Großschlachterei Tönnies – Massenhaltung für Menschen


Karikatur: Guido Kühn, www.guidos-welt.de; Danke für die unentgeltliche Überlassung

„Unser Arbeitsminister arbeitet schon lange an einer Verordnung“

…das sagte entschuldigend NRW-Ministerpräsident Laschet (CDU) zum Skandal bei der Großschlachterei Tönnies. Damit traf er ins Schwarze!

Aktualisiert mit Leserbrief

Denn die brutalen Methoden sowohl bei der Schlachtviehhaltung als auch der Massenhaltung der Arbeiter/innen in diesen Großschlachthöfen sind seit langem bekannt. Der Arbeitsminister von NRW, Laumann (CDU) hatte also sehr viel Zeit, um etwas zu unternehmen. Doch wie hat er sie genutzt?

Ja, wäre es um ein neues Polizeigesetz gegangen, mit dem die demokratischen Rechte weiter abgebaut werden? Da war die Landesregierung von NRW sehr schnell.

Aber hier ging es um Profite, um Großindustrielle. Da muss man lange „Nachdenken“, alles abwägen, prüfen, prüfen und nochmal prüfen. Da können schon mal ein paar Jahre ins Land gehen, ohne dass etwas geschieht. Dann läuft alles seinen „gewohnten Gang“: Tiere und Menschen werden gequält. Als Argument dient „billiges Fleisch“, dabei ist hoher Profit gemeint.

Es ist schon grotesk, dass NRW-Ministerpräsident Laschet als „Entschuldigung“ anführt, dass seine Regierung jahrelang nichts getan hat. Wir dachten, er als Ministerpräsident regiert. Oder wird er regiert? Vom Kapital!

Auch Laumann hatte als zuständiger Minister eine tolle Ausrede: Es nütze nichts, nur Gesetze zu verschärfen, man müsse auch deren Einhaltung überwachen.

Entlarvender geht es nicht! Ist er nicht der verantwortliche Minister? Warum hat er dann keine Überwachung organisiert?

Die Antwort ist einfach: Wie in allen Bundesländern wurde auch in NRW die Überwachung durch Gesundheitsämter, Finanzämter und andere Behörden für Großkonzerne so drastisch abgebaut, dass diese sich praktisch selbst kontrollieren. Laumann (CDU) führt also als „Entschuldigung“ eine Situation an, die er selbst herbeigeführt hat. Er nimmt sein Versagen und seine Untätigkeit als Ausrede.

Vor dem Gesetz sind alle gleich?

Vor ein paar Wochen wurden vier Menschen, die auf einer Decke gemeinsam Picknick machten, zusammen zu tausend Euro Strafe verurteilt. Und was passiert bei Tönnies?

Erst einmal hat die NRW-Landesregierung getan, was sie am besten kann: Nichts! Man hat Tönnies zu Beginn des Skandals, als vor zwei Wochen die ersten Fälle von Infektionen bekannt wurden, ermahnt und erklärt, dass man die Auflagen einhalten muss. Obwohl Videos, die massenhaft im Internet kursieren, schon damals bewiesen, dass dort kein Mindestabstand eingehalten, keine Masken getragen wurden, die Kantine überquoll, gab es keine Strafe, sondern eine „freundschaftliche“ Ermahnung! Zudem hat NRW-Ministerpräsident Laschet (CDU) die Vertragsarbeiter beschuldigt, die Infektionen eingeschleppt zu haben. Niederträchtig! Die Opfern wurden zu Tätern gemacht. Und dann hat die Landesregierung gewartet, bis die Situation so eskalierte, dass über 1000 infiziert waren.

Jetzt schreit die NRW-Landesregierung „Haltet den Dieb!“. Sie klagen Tönnies der „mangelhaften Kooperation“ an. Das stimmt! Allerdings, was hat die Landesregierung getan? Wo hat sie ihre eigenen Gesetze und Verordnungen durchgesetzt und kontrolliert? Wo hat sie Strafen ausgesprochen, Konsequenzen gezogen?

Erst jetzt, wo Alarmstufe rot herrscht, macht man Anordnungen. Doch was geschieht mit den Vertragsarbeitern? Werden sie besser untergebracht, um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren? Nein! Sie werden in ihren Massenunterkünften hinter Gittern eingesperrt. Ein besseres Bild für die unmenschlichen Lebensbedingungen dieserArbeiter/innen gibt es nicht. Und wenn andere Menschen das Pech haben, dass sie ebenfalls in diesem Wohngebiet leben, dann werden sie einfach mit eingesperrt.

Das zeigt deutlich: Es geht nicht um eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Es soll ein Lockdown und damit eine Schmälerung der Profite vermieden werden. Das Problem wird auf Kosten der Geschädigten gelöst.

Ginge es ernsthaft um die Menschen, dann würde die NRW-Landesregierung auf Kosten von Tönnies:

– Die betroffenen Arbeiter/innen in menschenwürdige Unterkünfte umsetzen, statt sie einzusperren.

– Den Vertragsarbeiter/innen ihr Einkommen garantieren und zahlen.

– Den Familien, die ihre Kinder wieder selbst betreuen müssen, vollen Lohnersatz leisten.

– Alle kleinen Selbständigen für Umsatzeinbußen durch die Maßnahmen entschädigen.

Doch das wird nach den Gesetzen dieser „Demokratie“ nicht gehen. Denn da ist das Eigentum des Kapitals heilig und darf nicht angetastet werden, während das Eigentum von Vertragsarbeiter/innen, Familien, kleinen Selbständigen ohne Probleme geschädigt werden darf.

Der Fall Tönnies macht wieder einmal klar, ein System, das auf dem Profitstreben basiert, ist unmenschlich. Der Kapitalismus muss beseitigt werden!

 

Leserbrief zum Artikel über den Tönnies-Skandal

Laschet lehnte eine weiterreichende Quarantäne in NRW ab, weil seine Landesregierung keine größere Ansteckungsgefahr für die Allgemeinheit feststellen könne – trotz der über 1.300 Corona-Fälle.

Was zum Ausdruck bringt: Die Tausenden Menschen, die in Tönnies‘ Betrieb schuften, sind am Ende ihres Arbeitstages so erschöpft, dass sie nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können – von dem sie dank der Hungerlöhne wahrscheinlich ohnehin ausgeschlossen sind! Laschet hat diese Tatsache offenbar dankbar registriert und macht schrankenlose Ausbeutung zu seinem persönlichen Programm.

Weiter wird in der Presse von der moralischen Entrüstung der Verbraucher berichtet. Der Konsument, so der Tenor, müsse und wolle sein Verhalten ändern, damit sich die Zustände in den Fleischfabriken ändern.

Das ist Stuss! Ein Ausdruck der feuchten Träume von Apologeten der Volkswirtschaftslehre, die ihre eigenen Theorien nicht zu verstehen imstande sind. Marktregulation durch den Preis kennt die VWL nur, wenn dieser nach unten geht.

Die EU hat mittels ihrer riesigen Subventionen alles dafür getan, dass die gesamte Produktionskette vom Ferkel zum Filet in den Händen von Monopolen konzentriert ist. So wird in Tönnies Fabriken fast ein Drittel der Schweine für den deutschen Markt geschlachtet.

Tönnies und Konsorten verarbeiten die permanente Überproduktion der Fleischindustrie, deren wirtschaftliches Überleben weit mehr von EU-Subventionen abhängt, als von den Marktpreisen ihrer Produkte. Profite können nur noch durch die Vergrößerung des Mehrwertes generiert werden.

Reduziert der Verbraucher seinen Fleischkonsum oder wählt die teureren Fleischprodukte, ändert sich daran – gar nichts!

Das beste Beispiel für die axiomatische Marktmacht des Verbrauchers gab und gibt die Automobilindustrie: Jahrelang postulierten die bürgerlichen Gazetten den Wunsch der Verbraucher nach sparsamen Modellen. Die Antwort der Industrie auf diesen Wunsch war das SUV. Und mit der E-Mobilität wird gerade die nächste Runde der Bereicherung der Industriemonopole eingeleitet.

Doch ein weiterer Grund für die beschränkte Marktmacht des Verbrauchers muss genannt werden: Wer kann sich teures Fleisch überhaupt leisten? Brot, Kartoffeln und Wurst sind die mit Abstand billigsten Lebensmittel in den Supermärkten. Wer im Niedriglohnsektor schafft oder seine Familie von Transferleistungen ernährt, erlaubt sich bestenfalls zu Weihnachten etwas Teureres. Und in der sich jetzt entfaltenden Wirtschaftskrise wird die Zahl derer wachsen, die geradeso über die Runden kommt.

Die freie Wahl des Lebensmittels ist ein Luxusproblem, das sich nur den begüterten Klassen stellt.

Auch die Forderungen sollten ergänzt werden.

Laschet weiß, dass er am längeren Hebel sitzt. Derzeit könnte sogar der Pförtner des Gesundheitsamtes Tönnies‘ Bude schließen, wenn der politische Wille dazu vorhanden wäre. Aber Laschet will Kanzler werden – und das geht nicht gegen die Industrie.

Tönnies erlaubt sich millionenschwere Förderungen des Profifußballs (Schalke 04, Bilanzsumme 2019: 275 Mio. EUR; davon Sponsoring-Erlöse von 73,3 Mio. EUR) und des Frauenfußballs (FSV Gütersloh 2009, dessen Stadion selbstredend Tönnies-Arena heißt und auf dem Grundstück seiner Schweinefabrik in Rheda steht). Es ist also reichlich Geld vorhanden, die Werktätigen in Tönnies‘ Fabriken zu versorgen – Tönnies müsste nur auf sein teures Hobby verzichten.

Werkverträgler und Scheinselbständige aus dem Ausland werden von den Gewerkschaften weitestgehend ignoriert. Sie passen dank der Natur ihrer Beschäftigungsverhältnisse nicht in die Mitgliederstruktur der DGB-Gewerkschaften, die sich auf Regelbeschäftigte konzentriert.

Das muss sich ändern! Gewerkschaften wie NGG, IG BCE oder Verdi, die von derartigen Beschäftigungsverhältnissen besonders betroffen sind, brauchen angepasste Mitgliedschaften. Diese sollten mittels minimaler Beiträge den vollen Schutz der Mitglieder garantieren.

Bei akuten Konflikten sollten sie auf bezahlte Mitgliedschaften notfalls verzichten, dazu sollte der DGB die erforderlichen Mittel schaffen. So hätte die viel beschworene internationale Solidarität auch mal praktische Konsequenzen im Klassenkampf!

Dazu braucht es eine organisatorische Struktur, die solche Mitglieder gewinnen und betreuen könnte, nämlich Barfußfunktionäre, die Unterkünfte, Baustellen und Arbeitsplätze der Werktätigen abklappern. Die jüngsten Erfolge der anarchistischen Basisgewerkschaft FAU beweisen, dass eine solche Arbeit möglich ist.