Während wir die verschärften Asylgesetze und Maßnahmen zur sogenannten Migrationsregulierung der letzten Jahre kaum noch aufzählen können, häufen sich insbesondere seit der neuen Bundesregierung die Fälle und Meldungen von Abschiebungen in Deutschland. Menschen wurden frühmorgens von der Polizei aus ihren Wohnungen geholt, Schüler aus ihren Klassenzimmern entrissen oder Geflüchtete direkt aus der Ausländerbehörde abgeschoben. Gleichzeitig liest man tagtäglich: „Der Schlüssel zum Fachkräftemangel liegt in der Migration“. Immer wieder hat der deutsche Kapitalismus in seiner Geschichte bestimmte Bevölkerungsgruppen mobilisiert und Migration kontrolliert genutzt, um billige und abhängige Arbeitskräfte zu schaffen. Wie passt die Begrenzung und gleichzeitig die Förderung von Migration aber eigentlich zusammen?
Migration im imperialistischen Stadium
Die Zerstörung der Umwelt, Kriege und ihre Folgen zwingen Millionen über Millionen Menschen zur Flucht. Diese Fluchtursachen sind dabei nicht einfach Schicksalsschläge, die manche Länder einfach so treffen, sondern Ergebnisse der Durchsetzung von wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen der imperialistischen Zentren wie Deutschland. Weltweit trägt Deutschland maßgeblich dazu bei, dass Kriege durch Waffenexporte befeuert werden und sich die Bundeswehr an Auslandseinsätzen beteiligt. Land samt Rohstoffen werden geraubt, klimaschädliche Produktionsprozesse deutscher Konzerne ausgelagert und das deutsche Finanzkapital zwingt diese Länder durch Freihandelsabkommen und Kredite in die Abhängigkeit, beutet die Arbeiter in den abhängigen Ländern aus und hält sie damit davon ab, sich aus dieser Abhängigkeit befreien zu können. Der deutsche Imperialismus trägt also nicht nur maßgeblich dazu bei, dass Menschen zur Flucht gezwungen werden, sondern es ist gleichzeitig für ihn zentral, die dadurch resultierende permanente Beschaffung von Arbeitskräften nach seinen wirtschaftlichen Interessen zu ermöglichen und kontrollieren zu können. Um einige Beispiele zu nennen, zeigt uns mit dem Eintritt in das imperialistische Stadium die Migrationspolitik in Deutschland auf, wie der deutsche Imperialismus die Migration als kontrollierten Hebel für sein Kapital nutzt. Während zu Beginn sogenannte „Fremdarbeiter“ im deutschen Reich aus Osteuropa insbesondere für die Saisonarbeit in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, um die Löhne drücken zu können und Extraprofit zu erringen, deportierte der Faschismus im zweiten Weltkrieg systematisch Zwangsarbeiter, um die Kriegswirtschaft zu finanzieren. Ab der 1950er Jahren begann Westdeutschland Gastarbeiter aus Südeuropa und Nordafrika wie Italien, Griechenland, Spanien, Türkei, Tunesien und Marokko insbesondere für die profitable Bau-, Stahl- und Automobilindustrie anzuwerben. Ihre Arbeitskraft wurde in diesen Zeiten des Wirtschaftsboom für den Wiederaufbau benötigt, während ihr Bleiben nie vorgesehen war. Diese Arbeiter spielten neben den einheimischen Arbeitern als industrielle Reservearmee eine bedeutende Rolle für den deutschen Imperialismus, um die Zahl der verfügbaren Masse an billigen Arbeitskräften zu erhöhen und im selben Zuge einen hohen Grad an Erpressbarkeit herstellen zu können: Zum einen können sie schnell wie z.B. durch Anwerbeabkommen in den Produktionsprozess einbezogen werden, und zum anderen kann das Kapital sie schnell wieder loswerden. Denn ihre Lebensgrundlage hat ihnen kaum eine Wahl geboten, die Gelegenheit nicht anzunehmen und mitsamt ihren juristischen Einschränkungen beim Aufenthaltstitel, der vom Verkauf ihrer Arbeitskraft abhing, können sie besser diszipliniert werden: Jede für den Kapitalismus bedrohende politische Aktivität, jede Erkrankung oder jeder vermeintlicher Fehltritt konnte sie ihre gesamte Existenz kosten. Diese Disziplinierung manifestierte sich weiter in dem danach ausgerufenen Anwerbestopp unter Willy Brandt im Jahre 1973. Um der zyklischen Krise zu dieser Zeit entgegenzuwirken, korrigiert das Kapital die Migration durch Rückführungsprogramme und verschärfte Asylgesetze, um die Größe der Reservearmee nach Bedarf zu halten und die verstärkte Organisierung der migrantischen Arbeiter durch Arbeitskämpfe wie die sogenannten „wilden Streiks“ z.B. in den Rheinstahlwerken in Brackwede oder beim Automobilkonzern Pierburg zu spalten und zu unterdrücken. Mit der darauffolgenden beispiellosen Hetzkampagne gegen Geflüchtete unter der Parole „Das Boot ist voll“ wurde Anfang der 1990er Jahre unter dem sogenannten „Asylkompromiss“ das individuelle Recht auf Asyl durch die Änderung des Grundgesetzes in Artikel 16 faktisch abgeschafft. Auch die letzten Jahrzehnte haben wir durch die Agenda 2010 gesehen, wie insbesondere migrantische Arbeiter durch Leiharbeit in den Niedriglohnsektor gesogen wurden und durch z.B. die Einführung von Integrationskursen und die Sanktionierung bei Fehltagen im Jahre 2005 die Disziplinierung vorangetrieben wurde. Die Asylverschärfungen der letzten Jahre samt GEAS-Reform, Rückführungsverbesserungsgesetz, die sogenannten Sicherheitspakete und die Vorbereitung dessen durch die rassistischen Hetzkampagnen der letzten Jahre reihen sich in diese politische Strategie zur Verwaltung des Kapitals ein, migrantische Arbeiter anhand ihrer Verwertbarkeit so ausbeuten zu können, wie es für die Profitrate notwendig ist. Um dies ideologisch zu untermauern und zu rechtfertigen, wird der Chauvinismus gezielt von der herrschenden Klasse samt ihrer Regierung und Medien eingesetzt, um deutschen Arbeitern Sündenböcke für Armut und Arbeitslosigkeit hinzustellen und die Einheit der Arbeiterklasse durch die geschürte Feindschaft zwischen einheimischen und eingewanderten Arbeitern zu spalten.
Die Abschiebepraxis der neuen Bundesregierung
Bereits in den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden in Deutschland nach offiziellen Medienberichten zu Folge 6.151 Menschen abgeschoben und damit 28 % mehr als im vorherigen Jahr. Im Januar diesen Jahres wurde durch den Fünf-Punkte-Plan der CDU unter dem Deckmantel des Messerangriffs in Aschaffenburg etliche Maßnahmen beschlossen, die den Familiennachzug einschränken, Befugnisse der Ordnungsbehörden ausbaut und tägliche Abschiebungen forcieren sollen. Die neue Bundesregierung hat sich zentral zum Ziel gesetzt, Abschiebungen massenhaft zu erleichtern und „Ausreisepflichtige“ zu inhaftieren. Mit der vom neuen Innenminister Dobrindt (CDU) ausgerufenen „Asylwende“ folgte bereits kurz nach seinem Amtsantritt das erste Dekret: Die Bundespolizei soll personell aufgestockt werden, um für die „Sicherung der inneren Ordnung“ die Grenzkontrollen deutlich verschärfen zu können und Menschen an der Grenze zurückzuweisen. Tagtäglich schlägt sich all das in der brutalen Abschiebepraxis in Deutschland nieder. Erkrankte oder in ihren Heimatländern von Todesdrohungen bedrohte Frauen oder Jugendliche, die sich an Protesten gegen den Genozid in Palästina beteiligen werden abzuschieben versucht und sind dem Staatsapparat des deutschen Kapitalismus schutzlos ausgeliefert. Die Bundesregierung zieht den Strick der Disziplinierung und Erpressbarkeit an, erhöht den Druck und macht deutlich, wie einfach sie Migranten durch die gesetzlichen Mechanismen des Aufenthaltstitels und mangelnder Freizügigkeit die Lebensgrundlage entreißen kann. Gleichzeitig erleben wir eine Welle an Solidaritätsaktionen, Unterstützungskampagnen und Protesten gegen jene brutale Abschiebepraxis. Nachdem in Frankfurt eine afghanische Familie zu einem Routinetermin in die Ausländerbehörde bestellt wurde und ad hoc von dort aus von der Polizei zum Flughafen eskortiert und fälschlicherweise nach Indien abgeschoben wurde, organisierten Mitschüler eine Demonstration mit 300 Menschen in der Frankfurter Innenstadt und sammelten hunderte Unterschriften für die Rückführung der Familie nach Deutschland. Auch in Remscheid protestierten Schüler gemeinsam mit ihren Lehrern gegen die drohenden Abschiebungen von zwei ihrer Mitschüler, nachdem der Familie der Asylantrag abgelehnt worden ist. Und so konnte nicht zuletzt die drohende Abschiebung des 18-Jährigen Joels in Hamburg-Wilhelmsburg durch die Unterstützung seiner Mitschüler, Lehrer und über 100.000 Petitionsunterzeichner abgewendet werden, sowie des Auszubildenden Hasan aus Flensburg. Deutschlandweit zeigen uns diese Fälle, dass wir nicht tatenlos zusehen müssen, sondern durch die Einheit und die Solidarität dazu in der Lage sind, uns für unsere Mitschüler, Kommilitonen und Kollegen einzusetzen und ihr Bleiberecht zu erkämpfen.
Abschieben trotz Fachkräftemangel?
Immer wieder hören wir in solchen Fällen, wie es denn sein kann, dass Deutschland händeringend nach Fachkräften sucht und dabei „gut qualifizierte“ migrantische Arbeitskräfte abschiebt. Die Gleichzeitigkeit von Fachkräftemangel und steigenden Abschiebezahlen wirkt dabei auf den ersten Blick widersprüchlich. Doch erst im April 2025 zieht das Bundesministerium des Inneren in einer Pressemitteilung eine positive Bilanz: „Fachkräfte-Einwanderung deutlich gesteigert, irreguläre Migration deutlich zurückgedrängt.“ Die Förderung und Begrenzung von Migration sind keine wahl- und ahnungslos gleichzeitig ablaufende Prozesse, sondern im Gegenteil Ziel des Kapitals. Denn das Kapital unterscheidet nicht nur zwischen deutschen und migrantischen Arbeitern, sondern nutzt konkret die Reservearmee der Ungelernten und das einfache Anwerben von qualifizierten Fachkräften durch Maßnahmen wie Anwerbeabkommen, Fachkräfteeinwanderungsgesetz, gezielte Abkommen zur Anwerbung von z.B. Pflegekräften für deutsche Krankenhäuser, die europäische Blue Card oder die sogenannte „Chancenkarte“ für ihre Zwecke. Nancy Faeser machte es in dieser Pressemitteilung konkret deutlich: „Migrationspolitik ist nichts für Sprücheklopfer, sondern eine Management-Aufgabe, die man beharrlich angehen muss“. Auch der Innenminister in Hessen teilte dazu mit: „Allein, dass jemand gut integriert ist, ist kein Grund hier zu bleiben, denn es geht um unsere Sicherheit.“ Während uns also aufgetischt wird, dass Migranten unser aller Sicherheit in Deutschland gefährden würden, wird die politische Strategie vom Antreiben der Fluchtursachen, Anwerben und Abschieben bewusst verschleiert. Denn diese Mechanismen der Migrationskontrolle stellen dabei keinen Widerspruch oder ein Versagen der Politik dar, sondern dienen konkret dazu steuerbare Arbeitskräfte zu selektieren, um die Lohn- und Staatskosten für sie so gering wie möglich zu halten, die Profite dadurch effizienter zu maximieren und die Disziplinierung der Arbeiterklasse durchzusetzen.
Es darf nicht beim Kampf fürs Bleiberecht bleiben
Der Kampf gegen Abschiebungen ist also nicht einfach ein moralisches oder humanistisches Anliegen, wie uns z.B. seitens liberaler Kräfte oft erzählt wird. Es geht dabei nicht nur um die Würde des Menschen oder die Einhaltung des Völkerrechts, sondern es muss für uns zentral sein, nicht auf den sozialchauvinistischen Zug aufzuspringen und Abschiebungen nur dann zu verurteilen, wenn es sich dabei um „integrierte“ Schüler oder Migranten handelt, die für den Standort Deutschland arbeiten möchten und bereits eine Ausbildung absolvieren. Immer wieder hören wir bei jenen Protesten oder in Erklärungen von Menschenrechtsorganisationen, Parteien oder Unternehmen, wie es denn aktuell moralisch richtig sein könne, qualifizierte Einwanderer abzuschieben, obwohl sie uns doch etwas bringen könnten, obwohl sie gut in der Schule sind, obwohl sie ihren Lebensunterhalt selbst stemmen oder sich gar soweit „integriert“ haben, dass sie zum Christentum konvertiert sind. Auch damit werden migrantische Arbeiter anhand ihrer Verwertbarkeit bewertet und der bürgerlichen Ideologie gleichermaßen entsprochen, wie wenn uns propagiert wird, dass Migranten uns die Arbeitsplätze wegnehmen oder einwandern, um die „Vorzüge“ des deutschen Sozialsystems auszunutzen. Denn aus allen Richtungen wird uns damit die Rolle des deutschen Imperialismus und die Strategie die er mit der Migration fährt verschleiert und lässt unseren Blick auf unseren gemeinsamen Feind verschleiern. Dabei müssen wir über dem Kampf für das individuelles Bleiberecht hinaus diese Strategie des Kapitals entlarven und uns auf keine Seite der vom Kapitalismus propagierten Lösungen stellen, sondern gemeinsam den unabhängigen Standpunkt der Arbeiterklasse im Sinne des proletarischen Internationalismus einnehmen.