Streikabbruch im Osten

Seit Samstag, dem 28.06.03 mittags ist es heraus: IG-Metall-Vorsitzender
Klaus Zwickel “empfiehlt”, den Streik im Osten am 30.06.2003
einzustellen.
Wenn nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände der Gewerkschaftsvorstand
zu der Entscheidung käme, dass ein Streik verloren ist und beendet
werden muss, dann ist das eine Sache!
Wenn aber der Vorsitzende seine Empfehlung, den Streik abzubrechen, lange
vor dem Treffen der Tarifkommission, vor der Vorstandssitzung über
alle Ticker, über alle Agenturen, Funk, Internet und persönlich
vor den Kameras des Fernsehens verbreiten lässt, dann ist das etwas
anderes.

Dann sind die Tarifkommission und der Vorstand bereits nicht mehr frei.
Zu mächtig sind dann bereits die Tatsachen, die der Vorsitzende eigenmächtig
geschaffen hat.
Man stelle sich die Lage von Streikposten vor, die im Osten entsprechend
dem Urabstimmungsbeschluss und den Beschlüssen ihrer Streikleitung,
gegen teilweise wüste Anfeindungen, Hetze und Häme in Öffentlichkeit
und Medien, den Streik geführt haben. Sie haben vielfach großen
persönlichen Mut bewiesen. Sie wurden aber auch von breiter Solidarität
ihrer Kolleg/innen getragen, die unterstützt wurden von Delegationen
aus West und Ost!

Klaus Zwickels Vorgehen spaltet, schwächt, demoralisiert die, die
standgehalten haben.
Kein Wunder, dass alle Herren des Kapitals sich voll Respekt über
Herrn Zwickel äußern, aber die Streikenden verhöhnen.
CDU-Milbradt aus Dresden lobt den Mut von Zwickel. Klartext redete der
CDU-Fraktionsvize im Bundestag und Oberhetzer, Friedrich Merz, der den
Streikabbruch schon einen Tag, bevor der Vorstand darüber befinden
konnte; als “großen Sieg der Arbeitnehmer im Osten” feierte.
Und Gesamtmetallboss Kannegießer machte sich öffentlich Sorgen
um Zwickel und vergoss Krokodilstränen, dass der Abschluss nicht
gelungen war.

Auf der Delegiertenkonferenz der IG Metall in Stuttgart am Samstag, dem
28.06. sprachen zahlreiche Delegierte über Solidaritätsaktionen
vor den Streikbetrieben, die sie selbst miterlebt hatten, und von der
Notwendigkeit der Solidarität, bis hin zu Streikaktionen.
In einer Erklärung der Betriebsräte und Vertrauensleute in der
deutschen Automobil- und Automobilzulieferindustrie vom 23. Juni sprechen
diese ausdrücklich ihre Solidarität mit den Streikenden aus.
Gerade diese Erklärung macht deutlich, um wie viel es bei dem Streik
geht:
“. .. die Politik” der Arbeitgeberseite “zeigt, dass eine
Lösung dieses Tarifkonfliktes offensichtlich politisch nicht gewollt
ist. Es ist eindeutig: Dieser Tarifkonflikt soll benutzt werden für
übergeordnete, ideologische Zielsetzungen, die unabhängig vom
…Gegenstand dieser Tarifauseinandersetzung bestehen. Tarifautonomie
und Streikrecht werden grundsätzlich in Frage gestellt.”(Text
der Erklärung)
Konnte Zwickel all das nicht zunächst dem Vorstand und der Tarifkommission
zur Beurteilung vorlegen? Diese diskutieren und beurteilen lassen, ob
all das nur leeres Gerede war und in Wirklichkeit keine Chance mehr bestand?
Er konnte schon, aber offensichtlich wollte er nicht. Es ist nicht die
erste Missachtung der innergewerkschaftlichen Demokratie durch ihn!

Hier haben ganz andere Motive geherrscht als die Sorge um eine Überforderung
der IG Metall.
Die offizielle Erklärung auf der Homepage der IG-Metall von 28.06.2003,
19:14 Uhr, lange, nachdem alle Welt Bescheid wusste, macht die IG Metall
geradezu lächerlich. “16 Stunden verhandelt und kein Ergebnis?”.
Das ist doch eher ein Grund, die Solidaritätszusagen aus der Organisation
in Anspruch zu nehmen, statt den Streik abzubrechen. Wie will Zwickel
denn die anderen, nicht weniger harten, oft viel längeren Streiks
der IG Metall rechtfertigen, wenn das ein Grund sein soll? Aber: Schröder
war sehr erleichtert! Dies war eine Rettungsaktion für die Regierung.
Gerade zuvor hatten die DGB-Führer ihren Widerstand gegen die “Agenda
2010” eingestellt. Stichwortgeber: Klaus Zwickel!
Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass Zwickel auch Unterstützer
hat! Am 26.06. forderte Opel-Gesamtbetriebsratsvorsitzender Klaus Franz
in der Presse (“Die Welt” !!!) den Streikabbruch! Und auch sonst
kolportierte die Presse scharfe Kritik an Streikführer Düwel
und IG-Metall-Vize Peters. Der Gewerkschaftstag im Herbst hat viel zu
klären!

Wir halten dieses Vorgehen des Vorsitzenden für undemokratisch und
skandalös. Trotz der entstandenen Situation muss man vom IG-Metall-Vorstand
die Ablehnung von Zwickels Empfehlung verlangen. Und Zwickels Vorgehen
muss verurteilt werden!
Die politische Kampfansage der Unternehmerverbände kann nicht durch
Rückzug und Kapitulation abgewehrt werden. Der richtige Weg kann
nur die Ausweitung der Streiks auf mehr Betriebe und in den Westen sein.
Das muss von der gesamten IG Metall und allen anderen DGB-Gewerkschaften
unterstützt werden. Nur so können wir solch eine Offensive der
Unternehmer zurückschlagen!
Wenn Zwickel Vorgehen “Erfolg” hat, sind schwerwiegende Konsequenzen
zu erwarten:

  • Die Glaubwürdigkeitskrise der Gewerkschaften, speziell auch der
    IG Metall, erreicht einen Höhepunkt. Das Vertrauen aber verlieren
    die Besten, die Mutigsten, die Kämpferischsten, die, die wir am
    nötigsten brauchen.
  • Der politische Schaden für den Widerstand gegen die Agenda 2010
    und den ganzen von Rot-Grün geplanten Sozialabbau ist gewaltig.
    Wie sollen Gewerkschafter noch glaubhaft machen, dass ihre Organisation
    den Widerstand gegen den Sozialabbau trägt?
  • Denjenigen Kolleg/innen, die heute (noch?) für die IG Metall
    Mitglieder werben, werden die Argumente geradezu aus der Hand geschlagen.
    Wie kann ich einem Kollegen, der in die IG Metall soll angesichts dieser
    Tatsachen davon überzeugen, dass es ehrlich zugeht in dieser Organisation?
  • Gerade den Kritikern unter den Kollegen, die die Vorstandspolitik
    als Rettungsaktion für Schröder betrachten, wird recht gegeben.
  • Schließlich ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass
    Zwickel seine Rechnung mit Jürgen Peters begleichen, will, den
    er nicht als Nachfolger wollte. Schon gehen die Fraktionen in Stellung.
    Peters und Düwel, werden angeschossen. Aus Hannover, wo Peters
    herkommt, werden Sorgen über die Neuauflage der Führungsdebatte
    geäußert. Macht Eure Kämpfe nicht auf dem Rücken
    der Kolleginnen und Kollegen aus!!

Wir betrachten das Verhalten Zwickels als gewerkschaftsschädigend!
Es ist eine Schande, dass kämpferische Gewerkschafter sich neuerdings
wieder mit Ausschlussverfahren und Maßregelungen herumschlagen müssen,
während der Vorsitzende die Organisation massiv schädigt!! Wir
schließen uns der Forderung in dem Beitrag auf Seite 4 an: Nimm
den Hut, Zwickel!
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