Kommentar: Ein Tag für die Geschichtsbücher – 20. September 2019


Es gab in der Geschichte Deutschlands nach 1945 eine Reihe von Anlässen für die Bevölkerung, aus politischen Gründen auf die Barrikaden zu gehen: Der Kampf gegen die Wiederaufrüstung Westdeutschlands, die Notstandsgesetze, der NATO-Doppelbeschluss, der Kampf gegen die Atomkraft, der Kampf gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA … – da waren es Hunderttausende – aber fast 1,5 Millionen wie am “Friday for Future” am 20. September diesen Jahres, das gab es noch nie! Weltweite Proteste in mehr als 150 Ländern!

Und wer hat die Menschen auf die Beine gebracht? Die Jugend in ihrer berechtigten Sorge um Verschlechterung des Klimas und Zerstörung der Umwelt! Die “Kinder”, diese “substanzlosen Nachäffer pubertierender Jugendlicher”! Wir finden, sie können stolz darauf sein und wir sollten ihnen höchste Anerkennung zollen und sie sollten sich durch solche Beleidigungen nicht verunsichern lassen. Ganz im Gegenteil: sie sollten sich über solche Verunglimpfungen freuen und sich dadurch ermutigt fühlen, denn sie zeigen, dass ihre Gegner keine anderen Argumente haben, schon gar keine wissenschaftlichen. Wir klauen jetzt mal bei Greta: Sie sagte sinngemäß in einem Interview: “Ich sage ihnen: ‘Unser Haus brennt!’ Sie gucken mich an und fragen: ‘Was hast Du denn für eine Bluse an?’”

Die Jugendlichen haben angefangen mit der Parole “Wir streiken, bis Ihr handelt!” Das war eine Aufforderung nicht nur an die Politiker, sondern an alle Erwachsenen. Die Jugendlichen begnügen sich aber schon längst nicht mehr damit, uns nur aufzufordern: Sie stellen selbst konkrete Forderungen auf, handeln selbst immer mehr im Sinne des Klimaschutzes, verlassen immer mehr die Beschränkung auf Klima und CO2 und gehen zum Umweltschutz als Ganzem über, stoßen dabei auf die Frage, ob eine andere Klima- und Umweltpolitik in dem herrschenden Gesellschaftssystem überhaupt möglich ist… Es geht ihnen auch längst nicht mehr nur um die eigene Zukunft. Wir finden, diese Jugend ist auf einem guten Weg. Sie sollte sich dabei nicht verunsichern lassen – weder durch Disziplinarmaßnahmen noch durch Beleidigungen oder durch um ihren Mund geschmierten Honig – und wir sollten sie mit all unseren Kräften unterstützen – sie kämpfen auch für die Zukunft der Älteren!

Wir sehen die Gefahr, dass Parteien und Politiker versuchen, das Engagement der rebellischen Jugend für die Wirtschaft, vor allem für die notwendige Energiewende einzuspannen und zu missbrauchen. Die Jugendlichen spüren das ganz offensichtlich auch und wollen sich nicht benutzen lassen, daher ihre starke Ablehnung von z.B. Parteifahnen, aber auch von Partei-Politikern bei den FfF-Kundgebungen und Demonstrationen. Ein Bürgermeister darf (sollte u.E. nach sogar!) reden, aber als Bürgermeister und nicht als Sprecher der XYZ-Partei! Entsprechendes gilt für Ministerinnen usw. “Angy” wurde eingeladen zum 20. September – als Kanzlerin, nicht als CDU-Mitglied., kam aber weder noch…

Noch etwas macht uns Sorge: Die Ungeduld mancher Jugendlicher. Sie ist verständlich, birgt aber die Gefahr der Spaltung in sich und es gibt natürlich Kräfte, denen das Recht wäre. In der kurzen Zeit von etwas mehr als einem halben Jahr haben es die Jugendlichen nicht nur geschafft, unglaublich viele Menschen zu mobilisieren, sondern sie sind auch “in der Mitte der Gesellschaft” angekommen: Sie haben Menschen aus nahezu allen Gesellschaftsschichten für diesen Kampf gewonnen. Das hätten sie mit einem ungeduldigen, radikaleren Vorgehen nicht erreicht. Es würden keine Kirchenglocken mehr zur Teilnahme an den Freitagen aufrufen, keine Geschäfte oder Kultureinrichtungen den dort arbeitenden Menschen mehr freigeben usw.

Drücken wir es mal militärisch aus: es ist immer für beide Teile schlecht, wenn Vorhut und Haupttruppe von einander getrennt werden – das erleichtert dem Gegner den Kampf. Die Ungeduld von XR (Extinction Rebellion, eine internationale Bewegung vor allem gegen das Artensterben) ist gut und verständlich, aber sie darf nicht dazu führen, dass bei einem Speer die Spitze vom Schaft getrennt wird – das macht beide wirkungslos! Das verhilft dem Gegner (und den gibt es, der ist mächtig und hat lange Kampferfahrung!) zum Sieg – in diesem Falle wäre das die weitgehende Zerstörung der Umwelt, der Pflanzen- und Tierwelt einschließlich Mensch. “Das Leben” auf der Erde würde wohl nicht vernichtet, aber Aber-Milliarden Lebewesen müssten mit dem Leben zahlen.

Den Begriff “Trojaner” kennt jeder. Eine Festung wird am Besten von innen genommen… Noch einmal: Wir halten die rebellischen Jugendlichen für ehrlich – aber seid auch weiterhin auf der Hut! “Teile und herrsche…”

Wir zitieren zum Schluss aus einem Lied des österreichischen Protestsängers Georg Danzer:

Die Ruhe nach dem Sturm ist nur die Ruhe vor dem Sturm!”

Handeln wir danach, holen wir tiefer und – wenn nötig – auch länger Luft, um dann um so länger und weiter pusten zu können!