Tarifrunden 2019: Mehr Geld für 7,3 Millionen Kolleg/innen – nur mit Kampf!


Viele Branchen stehen 2019 vor Tarifauseinandersetzungen, das heißt: Rund 7,5 Millionen Beschäftigte, gewerkschaftlich Organisierte wie Unorganisierte.

Öffentlicher Dienst der Länder

Zum 31. Dezember 2018 kündigten die Gewerkschaften ver.di, GEW, und der Beamtenbund die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst der Länder. Das betrifft rund 935.700 Kolleginnen und Kollegen. Diese Tarifverträge beeinflussen aber auch die Einkommen von etwa 2,1 Mio. Beamten und Versorgungsempfängern, geht es nach Tarifabschlüssen in diesem Bereich doch regelmäßig um deren Übernahme. Beamte haben entgegen den Regeln der Internationalen-Arbeits-Organisation (ILO) in Deutschland kein Streikrecht.

Metall:

Ebenfalls zum Ende des Jahres hat die IG Metall die Eisen- und Stahltarifverträge in Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen (Nordwesten) sowie im Osten für ca. 92.500 Kolleg/innen gekündigt. Am 10. Januar starten bereits die Tarifverhandlungen für die Eisen- und Stahlindustrie im Nordwesten, sowie für den Osten. Die erste Verhandlung für die ostdeutsche Stahlbranche ist für den 28. Januar geplant. Bis 31. Januar gilt noch die so genannte Friedenspflicht. Ab 1. Februar sind Warnstreiks zulässig. Da ist sehr schnell Solidarität gefragt!

Großer Bereich Handel – nicht zu unterschätzen!

Vor allem aber gibt es Tarifauseinandersetzungen im Einzel- und Großhandel: Im März in Hessen, Saarland, Baden-Württemberg mit 498.000 Kolleginnen und Kollegen des Einzelhandels und im Groß- und Außenhandel Bayerns mit 180.800 Betroffenen.

Im April folgen der Einzelhandel in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bayern. Das betrifft nahezu 1,4 Millionen Kolleginnen und Kollegen! Der Groß- und Außenhandel in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Hessen, Rheinland-Rheinhessen, Pfalz, Saarland, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt schließt sich an mit über 400 000 betroffenen Kolleginnen und Kollegen.

Das sind gewaltige Zahlen! Zusammen überschlägig 2,5 Millionen!

Sehr viele Kolleginnen und Kollegen sind hier prekär Beschäftigte mit dramatisch schlechten Löhnen und Arbeitsbedingungen. Sie haben hohen Bedarf an deutlichen Lohnerhöhungen und tariflichen Rechten. Sie sind längst Teile der Arbeiterklasse, sind scharfen ausbeuterischen Leistungsanforderungen unterworfen, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen liegen oft sogar unter dem Niveau des Industrieproletariats.

Schwierig ist der Tarifkampf hier wegen des relativ geringen Organisationsgrades. Nach wie vor ist er im Einzelhandel selten höher als 10 %. Oft liegt er sogar noch darunter, so der bekannte Arbeitsrechtsanwalt Rolf Geffken.

Trotzdem haben ver.di-Kolleg/innen gerade auch im Handel in den vergangen Jahren immer wieder große Kampfbereitschaft bewiesen. Deshalb sollten alle revolutionären Kräfte gerade hier Solidarität und praktische Unterstützung leisten. Helfen wir dabei, möglichst viele in den zuständigen Bereichen von ver.di zu organisieren.

Es wird auch sonst keine Ruhe geben!

Doch es gibt 2019 in vielen weiteren Branchen Auseinandersetzungen: Im Januar 2019 starten Tarifrunden im Bankgewerbe mit 217.900 und für die Textilindustrie (Bekleidungsindustrie im Februar) mit zusammen ca. 70 000 Betroffenen.

Im Februar folgen die Papier erzeugende Industrie (39.000), die private Energieversorgung Baden-Württemberg (37.000).

Später im Jahr gibt es zahlreiche weitere gewichtige Tarifauseinandersetzungen, von denen wir hier nur drei von besonderer Bedeutung hervorheben wollen:

* Ab Oktober 2019 wird die IG BCE Tarifverhandlungen in der Chemischen Industrie führen, was ca. 600.000 Beschäftige betrifft.

* Ab September geht es für die rund 180.000 Kolleg/innen der Holz- und Kunststoff verarbeitenden Industrie um höhere Löhne.

* Und schließlich werden laut Hans Böckler-Stiftung ab Dezember 2019 Tarifverhandlungen für die Leiharbeitsbranche geführt. Das betrifft alarmierende 980.000 Arbeiter/innen und Angestellte, fast ein Million Kolleg/innen und Kollegen, worauf Arbeit Zukunft immer wieder hingewiesen hat. Auch hier herrscht ein geringer Organisationsgrad. Auch hier sollten Kommunist/innen und Revolutionäre bei den betroffenen Menschen Aufklärung leisten, Solidarität und praktische Unterstützung geben, damit die Kolleg/innen sich organisieren. Aber speziell der DGB, der die Verhandlungen führt, darf die Organisierungsarbeit unter Leihkolleg/innen und anderen Prekären nicht länger vernachlässigen.

Einen brauchbaren Überblick über all die Tarifrunden findet man hier: https://www.boeckler.de/112132_116380.htm# . Insbesondere die genauere Aufstellung unter: https://www.boeckler.de/pdf/pm_ta_2018_10_10.pdf

Tarifforderungen: 5,5% und 6% mehr Lohn?

Ohne starke öffentliche Beachtung hat längst eine Forderungsdebatte stattgefunden, in der die Gewerkschaftsvorstände mit Empfehlungen eingegriffen haben. Nach dem bekannten Muster: Eine auf den ersten Blick respektable Lohnerhöhungsforderung. Aber schon jetzt ist zu befürchten, dass davon nur ein kleiner Teil umgesetzt, über mehrere kleinere Jahresstufen verteilt und mit andersartigen Forderungen verrechnet wird. Das konnten wir im Frühjahr 2018 insbesondere bei der IG Metall, bei „Metall und Elektro“ studieren.

Sowohl die IG Metall (bei Eisen und Stahl) als auch ver.di gehen mit einer Forderung nach 6 % mehr Lohn in die Auseinandersetzungen. Verdi fordert zusätzlich immerhin einen Festgeldbetrag!

Forderungen für den öffentlichen Dienst im Einzelnen

Am 20. Dezember 2019 haben die Gewerkschaften ver.di und dbb (Beamtenbund) ihre Forderungen bekanntgegeben, denen sich auch die GEW und sogar die in einigen Bereichen zuständige IG Bau im Wesentlichen anschlossen:

* 6 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 200 EUR!

* Laufzeit: 12 Monate!

* Erhöhung der Pflegetabelle um 300 EUR!

* Festbetrag für Auszubildende von 100 EUR und die

* Übernahme von Auszubildenden nach erfolgreicher Ausbildung!

* Endlich 30 Tage Urlaub auch für Auszubildende!

* Verhandlungen über die Einführung einer Paralleltabelle für Lehrkräfte und

* Abschaffung von sachgrundlosen Befristungen

IG Metall-Forderungen für die Stahlindustrie: Sechs Prozent mehr!

Im Einzelnen:

* 6 Prozent mehr Geld für die Beschäftigten in der nordwestdeutschen und ostdeutschen Eisen- und Stahlindustrie.

* Auszubildenden-Vergütungen sollen stärker steigen als die übrigen Entgelte.

* Zusätzliche tarifliche Urlaubsvergütung von 1800 Euro (600 Euro für Auszubildende), einmal im Jahr und „tarifdynamisch“, also mit künftigen Tariferhöhungen mitwachsend.

* Verhandlungen darüber, ob Beschäftigte die neue zusätzliche Urlaubsvergütung auf freiwilliger Basis auch in Zeit nehmen können.

* Verlängerung der Tarifverträge zu Beschäftigungssicherung, Altersteilzeit und zum Einsatz von Fremdfirmen über sogenannte Werkverträge.

Sowohl ver.di und die mit ver.di verbundene Verhandlungsgemeinschaft als auch die IG Metall stellen Forderungen auf, die solidarisch unterstützt gehören. Arbeit Zukunft ruft aber alle Kolleginnen und Kollegen auf, sich kämpferisch – mit hoher Aktions- und Kampfbereitschaft – sowie mit kritischen und klaren Worten innerhalb der Gewerkschaft für die entschiedene Durchsetzung stark zu machen.

Aber schon jetzt gibt es kritische Punkte:

Gern übersehen wird in der Öffentlichkeit, dass die IG Metall auch in der Textil- und Bekleidungsindustrie wie auch bei Holz und Kunststoff die Kolleginnen und Kollegen organisiert und vertritt. Und da fällt es ausgesprochen negativ auf, dass hier nur 5,5% Lohnerhöhung gefordert werden. Rücksichtnahme auf die Belange des Kapitals?

In jedem Fall ist das ein negatives Politikum, zeigt es doch, dass die „mächtigste Gewerkschaft der Welt“ (Eigenwerbung) nicht in der Lage ist, ihre Mitglieder unter einer gemeinsamen Forderung zusammen zu schließen. Eine Chance ist vertan, branchenübergreifende Solidarität zu demonstrieren. Das gelingt noch nicht einmal in einer entscheidenden Gewerkschaft, wie soll es Gewerkschaftsübergreifend funktionieren? Das haben klassenkämpferische Kolleg/innen immer gefordert.

Nach der Tarifrunde 2018: Nicht alle gehen in den Kampf!

In einigen Branchen wird im kommenden Jahr nicht verhandelt, weil die Verträge bis ins Jahr 2020 gelten. Dies gilt für die Metall- und Elektroindustrie, für Bund und Gemeinden des öffentlichen Dienstes oder das Bauhauptgewerbe.

Schon jetzt ist klar, dass das ein Schaden für die betroffenen Kolleg/innen ist: Die offizielle Inflationsrate 2018 liegt bereits bei 1,7 %. Die frisst natürlich die Lohnerhöhungen von 2018 auf. Beispiel-Tarifvertrag 2018: Verteilt man die erstrittenen 4,3% auf die 27 Monate um, kommt man pro Jahr auf 2,1%. Tut man das nicht, gibt es eben 2019 keine Lohnerhöhung, trotz wachsender Inflation. Aber bei 2,1% pro Jahr kommen – mit den vereinbarten Einmalzahlungen – Metaller/innen auf das Jahr gerechnet auf knapp 3,4% heraus. Mit 1,7 %, Inflationsrate wird dieser Betrag glatt halbiert. Und das gilt auch 2019, wenn die Infiltrationsrate stabil bliebe.

Dabei muss noch berücksichtigt werden, dass der durchschnittliche Warenkorb der Lohnabhängigen einer wesentlich höheren Inflation ausgesetzt ist, als der gesamt-gesellschaftliche Durchschnitt; hier fallen vor allem die dramatisch wachsenden Wohnungskosten ins Gewicht. Unterm Strich bleiben pro Jahr also etwa 1%, vielleicht etwas mehr. Aber die Tarifverträge gelten weiter, die Inflation wächst ebenfalls, was von der Europäischen Zentralbank offen als Ziel ihrer Politik angegeben wird.

(Vgl. auch: https://www.arbeit-zukunft.de/2018/02/10/abschluss-tarifrunde-metall-2018-das-kennen-wir-doch-grosse-erfolgsmeldungen-aber-real-ein-harter-rueckschritt/ )

Aber legal gibt es keine Möglichkeit, den Abschluss zu korrigieren. Hätte der Abschluss 2018 ehrlicherweise ca. 3,2%, aber dann auf 12 Monate, gelautet, hätten die Metaller/innen bei Metall- und Elektro jetzt ebenfalls 6% gefordert. Das ist ihnen verwehrt. Ein gutes Geschäft fürs Kapital.

Ohne Kampf, ohne Urabstimmung und Streik kein Erfolg!

Die von den Tarifkämpfen betroffenen Kolleginnen ermutigen wir: Kampfbereitschaft gegenüber dem Kapital, Bereitschaft, die Arbeit niederzulegen für vielfältige Aktionen, in Urabstimmungen und in den Streik zu gehen! Nur diese Sprache verstehen die Unternehmen, versteht das Kapital!

Aber auch kritisch in der Gewerkschaft sein! Es wäre wichtig, endlich aus dem üblichen Tarifritual auszubrechen, wo man schon anfangs ausrechnen kann, was am Ende rauskommt. Vertrauensleute und Mitglieder sollten von den Vorständen klare Kante und entschiedenen Kampf verlangen. Die Forderungen sind überhaupt nicht übertrieben, eher bescheiden! Angesichts der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich gibt es keinen Grund für Zurückhaltung und Bescheidenheit, sondern eine volle Durchsetzung der Forderungen ist notwendig. Deshalb:

Alle gemeinsam gegen das Kapital! Und gegen die Regierungen des Kapitals!