Das „saubere“ Bundesverfassungsgericht


Karikatur von Kola

Ein Beitrag von Heinz Ahlreip

Am 13. August 2020 veröffentlichte die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ einen Artikel von Dr. Fabian Michl, der als Akademischer Rat a. Z. an der Universität Münster tätig ist. Sein Artikel ist mit der Überschrift versehen worden: ‚Rote Roben, weiße Westen?‘ und in ihm geht es um die nationalsozialistischen Verstrickungen der ersten Richtergeneration des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, das 1951 gegründet wurde. Und zwar war es dieses Gericht selbst, das Anfang 2020 beschlossen hat, seine anfänglichen Verflechtungen mit dem Hitlerregime untersuchen zu lassen, d. h. 43 Lebensläufe zu durchleuchten. Dr. Michl schreibt eine Biografie über die Richterin Wiltraut Rupp von Brüneck und kann daher mit eigenen, ersten vier Forschungsergebnissen aufwarten. Hilfreich ist dabei, dass heute in das Bundesarchiv eingegliederte ‚Berliner Document Center‘, das über umfangreiche NSDAP-Parteiunterlagen verfügt.

Wie sauber war das höchste BRD-Gericht, wenn man es im Zusammenhang mit der Nazi-Zeit untersucht? Es hatte sich zu Beginn der BRD ein für das Verfassungsgericht willkommenes Vorurteil eingebürgert, darauf hinauslaufend, dass gerade dieses Gericht im Vergleich mit untergeordneten Instanzen und ihren personellen Kontinuitäten nicht braun belastet sei. Das galt bis in die 60er Jahre, bis es zum ‚Fall Willi Geiger‘ kam. Es war herausgefunden worden, dass dieser Bundesrichter als Staatsanwalt, Mitglied der NSDAP und der SA, am NS-Sondergericht in Bamberg mit Todesfolgen tätig war. Seine Dissertation hatte er laut Michl mit einem Goebbels-Zitat eingeleitet. Das war ein erster Knacks im sauberen Bild. Im Zuge seiner Arbeit an der Rupp-von Brünneck-Biografie haben sich für Michl weitere Namen aufgetan: Der bereits 1958 verstorbene Franz Wessel, der es vor 1945 bis zum Regierungsdirektor gebracht hatte, und Hans Kutscher, Mitglied der NSDAP seit dem 1. Mai 1933 und der SA. In seiner Dissertation bei Ernst Forsthoff vertrat Kutscher 1938 die Einordnung des Eigentums in die ‚gesamtvölkische Wirtschaftsordnung‘. In den Fällen Wessel und Kutscher ist zu beachten, dass beide, Wessel 1950 und Kutscher 1955 auf Vorschlag der SPD zu Bundesverfassungsrichtern gewählt wurden. Der Alt-Nazi Kutscher hat es dann immerhin bis zum ersten und einzigen deutschen Präsidenten des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg gebracht. Eine erstaunliche reaktionäre Kette: NSDAP – SPD – Beteiligung am Verbot der KPD – Handlanger der europäischen Finanzbourgeoisie. Am ausgiebigsten kann Michl natürlich mit Fakten über Wiltraut Rupp-von Brünneck aufwarten. Sie war Mitglied der NS-Frauenschaft, einer Gliederung der NSDAP gewesen und engagierte sich erheblich für die Versklavung von Männern und Frauen. Die Wirklichkeitsnähe der nationalsozialistischen Ideologie entspräche dem Wesen der Frau, gab sie zum Besten. In der von der Sowjetunion befreiten Zone gelang es ihr zunächst, der revolutionären Wachsamkeit zu entkommen und als Richterin unterzuschlüpfen, wurde aber 1946 enttarnt. Es verschlug sie nach Hessen, wo sie unter der schützenden Hand des sozialdemokratischen Justizministers und späteren Ministerpräsidenten Zinn Sprosse um Sprosse nach oben bis ins höchste Richteramt kam. Am Ende seines Artikels rutscht Dr. Michl erheblich aus, so dass es bei seinem Fazit im Schlusssatz schon peinlich wird. Ich darf an dieser Stelle zitieren: „Es war eine große Leistung der ersten Richtergeneration in Karlsruhe, die disparaten Lebenserfahrungen auf der Richterbank zu einem (überwiegend) segensreich wirkenden Ganzen zu vereinen und mit ihren Entscheidungen den normativen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen sich die Bundesrepublik zu einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratie entwickeln konnte. Vor dem Hintergrund der NS-Belastung Einzelner tritt diese kollektive Leistung umso deutlicher hervor“. (Dr. Fabian Michl, Rote Roben, Weiße Westen?, Die nationalsozialistische Vergangenheit von Richtern des Bundesverfassungsgerichts, in: FAZ vom 13.8.2020,6).

So kann nur ein Akademischer Rat schreiben, der mit einem falschen Ansatz den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht und nicht auf das Einfachste kommt. Auszugehen ist natürlich von der Feststellung von Marx und Engels im Manifest, dass das Recht der zum Gesetz erhobene Wille der herrschenden Klasse ist. Auch sollte man sich bei einer juristischen Thematik stets der Worte von August Bebel erinnern, dass Juristen reaktionäre Leute sind. Rote Roben? Von wegen. 1956 hat sich das Bundesverfassungsgericht durch das Verbot der KPD einer Verschwörung gegen das arbeitende deutsche Volk schuldig gemacht und sich nahtlos in die Kontinuität der faschistischen Terrorherrschaft gegen das arbeitende deutsche Volk eingereiht. Das Bundesverfassungsgericht ist bis heute nicht sauber, es stinkt und trieft nur so vor Schmutz eingedenk der Worte von Brecht, dass es die Schmutzigen sind, die die Kommunisten schmutzig nennen. Auch stößt natürlich dem Akademischen Rat nicht die rege Mitwirkung von Sozialdemokraten bei der Zuführung von Alt-Nazis in das oberste deutsche Gericht auf, so dass die Worte Stalins bestätigt werden, dass diese „Genossen“ den gemäßigten Flügel des Faschismus bilden. Die Sache dürfte doch klar sein und man fragt sich, warum das Bundesverfassungsgericht mit dem Projekt ‚Untersuchung der Verflechtung der ersten Richtergeneration mit dem nationalsozialistischen Regime‘ Steuergelder zum Fenster hinauswirft?