Wismar: Leiharbeit für 2,24 Euro Stundenlohn – Widerstand gegen Sozialamt

Im den neuen Bundesländern werden stillschweigend viele Maßnahmen
des Sozialabbaus, wie sie nach dem Hartz-Konzept geplant sind, bereits
in die Tat umgesetzt.
In Wismar gründete die AWO bereits am 1. Juli 2001 eine so genannte
„gemeinnützige Gesellschaft“, die Protinus GmbH. Das Sozialamt
der Stadt Wismar zwingt insbesondere jugendliche Sozialhilfeempfänger
unter Androhung des Entzugs der Sozialhilfe dazu, bei der Protinus GmbH
einen „Praktikanten-Vertrag“ zu unterschreiben. Eine Ausbildung
gibt es für die „Praktikanten“ allerdings nicht. Sie werden
als Leiharbeiter in städtischen Betrieben oder privaten Kindergärten,
Heimen usw. als ungelernte Hilfskräfte eingesetzt.
Wer den „Praktikanten-Vertrag“ unterschreibt, erhält keine
Sozialhilfe mehr sondern den stolzen Stundenlohn von 2,24 Euro netto,
insgesamt 376 Euro monatlich! Doch das ist noch nicht alles. Unter Missachtung
des geltenden Arbeitsrechtes werden Krankschreibungen nur von einem zuvor
festgelegten Hausarzt akzeptiert, nicht jedoch von Fachärzten. Andernfalls
wird in der „Anlage zum Praktikantenvertrag“ mit Kündigung
und Verlust des Krankenversicherungsschutzes gedroht. Arbeits- und Schutzkleidung
müssen die Jugendlichen von ihrem „fürstlichen“ Einkommen
selbst kaufen.

Nachdem
AWO und das Sozialamt der Stadt Wismar seit längerem ungestört
rund 100 von ihnen abhängige Jugendliche und junge Erwachsene in
skandalöser Weise ausbeuten, hat sich nun ein Jugendlicher, Georg
(Name geändert, die Redaktion) gewehrt. Georg verweigerte es, den
Vertrag zu unterschreiben. Daraufhin erhielt der arbeits- und mittellose
Jugendliche keine Unterstützung mehr. Er fand einen Rechtsbeistand,
der ihm half, das Verwaltungsgericht anzurufen. Er erzielte einen ersten
Sieg. Am 4. April erließ das Verwaltungsgericht Schwerin eine einstweilige
Verfügung, in der Georg teilweise Sozialhilfe zugesprochen und der
„Praktikantenvertrag“ als sittenwidrig bezeichnet wird.

Das Gericht stellt im Urteil Aktenzeichen 6 B 296/03 fest:
Bei dem „Praktikantenvertrag“ handelt es sich gar nicht um ein
Praktikum, dass der Ausbildung und Förderung dient, sondern um ein
gewöhnliches Arbeitsverhältnis.
Ein Stundenlohn von 2,24 Euro sei Lohnwucher. Das Gericht verweist in
seinem Urteil auf den im Internet veröffentlichten Artikel aus „Arbeit
Zukunft“ Nr.1 (http://www.arbeit-zukunft.de/content/az0108.htm),
wonach der Mindesttariflohn für einfache Leiharbeit 6,85 Euro beträgt.
Der Arbeitsvertrag verstoße mehrfach gegen das geltende Arbeitsrecht,
z.B. gegen das Entgeltfortzahlungsgesetz.
Die Bestimmung, dass die Jugendlichen aus eigenen Mitteln Schutz- und
Arbeitskleidung kaufen müssten, sei „verwerflich“.
Der Rechtsbruch seitens der Protinus beruht laut Urteil auf „vorsätzlichem
Handeln“ und das Sozialamt der Stadt Wismar leiste dazu Beihilfe.
Der Vertrag gebe Anlass zu dem Verdacht, dass die Protinus GmbH unter
Teilnahme der Stadt Wismar eine Straftat des Lohnwuchers nach § 291
Abs.1 Satz 1 Nr.3 des Strafgesetzbuches gebe.

Für
die Stadt Wismar war das Urteil eine große Niederlage. Unmittelbar
darauf entzog die Stadt Wismar dem Jugendlichen seinen Beistand. Mittlerweile
hat der Rechtsbeistand des Jugendlichen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft
gegen die Protinus GmbH und die Stadt Wismar wegen Lohnwuchers und Nötigung
von schutzbedürftigen Jugendlichen gemacht.
Dieser Fall von skandalöser Sklavenarbeit zeigt, was zu erwarten
ist, wenn die Hartz-Vorschläge und die Agenda 2010 in die Realität
umgesetzt werden. Hungerlöhne und völlige Schutzlosigkeit sind
die Ziele des Kapitals und seiner Helfer im Staatsapparat. Statt Ausbildung
gibt es für Jugendliche gandenlose Ausbeutung.

Der Fall zeigt aber auch, dass es richtig und notwendig ist, sich mit
allen Mitteln zu wehren! Auch wenn es mühsam ist und aussichtslos
scheint, kann man so manchmal wenigstens einen kleinen Sieg erreichen.
Unsere Solidarität gilt den Jugendlichen in Wismar und ihrem Kampf
gegen Ausbeutung! Macht diesen Fall breit bekannt! Das ausführliche
Gerichtsurteil werden wir im Internet veröffentlichen.