Zur Diskussion gestellt: Wie man die Frage des islamischen Kopftuchs stellen muss

    Die Polemik über die Frage des Kopftuchs an der
Schule vergiftet weiterhin die gesellschaftliche Debatte. In der
letzten Nr. unserer Zeitung (La Forge 434, Oktober 2003) haben wir
unsere Leser auf eine Instrumentalisierung des Kamps für die
Verteidigung des Laizismus aufmerksam gemacht.
    Wir veröffentlichen im Folgenden die Stellungnahme
der „Coordination Égalité“. Es schien uns in einer solchen Frage
wichtig, das Wort einer Frauenorganisation zu geben, welche die
Verteidigung der Frauen der Volksschichten zum Maßstab nimmt.

    Die Antwort auf das Problem, das durch das „Tragen
des Kopftuchs an der Schule“  aufgeworfen wird, kann nur
allumfassend, kämpferisch und auf vielen Hintergründen zu geben sein.
    Den ersten Streit um das islamischen Kopftuch gab es
1989. Seitdem ist die öffentliche Schule nicht mehr aus der Debatte
zwischen
– jenen, die vor allem gegen die Infragestellung des laizistischen Charakters der Schule sind
– und jenen, die nicht akzeptieren, dass ein Teil der Jugend, der aus
der Immigration stammt, von der öffentlichen Schule ausgeschlossen
wird, weil er das Kopftuch trägt, herausgekommen.
Heute flammt die Debatte wieder auf, durch die Medien bis zum Überdruss
geschürt, und wird tatsächlich zu einer gesellschaftlichen Debatte: es
gibt immer mehr Appelle, Petitionen, Erklärungen von Politikerinnen und
Politikern auf dem Hintergrund der Affäre um ein Seidentuch, das von
zwei Jugendlichen des Gymnasiums Henri Wallon in Aubervillers getragen
wurde. Wir müssen uns dazu stellen, wir müssen Partei ergreifen:
–    für oder gegen ein Gesetz, das das Tragen jeden religiösen Zeichens an der Schule verbietet
–    für oder gegen den Verweis der Mädchen, die das islamische Kopftuch tragen, von der Schule.
Dieses sehr reichlich komplexe und heikle Problem, bei dem viele
Einzelheiten in Rechnung gestellt werden müssen, um die Situation zu
analysieren, kann jedoch nicht auf eine Position dafür oder dagegen
reduziert werden.

Zuerst: was stellt das Kopftuch dar?

Das Kopftuch ist vor allem der Ausdruck einer Religion, er hat eine recht besondere Bedeutung:
Diese ist, von der Frau zu verlangen, dass sie sich versteckt, dass sie
ihren Körper verhüllt, damit sie nicht ein Objekt der Versuchung des
Mannes wird. Das Tragen des Kopftuchs verbindet sich oft mit dem Tragen
langer Kleider, dicker Strumpfhosen, dunkler Farbtöne der Kleidung und
dem Verbot für Mädchen, auszugehen oder Sport zu treiben. Es handelt
sich nicht nur um eine simple Kleidungsvorschrift, sondern um ein
Symbol der Unterdrückung der Frau, ihrer Negation als eigenständiges
Individuum. Das Tragen des Kopftuchs ist nur ein Teil des Prozesses des
Einsperrens der Frauen…und ihres Geschlechts. Die in Gang gebrachte
Debatte um die Infragestellung der Geschlechtervermischung gibt es nur,
um die Versuche derjenigen aufzuzeigen, welche die Geschlechter –
Männer und Frauen unter sich – trennen wollen.

Alle Religionen trichtern die Unterwerfung der Frauen und die Höherwertigkeit der Männer ein.

Auch die katholische Religion hat in der Bibel verkündigt, dass die
Frau niedriger, unrein, die Trägerin der Ursünde und zur Stellung als
Fortpflanzerin verbannt ist.
Heute greift der Papst in das öffentliche politische Leben wie ein
Staatschef ein und will seine Verbote durchsetzen: Scheidung,
Abtreibung, Empfängnisverhütung, Präservativ, was insgesamt einen
Angriff auf die Freiheit der Frauen darstellt.
Aus diesem Grund sind wir gegen den religiösen Einfluss an der Schule,
wir sind entschieden für eine wirklich laizistische Schule, eine
Schule, die gegen die gesellschaftliche Ungleichheit kämpft, eine
Schule, welche nicht die Unterdrückung der Frauen begünstigt, eine
Schule, die allen Kindern die gleichen Möglichkeiten bietet,
Fortschritte zu  machen und sich zu bilden, was auch immer ihre
soziale und nationale Herkunft, ihr Geschlecht oder ihr Glaube ist.
Aber hat die staatliche Schule heute die Mittel, diese Arbeit angemessen zu tun?
Oh nein, wir sind Zeugen, dass der Abbau des staatlichen
Bildungssystems betrieben wird. Die soziale Bewegung vom letzten
Mai/Juni hat uns daran erinnert. Mehrere Wochen lang haben Tausende des
Personals des staatlichen Bildungssystems auf den Straßen des ganzen
Landes demonstriert, um den Abriss der staatlichen Schule und die
Zwei-Klassen-Schule, welche die Dezentralisierung aufzuzwingen
versucht, anzuprangern, gegen den Marktwert und um die Werte der
Solidarität und Gleichheit zu verteidigen.

Wird es die Polemik um das islamische Kopftuch der Schule erlauben, die
Mittel zu erhalten, die sie braucht? Wird sie es erlauben, den
zunehmenden Ungleichheiten Einhalt zu gebieten? Nichts ist ungewisser.
Denn es sind genau die sich vermehrenden Ungleichheiten, die
Arbeitslosigkeit, welche ganze Familien in die Hoffnungslosigkeit
stürzen lässt, der Rassismus, welcher die aus der Immigration
hervorgegangene Bevölkerung trifft, welche von den fundamentalistischen
Kreisen in den Vierteln, wo das einfache Volk wohnt, ausgenutzt werden.
Die islamistischen Organisationen sind in diesen Vierteln sehr aktiv.
Sie verstehen es, die wirtschaftliche und soziale Not auszunutzen, um
Nachwuchs zu rekrutieren und sich einzunisten.

Die machtvolle Rückkehr des Religiösen in der Gesellschaft

Dabei werden sie von den Herrschenden unterstützt. Die Abgeordneten
haben nicht die unterstützt, welche laizistische Projekte hatten. Sie
haben den Platz lieber den von den Islamisten unterwanderten Verbänden
überlassen, um die Jugendlichen in den populären Vierteln zu lenken.
Erinnern wir uns, dass Sarkozy  [frz. Innenminister, d.Ü.] an die
Imams des Landes appellierte, um die Geister der Jugendlichen in den
Vorstädten zur Zeit des Kriegs gegen den Irak zu beruhigen.
Heute wird als Gegenstück zum sozialen Frieden auf örtlicher Ebene mit
jenen die Diskussion eröffnet, welche öffentliche Gelder für die
kulturellen und gesellschaftlichen Aktivitäten der Gotteshäuser
bekommen wollen, und das geschieht, während die Stadtteilinitiativen,
die sich der „sozialen Bewältigung“ des Elends durch laizistische
Projekte annehmen, sich dem Einfrieren ihrer Budgets gegenübersehen
(siehe Égalité Nr. 38).
Wie kann man das verstehen, wenn die Politiker unser Geld benutzen, um
den Trägern von religiösen, ja sogar fundamentalistischen Ideen, zu
Hilfe zu kommen?
Die Diskussion um das Kopftuch heute anzufachen ist auch eine
Gelegenheit, dafür zu sorgen, mit was sich die öffentliche Meinung
befassen soll, damit man klammheimlich das Gefährlichere, die
machtvolle Rückkehr des Religiösen, durchsetzen kann.
Wir erleben die Legitimierung der islamistischen Kreise im Nationalrat der Muslime.
    Wir sind auch Zeugen einer Offensive der
extremistischen Katholischen Kreise, welche die Debatte über die
Zweigeschlechtlichkeit an den Schulen eröffnet haben und die versuchen,
den religiösen Bezug in der europäischen Verfassung zu verankern. Ist
letzterer Versuch nicht eine Infragestellung der Trennung von Kirche
und Staat?

Diese machtvolle Rückkehr der Religion mitten in der Krise zielt vor allem auf die Frauen.

Sie bedroht uns alle. Zugleich nehmen die Bilder nackter Frauen auf den
öffentlichen Werbeflächen zu, explodiert die Prostitution und breitet
sich die Pornographie aus. In allen Fällen wird die Frau auf ein
simples sexuelles Objekt reduziert, welche das sexuelle Verlangen
hervorruft. Folglich heißt es ihren Körper zu verhüllen oder zur Schau
zu stellen.
Aber diese Versuche, jeden in seiner „Bruderschaft“, seiner
„Glaubensgemeinschaft“ zu isolieren, sind auch für alle, Männer und
Frauen bedrohlich, da sie darauf abzielen, die Solidarität zu zerstören
und Spaltung zu sähen. So entledigen sich die politische Herrschenden
der Diskussion über die ökonomische Unterdrückung, denn die Leute,
welche in den religiösen Institutionen gefangen sind, haben nicht das
Bewusstsein, vor allem einem „sozialen Lager“ anzugehören, sie stellen
sich vor allem in ihr „bruderschaftliches“ oder „religiöses“ Lager.

Die machtvolle Rückkehr der Religion diente dazu, die Schwächsten zu spalten.

Eine religiöse Handlung anzuerkennen kostet weniger als der aus der
Immigration stammenden Bevölkerung Rechte auf schulischen Erfolg, auf
Arbeit und auf einen vollen Platz in der Gesellschaft zuzuerkennen und
es verschleiert die Frage nach den Tatsachen des Kolonialismus und
Neokolonialismus und ihrer dramatischen Folgen: Exil, Armut, straflose
Ausbeutung, Kriege usw. Denn dies hat tausende von Menschen dazu
gebracht, ihre Heimat zu verlassen und fern von zu Hause Immigranten zu
werden.
Die Regierung Raffarin/Sarkozy spielt auf allen Registern. Einerseits
baut sie dem Vormarsch des Religiösen goldene Brücken, andererseits
droht sie den Mädchen mit Ausschluss, wohl wissend, dass sie so die
Spannungen nährt, welche diejenigen spaltet, die zusammen gekämpft
haben, um die staatliche Schule und unser Rentensystem zu verteidigen.
Sie haben es nötig, ihre Hände frei zu haben für ihre reaktionäre
Politik des sozialen Rückschritts. Wenn ihnen die Verwirrung um die
Religiosität ihnen dabei hilft, nützen sie es aus.
Seien wir uns der Tatsache bewusst, dass sich die Debatte um das „Kopftuch an der Schule“  in  diese Logik einfügt.

Wird ein neues Gesetz über das Tragen religiöser Symbole an der Schule diesen Prozess entschärfen?

Müssten wir unsere Anstrengungen nicht mehr darauf richten, die
Rückkehr der religiösen Ideen, welche unsere Rechte bedrohen,
aufzuzeigen, die notwendigen Mittel für das staatliche Schulwesen und
Subventionen für die Vereine, die laizistische Projekte durchführen, zu
verlangen und für alle, Männer und Frauen, Jung und Alt, Franzosen und
Immigranten, das Recht auf einen wirklichen Platz in der Gesellschaft
zu fordern?
Wie wir es zu Anfang des Artikels sagten, kann sich die Antwort auf das
Problem, das vom „Tragen des s an der Schule“ aufgeworfen wird, nicht
auf eine Position des Ja oder Nein beschränken. Dieses Problem kann
nicht durch ein neues Gesetz geregelt werden, das, ob man will oder
nicht, mit dem Finger auf einen Teil der Bevölkerung, die
ausgeschlossen werden soll, zeigt. Unserer Meinung nach kann die
Antwort auf dieses Problem nur global, kämpferisch und auf mehreren
Fronten zu erklären sein.
Unsere „Coordination Égalité“ nimmt aktiv und inhaltlich daran teil und wird mit Entschlossenheit weiterhin daran teilnehmen.

20. Okt. 2003, nationales Komitee der Frauengruppen „Égalité“
aus La Forge, Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs (PCOF)