Gesundheitsreform: Belastungen für die Versicherten – Milliarden-Entlastungen für das Kapital

Nun ist die so genannte Gesundheitsreform beschlossen worden
und im Ergebnis sollen die Beiträge wohl um 0,5% steigen. Eine Reform wie die
Reformen davor: alles wird teurer! Ja, aber auch nicht. Schon mit der
Praxisgebühr kamen seit 2004 einseitige Belastungen auf die Kassenversicherten
zu, denn an diesen Ausgaben müssen sich die Unternehmen nicht beteiligen. Im
Jahr 2004 konnten die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) so einen Überschuss von
4 Mrd. Euro erwirtschaften. 2005 war es noch ein Überschuss von 1,8 Mrd. Euro.
Mit diesen Geldern konnten die Kassen ihre Nettoverschuldung von ca. 6 Mrd.
Euro abbauen. Schulden getilgt, aber die Raten sollen weitergezahlt werden? Was
jeden Kleinkreditnehmer wütend in die Bank laufen lassen würde gilt hier nicht,
denn die Kassen wollen diese vortreffliche Einnahmequelle natürlich behalten.

Mehr Geld einnehmen ist eine Seite, die andere ist einfach
weniger Ausgaben zu verursachen, was die Kassen durch Leistungskürzungen
erreichen. Da gibt es ein ganzes Füllhorn an medizinischen Maßnahmen, welche
die Kassen nicht mehr bereit sind zu bezahlen. So zahlten  die Kassen z.B. beim Zahnersatz 32,3% weniger
Zuschüsse als 2004. Hier müssen die Versicherten immer häufiger zuzahlen oder
privat Zusatzversicherungen abschließen.

Das Ergebnis dieser Reformen sollte sein, dass die Beiträge
sinken und so die Belastungen der Versicherten gemindert würden. 2004 betrug
der Beitrag der GKV durchschnittlich 14,4% und soll nach Angaben des
Bundesgesundheitsministeriums im Januar 2006 13,3% betragen haben. Also doch
ein Erfolg? Wir wären nicht ARBEIT ZUKUNFT, wenn wir nicht auch an so schönen
Zahlen mäkeln würden, aber dazu muss man etwas rechnen. Die gesetzliche
Krankenversicherung ist im Prinzip paritätisch organisiert, das heißt, dass die
Beiträge zur Hälfte von den Unternehmen und von den Versicherten bezahlt
werden. Also 2004 jeweils 7,2% von beiden Seiten. Doch 2005 wurde ein
Sonderbeitrag von 0,9% eingeführt, den aber nur die Versicherten zu zahlen
haben, womit die Parität aufgehoben ist. Addiert man nun diese 0,9% zu den
6,65% (die Hälfte der 13,3% des Jahres 2006), so haben die so genannten
Arbeitnehmer nach dieser Gesundheitsreform einen Beitragssatz von 7,55%,  müssen also 0,35% mehr zahlen als im Jahr
2004. Die Beiträge wurden also nicht gesenkt, sondern erhöht und die nächste Erhöhung
um 0,5% für 2007 ist schon beschlossen. Die Beitragsbemessungsgrenze, also der
Höchstbetrag, der noch zur Versicherung in einer gesetzlichen Krankenkasse
verpflichtet, liegt bei 3.562,50 Euro im Monat. Angestellte mit höherem
Einkommen dürfen sich privat versichern. Für einen Arbeitnehmer, dessen
Einkommen nahe dieser Grenze liegt, würde das dann 2007 bedeuten, dass er
277,88 Euro monatlich zu zahlen hätte, während das Unternehmen nur 245,82 Euro
überweisen müsste, womit die Parität um 11,5% zu Gunsten der Unternehmen
aufgehoben wäre. Diese Entwicklung zeigt sich auch darin, dass der
Unternehmensanteil an den Gesundheitskosten von 1995 bis 2004 auf  36% gesunken ist, während der Anteil der
Privathaushalte im gleichen Zeitraum von 42% auf 47% stieg. Warum ist die
Aufhebung der Parität für die Versicherten überhaupt bedeutungsvoll? Es war
schon immer das Wesen des Kapitals nur an seine Profite zu denken und Kosten
möglichst auf die Gesellschaft abzuwälzen. Was stört es das Kapital, wenn die
Umwelt zerstört wird, solange es die Milliarden für Umweltschutz nicht ausgeben
muss? Ein großer Teil der Volkskrankheiten, wie die des Herz-Kreislaufsytems
oder degenerative Erkrankungen z.B. an der Wirbelsäule sind Folgen der
Arbeitsbedingungen. Ist das Kapital erst einmal von Kostensteigerungen ausgenommen,
so sinkt sein Interesse krankmachende Arbeitsbedingungen zu unterbinden. Die
Kosten für arbeitsbedingte Erkrankungen werden auf 50 Mrd. Euro pro Jahr  geschätzt. Zudem scheidet jeder dritte
Arbeitnehmer wegen arbeitsbedingten Belastungen und Erkrankungen vorzeitig aus
dem Berufsleben aus.

In den letzten Jahren wurden rund 20 Mrd. Euro Ausgaben der
GKV,  die noch zuvor paritätisch getragen
wurden, auf die Versicherten abgewälzt, wie Leistungsausgrenzungen
(Fahrtkosten, Sterbegeld), private Absicherung von Zahnbehandlung, Finanzierung
des Krankengeldes und Erhöhungen von Zuzahlungen (Praxisgebühr,
Arzneizuzahlungen).

 Die Bundesregierung
will mit der beschlossenen Gesundheitsreform die Kosten mit noch einem weiteren
Instrument einseitig auf die Versicherten abwälzen. 2008 soll ein
Gesundheitsfond geschaffen werden, der aus den Beiträgen der Versicherten und
der Unternehmen gespeist wird. 2005 lagen die Gesamtausgaben der gesetzlichen
Krankenkassen bei 146 Mrd. Euro. Dieses Geld würde dann auf die einzelnen
Kassen verteilt, wobei der Staat die Beitragshöhe festsetzt. Reicht den Kassen
dieses Geld nicht, dürfen sie eine Prämie in Höhe von 1% des Bruttoeinkommens
ihrer Versicherten erheben. Bei dieser Prämie wäre das Kapital „natürlich“
nicht beteiligt.

Aber nicht nur die Unternehmen ziehen sich aus dem System
der gesetzlichen Krankenversicherung zurück, auch der Staat reduziert seine
Zuschüsse von 4,2 Mrd. Euro in diesem Jahr auf 1,5 Mrd. Euro. Ab 2008 sollen
die gesetzlichen Krankenkassen gar keine Steuergelder mehr erhalten, dabei
kostet die Mehrwertsteuererhöhung von 16% auf 19% die Kassen im Bereich der
Arzneimittelausgaben etwa 900 Millionen Euro. So fehlen den Kassen im kommenden
Jahr allein Einnahmen in Höhe von 3,6 Mrd. Euro. Diese Finanzierungslücke soll
dann auch mit den besagten 0,5% Beitragserhöhung zum 1.1.2007 geschlossen
werden, die runde 5 Mrd. Euro ausmachen wird. Geld das der Staat spart um z.B.
die Aufstockung der Rüstungsausgaben um ca. 4 Mrd. Euro zu finanzieren oder als
Steuergeschenk den Kapitalgesellschaften zukommen lassen will. (J.T.)