Zu den machtvollen Protestbewegungen im Irak und im Libanon

Es ist zu früh, von einem „arabischen Herbst“ analog dem vergangenen „arabischen Frühling“ zu sprechen, wie er gewissermaßen von der revolutionären Bewegung 2010 in Tunesien ausgegangen ist, aber es gibt unleugbar tiefgreifende Bewegungen, die sich vom Mittleren Osten zum Maghreb, vom Sudan nach Ägypten, vom Irak nach Libanon, nicht zu vergessen Algerien, wo die Bewegung politisch sicher am reifsten ist, erstrecken. Wenn auch die Triebfeder allgemein die sozialen Forderungen sind, wenn diese Bewegungen auch breite Schichten der unteren Volksschichten mitreißen, wenn auch die Anklage der Korruption der „Regierenden“ überall laut wird, so sind doch die Interessen und Ziele der armen Schichten, die im Elend leben und den „mittleren“ Schichten, die auch von der wirtschaftlichen Krise betroffen sind, aber danach streben, den vorhergehenden Zustand wieder zu erreichen, wo es ihnen „gut ging“, nicht die gleichen.

Mann darf vor allem nicht vergessen, dass die imperialistischen Mächte und ihre Verbündeten, Saudi-Arabien und Israel, ihre Angriffe seit Jahren gegen den Iran und Organisationen wie die libanesische Hisbollah richten, dass sie die Hauptverantwortlichen der allgemeinen Instabilität in der Region sind, die von den Kriegen, die sie dort führen, verwüstet wird. Anders gesprochen: wenn es wichtig ist, die großen Entwicklungslinien, die sich abzeichnen, zu versuchen darzustellen, dann ist es auch wichtig, die Besonderheiten jedes Landes zu berücksichtigen.

Diese Bewegungen entstanden in Staaten, wo schon seit Jahren autoritäre Regimes herrschen. Der Wille, diese Regimes, ihre Galionsfiguren und die Kohorte der „Räuber“ und Profiteure in ihrem Umfeld „zum Teufel zu jagen“, ist stärker als die Kugeln, die Tränengasschwaden, die töten und verletzen und die Drohung mit dem Einsatz der Armee. In vielen Fällen hegt diese, zumindest in den unteren Rängen, die gleichen Bestrebungen, was oft die Oberen veranlasste, aus Furcht vor „Verbrüderung“ mit unabsehbaren Folgen für sich selbst, keine Repressionen anzuordnen.

Jede dieser Bewegungen hat, verbunden mit der Geschichte, der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, dem regionalen Umfeld, dem Bestehen oder Nicht-Bestehen von fortschrittlichen sozialen und politischen organisierten Kräften, ihre eigenen Merkmale, aber ihnen ist gemeinsam, dass sie gewaltige Massen mobilisieren, die wochenlang demonstrieren und Plätze besetzen und versucht haben, immer mehr Schichten der Bevölkerung mit zu reißen, selbst die Landbevölkerung, die als „konservativer“ als die Stadtbevölkerung angesehen ist. Meistens sind die Jungen, Männer und Frauen, die treibende Kraft dieser Bewegungen.

Ein anderer Punkt, der berücksichtigt werden muss, ist der, dass diese Volksbewegungen in einem Kontext von Kriegen stattfinden, die weite Regionen heimsuchen, nie weit weg von den Kanonen und Flugzeugen der imperialistischen Koalitionen; Kriege, die Länder ruiniert, scheinbar unüberbrückbare Spaltungen hervorgerufen, Gesellschaften destabilisiert und immer im Namen des „Kriegs gegen den islamistischen Terror“ geführt wurden. Diese Kriege wurden als „Siege“ dargestellt, die sie nie waren. Sie dienen nur zur Rechtfertigung für die dauerhafte Präsenz der ausländischen Streitkräfte. Aber wenn sie gestern noch in manchen Fällen und bei Teilen der Bevölkerung als ein „notwendiges Übel“ angesehen wurden, um eine tyrannische Kraft, wie heute den IS, zu bekämpfen, so sind sie jetzt gleichbedeutend mit Plünderung, Spaltung und Verhinderung jeglicher Veränderung zu Gunsten der Völker. Dem Irak wurden die Erdölquellen geraubt, Syrien auch, genauso wie Libyen. Die US-Ölkonzerne und ihre (französischen, britischen) Partner oder (russischen) Rivalen ziehen, geschützt von den Besatzungstruppen oder ihren lokalen Verbündeten, daraus den Nutzen.

Die Mehrheit der Bevölkerung in diesen Ländern sind muslimischen Glaubens aller möglichen Richtungen. Die sich dort entwickelnden Bewegungen, versuchen, diese religiösen Differenzen zu überwinden und den politisch-religiösen Zwängen zu entkommen, in denen sie die herrschenden Kräfte festzuhalten suchen, um eine gemeinsame Identität voranzubringen, die der Nation, zu der sie gehören; „wir sind alle vor allem Iraker/innen, Libanesen/Libanesinnen, Sudanesen/Sudanesinnen, Algerier/innen“, geeint im Kampf gegen die Armut, das Elend, die Korruption, das Fehlen von Freiheit und Zukunft, die uns von den Clans, den Parteien an der Macht, ob laizistisch oder religiös, genommen wurden.

Entledigen wir uns jetzt dieser Diebe, die uns spalten, uns im Chaos und im Elend lassen und uns durch die großen ausländischen Konzerne berauben lassen, dann werden wir schon sehen“, das ist weithin gemeinsame Gefühl von zigtausend, ja Hunderttausenden von Demonstranten, Männern und Frauen, die sich erhoben haben und nicht mehr wie früher leben oder überleben wollen.

Aber das lässt sich nicht machen, ohne nicht nur die autokratischen und korrupten Regime vor Ort, sondern auch die Einmischung des US-Imperialismus und seiner imperialistischen Verbündeten wie Frankreich, seiner regionalen Verbündeten wie die reaktionären Monarchien und Israel, zu bekämpfen.

(aus La Forge, Zeitung der Komm. Arbeiterpartei Frankreichs (PCOF), Nov. 2019)