Flüchtlinge als Feinde?

Es ist schon merkwürdig! Auf einmal waren Inflation, Krise, steigende Arbeitslosigkeit fast ganz aus den Nachrichten verschwunden. Selbst der Krieg in der Ukraine stand eine Zeit lang nur noch auf Platz 2 oder 3. Stattdessen wurde Tag für Tag über eine Flüchtlingswelle geklagt und gejammert, dass man den Eindruck bekommt, der Untergang ist nah.

Nicht nur BILD, sondern auch „seriöse“ Tageszeitungen, Fernsehen, auf Twitter, facebook und wo sonst noch alles wurde fast nur noch über die „Flut von Flüchtlingen“ gesprochen und geschrieben.

Wie sind die Zahlen?

Laut den aktuellen Statistiken des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) sind die Zahlen 2020 und 2021 – unter anderem wegen Corona – stark eingebrochen. 2022 waren sie wieder auf dem Niveau vor Corona: 244.132 Asylanträge.

2023 waren es bis Ende April 110.516 Asylanträge. Würde man das auf das Jahr hochrechnen, so kämen wir auf etwas mehr als 300.000.

Das ist weit entfernt von den Zahlen 2014 und 2015. 2015 waren es 745.545 Asylanträge.

Von einer „Flut“ kann keine Rede sein. Man will wohl mit der Hetze gegen Flüchtlinge die Menschen von den wirklichen Problemen in unserem Land wie Inflation, Bildungsmisere, Katastrophe im Gesundheitswesen und Pflegebereich sowie der wachsenden Kriegsgefahr ablenken. So hat man einen Sündenbock und die Menschen sind mit dieser „Gefahr“ beschäftigt.

Spalte und herrsche!

Spalte und herrsche ist eine altbewährte Taktik. Man hetzt die Menschen gegeneinander, damit sie sich nicht gegen die Herrschenden wenden, die für die wirklichen Probleme verantwortlich sind.

Was kann ein Flüchtling, der im Mittelmeer knapp dem Tod durch Ertrinken entkommen ist, für die Pflegemisere in unserem Land? Nichts! Im Gegenteil! Viele dieser Menschen werden rasch soweit gebracht, dass sie z.B. in der Pflege für wenig Geld arbeiten. So kann man die Bezahlung niedrig halten und gleichzeitig über die „Personalknappheit“ jammern und eine Absenkung der Pflegestandards fordern. Ohne viele Migrant/innen wären Bauwirtschaft, Industrie, Pflege und Gesundheitswesen schon lange nicht mehr funktionsfähig.

Wir leben in einem reichen, imperialistischen Land, in dem sich die Situation in Bildung, Pflege, Gesundheitswesen, Wohnungswesen, öffentlichem Nah- und Fernverkehr, Umwelt usw. usf. beständig verschlechtert hat. Trotz ständiger großmäuliger „Reformen“ wird nichts besser, sondern es geht bergab. Der Lehrer/innenmangel, der Mangel bei Ärzt/innen, Pflegepersonal, Erziehern ist ja nicht erst seit gestern bekannt. Alles war vorhersehbar. Die Probleme hätten gelöst werden können. Hinzu kommt, dass die Regierung und die herrschende Klasse nicht nur nichts tun, sondern aktiv daran arbeiten, die Misere zu verschärfen. Im Gesundheitswesen und im Pflegebereich wurde massiv privatisiert und die Kosten gedrückt. Gesundheit und Pflege sind zu Profitquellen für einige Großkonzerne geworden. Krankenhäuser werden geschlossen, Betten abgebaut, obwohl schon jetzt alles äußerst knapp ist. Beim Wohnungsbau hat man über Jahrzehnte billigen staatlichen Wohnraum an „Investoren“ (besser: Kapitalisten) verscherbelt und den sozialen Wohnungsbau massiv gedrosselt. Beim öffentlichen Nah- und Fernverkehr dasselbe Bild: Privatisierung, Zerschlagung der Bahn, teure Großprojekte wie Stuttgart21 zugunsten der Baukonzerne statt Sanierung und Verbesserung des Schienennetzes und Fahrzeugbestandes. Die herrschende Klasse und ihre Regierungen arbeiten also nicht, wie sie in Wahlkampfreden versprechen, an einer Verbesserung, sondern aktiv an einer Verschlechterung!

Denn ernstzunehmende Verbesserungen wären teuer geworden. Da ist es billiger, die Menschen mit warmen Worten und Reformversprechungen abzuspeisen und sie gleichzeitig gegeneinander aufzuhetzen. Einmal sind die Flüchtlinge „schuld“, dann die Jugendlichen, die angeblich die schweren Berufe scheuen, oder die Beschäftigten, die sich weigern, noch mehr Überstunden zu machen oder die auf Gehaltserhöhungen bestehen. Die herrschende Klasse lenkt damit von den Problemen und den wahren Schuldigen ab.

Über die Ursachen wird geschwiegen


Festung Europa, Installation von Peter Schmidt, www.oma-maier.de

Im Falle der Flüchtlinge ist vollkommen klar, dass diese nicht für die Probleme in unserem Land verantwortlich sind. Sie sind nicht verantwortlich für Bildungsmisere, Pflegekatastrophe, das marode Gesundheitswesen, die kaputte öffentliche Infrastruktur bei Bus und Bahn. Sie sind auch nicht für den Wohnungsmangel haftbar zu machen, auch wenn das immer wieder suggeriert wird. Sie leben in Containern, in abbruchreifen Altbauten, wo sonst keiner mehr wohnen möchte – und zahlen noch überhöhte Mieten, sobald sie arbeiten.

Und dann werden sie als böse Menschen hingestellt, die „illegal“ einreisen. Geschwiegen wird dazu, dass es praktisch keine legalen Wege zur Einreise mehr gibt – außer für Fachleute, die das Kapital benötigt. Aber für die Menschen, die vor Krieg, Hunger und Elend flüchten, gibt es keine legalen Möglichkeiten mehr, in der Festung Europa Zuflucht zu finden.

Und warum sind diese Menschen so „böse“, dass sie „illegal“ einreisen? Machen sie das aus Vergnügen, sowie mancher seine Kreuzfahrt im Mittelmeer, der sich gleichzeitig über die Bootsflüchtlinge aufregt und damit auf die Propaganda der Herrschenden hereinfällt?

Die Zahlen des BAMF zeigen, die meisten Menschen kommen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Türkei, Iran, Irak.

Da müssen doch die Ohren klingeln! Es ist ja kein Geheimnis, was in diesen Ländern los ist! Da kommt keiner zu einer Kaffeefahrt übers Mittelmeer. Diese Menschen fliehen aus Not – vor politischer Verfolgung, vor Krieg und Bürgerkrieg, vor Hunger und Elend.

Doch die Festung Europa will diese Menschen nicht! Hungerleider sollen draußen bleiben! Junge kräftige Arbeitskräfte, gut ausgebildete Fachleute, die man hervorragend ausbeuten kann, die hätte man gern. Den armen Ländern die gut ausgebildeten Jugendlichen klauen, um aus ihnen Profit herauszuschlagen und die armen Länder so auf ewig in Armut halten, das ist die „Asylpolitik“ der Festung Europa!

Und wer ist für all das Elend verantwortlich? Nehmen wir Afghanistan: Wer hat das Land zerstört, um es angeblich zu befreien? Wer hat das Land als Ruinenlandschaft und völlig verarmt den Taliban überlassen? Hat nicht jahrelang die Bundeswehr an diesem Zerstörungswerk mitgewirkt?

Wer ist verantwortlich für den Klimawandel, der in zahlreichen Ländern zu Umweltkatastrophen führt – mit Hungersnöten, Hitzewellen, Überschwemmungen mit zahllosen Toten usw.? Die Armen zahlen für das Zerstörungswerk der kapitalistischen Industrie. Wer liefert die Waffen für die Kriege? Wer rüstet die Diktatoren aus, damit diese ihre eigenen Völker unterdrücken und andere überfallen können? Wer verdient an all dem Elend?

Die Opfer werden zu „bösen“ Menschen gestempelt, die „illegal“ einreisen wollen, während über die Täter geschwiegen wird.

Flucht ist eine Klassenfrage


Karikatur von Kola

Flucht ist keine Frage von Moral, von „bösen“ Menschen oder „Illegalen“. Flucht ist eine Klassenfrage!

Auf der einen Seite steht das Kapital. Es ist sowohl für die katastrophale Lage in unserem Land bei Bildung, Gesundheit, Verkehrswesen, Wohnungsbau, Pflege usw. verantwortlich. Alles geschieht im Sinne der Profitmaximierung! Und es ist auch verantwortlich für den rücksichtslosen Raubbau an Natur und Umwelt, für die immer bedrohlichere Klimakatastrophe. Es ist verantwortlich für die Ausbeutung anderer Länder, für den dortigen Raubbau an Natur und Menschen, für die Waffenlieferungen an jeden, der das bezahlen kann – auch an ausgewiesene Mörder und Verbrecher.

Auf der anderen Seite stehen die arbeitenden Menschen aller Länder: Arbeiter Bauern, Angestellte, kleine Selbständige, die von diesem System gnadenlos ausgebeutet und ihrem Elend überlassen werden.

Doch die Profiteure dieses Systems wollen nicht, dass die Menschen ihr gemeinsames Interesse erkennen. Sie wollen und müssen die Menschen spalten, gegeneinander hetzen. Wenn dabei dann Menschen zusammengeschlagen werden oder ein Haus abbrennt, dann könne diese Herrschaften noch die Nase rümpfen und sich hochmoralisch distanzieren. Dann geben sie sich edel und großmütig, während sie gleichzeitig wissentlich Menschen im Mittelmeer absaufen lassen.

Wir müssen mit aller Kraft daran arbeiten, dass die Menschen, die Kolleg/innen ihr gemeinsames Interesse erkennen. Es besteht darin, Solidarität zu üben und gemeinsam dieses Ausbeutungssystem in der ganzen Welt zu beseitigen!

Unsere Herrn, wer sie auch seien,

sehen unsre Zwietracht gern,

denn solang sie uns entzweien,

bleiben sie ja unsre Herrn!

Bertolt Brecht, Solidaritätslied