übrigens von dieser geplanten Version ihres Liedes so begeistert, dass sie es zusammen mit den Bad Wolves aufnehmen wollte – leider kam es dazu nicht mehr.

Inzwischen tauchen bei YouTube auch Cover-Versionen auf, die das Lied verhöhnen – „das Imperium schlägt ganz offenbar zurück!“

Psychologische Untersuchungen haben übrigens ergeben, dass „der Mensch“ von seiner Natur her zwar in der Lage ist, „Blitzkriege“ zu führen, also nur wenige Wochen dauernde Kriege, dass aber länger dauernde Kriege auch bei Freiheitskämpfern die Gefahr erhöhen, dass sie verrohen und ihrer menschlichen Natur widersprechend brutal kämpfen.

Ich halte das Lied „Zombie“ für sehr geeignet, in der gegen Krieg und für Frieden eingestellten Jugend und auch bei älteren Menschen eine konstruktive und solidarische Diskussion über (nicht nur) den politischen Kampf anzuregen. Wie wäre es z.B. mit so einer Art „Arbeitsblatt“ für dieses Thema? Ein paar Stichpunkte dazu: Reden erst die Völker selber, werden sie schnell einig sein / Ein Volk, das andere Völker unterdrückt, kann selbst nicht frei sein / Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln / Die Hitlers kommen und gehen – das deutsche Volk bleibt bestehen / Nationalkomitee Freies Deutschland / Im Ernstfall das Gewehr umgedreht / aber auch: Wir haben lang genug geliebt, oh, lasst uns endlich hassen!… Die Liste darf ergänzt werden!!! Ich bitte um Vorschläge und vor allem um deren Umsetzung…

Am 15. Januar diesen Jahres verstarb Dolores O’Riordan im Alter von 46 Jahren unerwartet an einer Krankheit – ich trauere um sie. Arbeiten wir in ihrem Sinne weiter, kämpfen wir um die Köpfe der „Zombies“!

M.H. (aus dem „Kohlenpott“)