Pass auf, von wo du fliehst!

Der Angriffskrieg in Russland führt zu Tod und Zerstörung in der Ukraine. Mehrere Millionen Menschen, insbesondere Frauen und Kinder, sind aus dem Land geflüchtet – weitere werden wahrscheinlich folgen. Die Bilder von hilfsbereiten Menschen an Bahnhöfen, die zum Teil sogar dazu bereit sind, ihre privaten Wohnungen für ukrainische Familien bereitzustellen, erfüllten uns mit Hoffnung in diesen Zeiten. Wenn man bei Google „Geflüchtete“ eingibt, wird einem vorgeschlagen: „Geflüchteten Kinder Ukraine aufnehmen“ oder „Geflüchtete privat aufnehmen“. Und auch die Bundesregierung entfaltet eine massive Öffentlichkeitsarbeit, um für die Unterstützung von Geflüchteten aus der Ukraine zu werben. Doch wie auch bei der Welle von Geflüchteten im Jahr 2015 waren es die Menschen selbst, die praktische Solidarität bewiesen haben – unabhängig von der Haltung der Bundesregierung. Also welche Absichten verfolgt die Bundesregierung mit ihrer Fluchtpolitik aktuell?

Erinnern wir uns kurz zurück. Als 2015 in der Folge des Bürgerkriegs in Syriens Millionen von Menschen ihre Heimat verlassen mussten und sich auf den Weg nach Europa gemacht haben, hat die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel laut verkündet: „Wir schaffen das!“. Was wir wirklich geschafft haben: Hunderttausende Menschen haben sich freiwillig gemeldet, um mit ehrenamtlicher Arbeit und Sachspenden die Last der hier ankommenden Geflüchteten zu lindern. Vielerorts haben sich Initiativen von und für Geflüchtete gebildet, die sich zum Teil bis heute noch mit dem Thema beschäftigen. Ganze Bewegungen wie die „Seebrücke“ oder „Welcome united“ sind entstanden, die das Schicksal der Geflüchteten in der Öffentlichkeit publik gemacht haben. Wir haben gesehen, dass die Menschen in unserem Land dazu in der Lage gewesen sind, umfangreiche Hilfen zu mobilisieren, aus eigener Kraft, mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen.

Die Bundesregierung, die kurz auf diesen Zug mit aufgesprungen ist, hat aber das genaue Gegenteil gemacht: mit Zwangsmaßnahmen wie der Residenzpflicht (Geflüchtete durften z.B. nicht ihren Landkreis verlassen), der menschenunwürdigen Massenunterbringungen in Container-Dörfern und der Verhinderung davon, dass Geflüchtete eine Arbeit aufnehmen und sich ihren eigenen Lebensunterhalt finanzieren können. Zahlreiche Skandale wie Übergriffe von Sicherheitsleuten auf geflüchtete Frauen oder gerade auch während der Pandemie die mangelnden Hygienemaßnahmen haben den Geflüchteten das Leben zur Hölle gemacht. Das „Wir schaffen das!“ war plötzlich weg. Vielmehr wird nun darüber diskutiert, wie man die Geflüchteten möglichst „konsequent abschieben“ kann (GRÜNE). Gleichzeitig wird mit der „Grenzschutzorganisation“ FRONTEX ein militärischer Apparat ausgebaut, der Menschen vor der Mittelmeerküste ertrinken lässt oder Kooperationen zu Warlords z.B. in Libyen unterhält, die mit Gewalt, Sklaverei und Vergewaltigung Geflüchtete davor abschrecken sollen, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Von dem „Wir schaffen das!“ ist nichts mehr übriggeblieben. Doch was hat sich verändert?

Sei es der Bürgerkrieg in Syrien im Jahr 2015 oder Ukraine-Krieg heute: die Positionierung der Bundeswehr in der Frage danach, wie sie sich zu den „Fluchtströmen“ verhält, ist stark von geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen geprägt. Denn wenn man sich die Sache genauer ansieht, wird man feststellen, dass diese „Solidarität“ nur den Opfern des Krieges gilt, die von einem Feind der Bundesregierung losgetreten worden seien – wie z.B. Assad in Syrien oder Putin und Russland. Dass man selbst, durch zahlreiche Einsätze der NATO und der Bundeswehr, sei es in Jugoslawien, Afghanistan, Irak oder Libyen, das Leben von Millionen Menschen vernichtet und noch mehr Menschen dazu gezwungen hat, ihr Land zu verlassen, wird geschwiegen.

So ist auch die „Solidarität“ der Bundesregierung mit der ukrainischen Bevölkerung eine Farce. Auf der einen Seite wird für kommende Kriege aufgerüstet, werden Waffen in die Ukraine geschickt und durch Kriegshetze die Eskalation weiter befeuert, auf der anderen Seite stellt die Bundesregierung sich als humanitären Retter der ukrainischen Bevölkerung dar. Die Bundesregierung versucht durch ihre Positionierung ihre angebliche moralische Überlegenheit zu unterstreichen, und ihre politischen Ziele als die moralisch korrekten zu schmücken. Dabei ist ihr das Schicksal der Geflüchteten im Grunde egal: dass man durch Auslandseinsätze der Bundeswehr oder durch die Beteiligung an der NATO, aber auch durch die Waffenexporte aus Deutschland bis heute und auch weiterhin noch den Tod und die Zerstörung in weiten Teilen der Welt in Kauf nimmt, ist der Beweis dafür.

Die Heuchelei erreicht aber in diesen Wochen ihren Höhepunkt: nicht nur werden Geflüchtete als moralisches Druckmittel zur Legitimierung der aggressiven Außenpolitik der Bundesregierung missbraucht, missbraucht wird auch die Arbeitskraft der Geflüchteten aus der Ukraine. Während der Fleischkonzern Tönnies (bekannt für miserable Arbeitsbedingungen und hemmungslose Ausbeutung osteuropäischer Arbeiter) an der polnisch-ukrainischen Grenze unter Geflüchteten Arbeitskräfte für seine Standorte in Deutschland geworben hat, werden insbesondere ukrainische Frauen versucht in die Prostitution zu zwingen oder als billige Arbeitskräfte auszunutzen. Und auf der Grundlage der „Massenzustromrichtlinie“ der EU und eigens geschaffener besonderer „Integrationsmaßnahmen“ der Bundesregierung versuchen Unternehmen aus dem Gesundheitssektor billige Arbeitskräfte zu rekrutieren. So äußert sich auch der Vorsitzende des Bundesverbandes für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) gegenüber dem ARD: „Bis zu 300.000 Ukrainerinnen werden schätzungsweise für die Hälfte des Honorars arbeiten und alle Bedingungen ertragen, um ihre Familien zu ernähren«. Diese Arbeiterinnen mit einem Bruchteil des Lohns ausgebeutet werden – zur Freude privater Gesundheitsunternehmen.

Was uns bleibt ist die Solidarität. Wir sind solidarisch, nicht nur mit der ukrainischen Bevölkerung, sondern auch mit der Bevölkerung in Russland, die unter dem Krieg leidet, aber auch die dutzenden von Millionen von Geflüchteten aus allen Teilen der Welt, die einzig und allein ein Leben in Sicherheit suchen. Und wir packen selbst kräftig an: die Solidarität der Menschen, ihre Hilfe für Geflüchtete ist nicht von der Bundesregierung abhängig. Das war sie 2015 nicht und das ist sie heute auch nicht. Lassen wir uns deshalb nicht gegeneinander ausspielen. Helfen wir denen, denen geholfen werden muss. Und wenn sie denn unbedingt möchten: Gebt denjenigen, die politisch und wirtschaftlich von diesen Kriegen profitieren und die sie anheizen, die Waffen in die Hände und lasst sie aufeinander schießen. Aber verschont uns damit – wir werden uns von euch dafür nicht instrumentalisieren lassen!

sk