„Westliche Werte“: Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

Dieser Kinoabend ließ mich nicht kalt. Schon beim Weg zum Kino purzelten viele Gedanken in meinem Kopf herum. Szenen aus dem sogenannten „Krieg gegen den Terror“ aus Afghanistan wie die Ermordung zahlloser Zivilisten beim Tanklastwagen-Vorfall in Kundus, angeordnet vom deutschen Oberst Klein oder die Brutkastenlüge, die als Rechtfertigung für den Irak-Krieg diente, tauchten wieder in mir auf.

Doch der Film setzte auf all diese Erinnerungen noch sehr viel drauf. Der „Fall Kurnaz“ wurde auf einmal lebendig, greifbar, menschlich und nah, eben viel mehr als der „Fall“ in den Nachrichten, wie ich ihn kannte.

Meltem Kaptan, die Rabiye Kurnaz darstellt, macht dies mit vollem Einsatz. Durch sie wird die Widersprüchlichkeit, Verzweiflung, der Mut und Kampfgeist von Rabiye Kurnaz, der Mutter des Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz sichtbar. Ihr Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) verbeißt sich in diesen Fall. Als Duo wirbeln die beiden durch den Film zwischen Mutlosigkeit und vollem Einsatz. Manche Szenen sind witzig, wenn Rabiye Kurnaz in Washington auf einem großen Empfang begrüßt wird oder mit staunenden Augen ihren ersten Gentleman-Handkuss erhält.

Es wird deutlich, wie sich Rabiye Kurnaz als einfache Mutter auf einmal in einer fremden Welt voller Fallstricke für Menschen aus der Arbeiterklasse bewegt. Und auch das idealistische Bild von einem Rechtsstaat bei Rechtsanwalt Docke erhält kräftige Beulen und tiefe Risse.

Im Film werden sehr klar die Verbrechen der US-Regierung wie die unmenschliche Folter in Guantanamo, die völlige Rechtlosigkeit der Häftlinge aufgezeigt und benannt. Auch die Untätigkeit der deutschen Behörden und deren Rechtsverstöße, wie z.B. der rechtswidrige Entzug der Aufenthaltsgenehmigung für Murat Kurnaz, werden gezeigt. Während allerdings der Filmtitel schon einen Schuldigen, George W. Bush, nennt, bleibt dies auf der deutschen Seite im Nebel. Es war die SPD-Grünen-Regierung mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), Außenminister Joschka (Grüne), Innenminister Otto Schily (SPD) und der Chef des Bundeskanzleramtes Walter Steinmeier, die bewusst und massiv das geltende Recht brachen, um eine Entlassung und Rückkehr des unschuldigen Murat Kurnaz zu verhindern. Nur vorsichtig wird angedeutet, dass die Anordnungen von ganz oben kommen. Und einmal sagt der Rechtsanwalt Docke, das seien ja die SPD und die Grünen, die er gewählt habe.

Trotz dieser kleinen Schwäche ist es gut, dass dieser Film gerade jetzt in den Kinos läuft. Denn er macht sehr deutlich, was von den „Menschenrechtsverteidigern“, die derzeit in Heerscharen laut in die Trompeten blasen, zu halten ist. Sie sehen „Menschenrechtsverletzungen“ immer auf der anderen Seite und wenn es in ihrem Machtinteresse liegt. Auf der eigenen Seite jedoch sieht man großzügig über jedes Verbrechen hinweg. Das Folterlager Guantanamo existiert bis heute – über 20 Jahre! Immer noch sind dort 39 Menschen ohne Anklage, Beweise und Gerichtsverfahren entgegen dem Völkerrecht inhaftiert.

Keiner der Beteiligten wie George W. Bush, Walter Steinmeier wurden für ihre Verbrechen je vor Gericht gestellt. Walter Steinmeier ist sogar die Treppe hochgefallen und ist heute Bundespräsident, wo er ständig Sprechblasen über „Solidarität“, „Menschenrechte“, „westliche Werte“ und Ähnliches absondert. Die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien usw. wurden niemals bestraft. Da gab es keine Sanktionen oder gar Waffenlieferungen der Bundesregierung an die überfallenen Länder. Im Gegenteil! Man war immer mit dem Aggressor „solidarisch“ oder machte selbst mit.

Das Gerede von „Menschenrechten“ entlarvt sich als ein Instrument für die eigene Machtpolitik. Dass das auf der anderen, „bösen“ Seite genauso ist, macht es nicht besser. So macht der Film sehr deutlich, dass es da keine gute Seite gibt, sondern nur der Kampf der Menschen von unten gegen diese Verbrecher. Denn ohne den ausdauernden Kampf von Rabiye Kurnaz und Rechtsanwalt Docke würde der unschuldige Murat Kurnaz immer noch in Guantanamo gefoltert und zerstört. Dank ihrem Kampf lebt er heute in Bremen, ist Sozialarbeiter und hat eine Familie mit drei Kindern.

dm

Fotos und Kurzfilme zum Film:

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Titelfoto: Von Shane T. McCoy, U.S. Navy – (copied from http://en.wikipedia.org/wiki/Image:Camp_x-ray_detainees.jpg so that the image can be used on Wikinews.), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=774059