Zur Diskussion gestellt: Erklärung der DİDF zur aktuellen “Integrationsdiskussion”: Für eine gemeinsame Zukunft!

Nach dem
brutalen Mord an dem niederländischen Filmemacher Van Gogh hat sich die  Diskussion über die “Islamischen Einwanderer”
in eine hysterische Hetzkampagne gesteigert. Wie viele andere, die mit gesundem
Menschenverstand ausgestattet sind und versuchen, in Worten und Taten für ein
“gemeinsames Miteinander” von Deutschen und Zugewanderten einzutreten, fragen
wir uns was mit dieser Kampagne erreicht werden soll.

 

Jenseits aller
Vernunft werden in den Medien absurde Feindbilder gemalt und die Ängste der
Menschen geschürt. Ganze Stadtteile werden als “existierende
Parallelgesellschaften” und als “Horte der Gewalt” diffamiert. In den
Abendprogrammen der Fernsehanstalten und in den Tageszeitungen wird über den so
genannten “Kampf der Kulturen”  und das
“Scheitern der multikulturellen Gesellschaft” berichtet und die Frage
aufgeworfen, ob die niederländischen Vorgänge auch in Deutschland möglich oder
sogar zu befürchten seien.

 

Plötzlich warnen
viele Politiker vor diesem “Kampf der Kulturen” und fordern härtere Maßnahmen
gegenüber “Islamisten”. Dabei wird pauschaliert und in keiner Weise
differenziert vorgegangen. Was oder wer sind die “Islamisten”?

Ist das der
Nachbar, der Kollege am Band bei Opel?

Oder ist das der
Gemüsehändler oder vielleicht der Arbeitslose, den man beim Arbeitsamt oder in
der Arbeitsagentur getroffen hat? Die pauschalen Vorwürfe gegenüber den
“Islamisten” verdächtigen jeden, der “anders aussieht” – jeder Moslem könnte
plötzlich ein “gewaltbereiter Islamist sein”.

 

Es stellt sich
wirklich die Frage, wieso man jetzt – nach einem Mord, der durch einen
einzelnen Extremisten verübt wurde, – alle MigrantInnen aus islamischen Ländern
unter Verdacht stellt und insgesamt als eine gewaltbereite Gruppe darstellt.
Entspricht diese Art der Diskussion, noch dazu in einer derart angespannten
Situation, mit Unterstellungen und Pauschalierungen zu arbeiten,  dem Demokratieverständnis des Westens oder
den ethischen Werten dieser Gesellschaft?

 

Kann so eine
Haltung zu einer Überwindung der Vorurteile zwischen den Einheimischen und den
MigrantInnen führen? Können so Lösungen entwickelt werden, die ein friedliches
Zusammenleben erleichtern? Welches Ziel wird tatsächlich mit einer derart
kriminalisierenden und stigmatisierenden Diskussion verfolgt? Sollen vielleicht
am Ende die entwickelten Horror-Szenarien der “zur Integration nicht bereiten”
aber “zur Gewalt neigenden” MigrantInnen benutzt werden, um bestehende Gesetze und
“Sicherheitsvorkehrungen” zu verschärfen? Diese Fragen drängen sich auf und
sollten offen angesprochen werden.

 

Die Kolumnisten
in den Tageszeitungen, Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens
fordern dazu auf, die vielen Probleme, die im Zusammenhang mit der Integration
stehen, offen und ohne Scheu darzulegen und nicht weiter die Augen vor realen
Problemen zu schließen. Dem kann man nur zustimmen. Man sollte sich aber davor
hüten, Tatsachen auf den Kopf zu stellen, Ursache und Wirkung zu verwechseln,
und plötzlich eingebildete Probleme als eine real existierende Problematik
anzunehmen. Eine offene Diskussion heißt nämlich nicht, “den Teufel an die Wand
malen”; heißt nicht, mit der Angst zu arbeiten und heißt auch nicht, die
Konflikte der Gesellschaft aufzublasen. Das würde letztendlich nur Wasser auf
die Mühlen der Rechten sein und bedeuten, dass man deren Parolen übernimmt.

 

Eine Frage, die
wir in diesem Zusammenhang nicht ausklammern möchten, ist, wie über die
Integrationsproblematik der MigrantInnen (Türken, Kurden usw.) aus der Türkei
diskutiert wird. Als einer der Hauptgründe für die Schwierigkeiten bei der
Integration dieser Gruppe wird immer wieder die Religion genannt. Doch gerade
in dieser Bevölkerungsgruppe ist ganz unübersehbar, dass ein nicht geringer
Teil der MigrantInnen keinerlei Verbindung zum Islam hat. Der überwiegende Teil
der MigrantInnen aus der Türkei identifiziert sich nicht mit dem Islam, auch
wenn sie sich zum Islam bekennen. Welche Ziele verfolgt man, wenn trotzdem die
Diskussion so pauschalisiert geführt wird, als seien alle Probleme der
MigrantInnen aus der Türkei nur im Zusammenhang mit dem Islam zu sehen?

 

Es ist nicht von
der Hand zu weisen, dass es in Bezug auf die Integration viele Probleme gibt,
die schon seit langem bekannt sind und die derzeit zur Panikmache missbraucht
werden. Eine Gesellschaft, in der es ein wirkliches Miteinander und keine
Nebeneinander von Einheimischen und Zugewanderten gibt, braucht als Grundlage
eine gemeinsame Sprache. Insofern ist die Tatsache, dass weite Teile der
MigrantInnen die deutsche Sprache nur ungenügend beherrschen, eines der größten
Hindernisse für eine erfolgreiche Integration. Somit kann der
Integrationsprozess von vielen MigrantInnen selbst aus Mangel an
Sprachkompetenz, nicht positiv beeinflusst werden. Aber es gibt auch andere
Faktoren, die die Integration behindern, z.B. die Konzentration der
MigrantInnen auf bestimmte Stadtteile, so dass die Tendenz sich von der
Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen, verstärkt wird. Auch ein hoher Anteil von
Kindern mit Migrationshintergrund in bestimmten Klassen und Schulen wirkt sich
ganz eindeutig negativ auf ein organisches Zusammenwachsen von In- und
Ausländern aus.

 

Unstrittig ist
auch, dass MigrantInnen die Kultur, die positiven und fortschrittlichen Werte
einer Gesellschaft kennen lernen und als ihre eigenen akzeptieren und verstehen
müssen, um sich wirklich integrieren zu können. Und sie müssen die Chance
haben, am kulturellen und gesellschaftlichen Leben dieses Landes aktiv teilhaben
zu können – egal ob Frau oder Mann, ob Jung oder Alt.

 

Unserer Meinung
nach ist es nicht hinnehmbar, dass unter dem Mäntelchen von Tradition,
Gebräuche, Sitten, und rückwärtsgewandte Beziehungen gestärkt werden. und der
religiöse Glaube, der ja etwas Privates sein sollte, von bestimmten
Organisationen in der Gesellschaft benutzt wird, um das gesellschaftliche Leben
zu organisieren. Wir wollen nicht, dass in Koran-Kursen mit oder ohne
staatliche Unterstützung mittelalterliche und mystische Auffassungen in die
Köpfe von Kindern gezwängt werden. Die Religion darf nicht politisch
missbraucht werden – auch nicht im Namen der Demokratie!

 

Unsere
Föderation, die das Motto “Nicht nebeneinander – miteinander leben” als
Grundparole angenommen hat, hat von Anfang an eine Politik bekämpft, die mit
ihrer Propaganda MigrantInnen aus der Türkei dazu auffordert, ihre Identität,
ihre Religion und ihre Sprache zu bewahren. Denn diese Politik führt dazu, dass
die MigrantInnen unter sich bleiben und ohne Bezug zur deutschen Gesellschaft
leben. Auch in der Zukunft werden wir diese Politik bekämpfen, die die
Unterschiede hervorhebt, Vorurteile bekräftigt und die religiöse,
nationalistisch-fanatische Tendenzen unterstützt und unter anderem der
türkisch-nationalistischen Lobby-Arbeit dient.

 

Hierzu ließen
sich viele Beispiele anführen. Jedoch handelt es sich hierbei nur um die
Folgen, nicht aber um die eigentlichen Ursachen. Zwei Punkte wollen wir in
diesem Zusammenhang hervorheben:

Erstens, auch
wenn die Schwarzseher dieser Gesellschaft das Gegenteil behaupten: Die
Integration ist nicht gescheitert! Es gibt zwar graue Schatten, aber die
Zukunft ist keinesfalls schwarz. Trotz der Schwierigkeiten, die wir in den
letzten 40 Jahren hatten, gibt es vieles, was wir – In- und Ausländer –
gemeinsam teilen und meistern Das heißt aber auch, dass wir auf die Erfahrungen
der vergangenen 40 Jahre immer zurückgreifen können. Auch wenn vieles
schmerzhaft war in diesem Prozess der Integration, so sind doch wichtige
Schritte in die deutsche Gesellschaft und ein gemeinsames Leben getan worden.
Abgesehen davon gibt es inzwischen eine neue Generation, die hier mit der
Kultur und den Werten dieser Gesellschaft aufgewachsen ist. Und es gibt jetzt
viele MigrantInnen, die die gesellschaftliche Entwicklung dieses Landes
aufmerksam verfolgen und aktiv daran teilnehmen. Diese Haltung ist eine der
Grundvoraussetzungen dafür, sich als Teil der Gesellschaft zu empfinden und den
Integrationsprozess voranzubringen. Wir möchten betonen, dass die Integration
und das Zusammenleben in vielen Bereichen funktionieren.

 

Zweitens wenn
man die Probleme des Zusammenlebens betrachtet und analysiert sollte man vor
allem auch die 40jährige “Ausländerpolitik” in Deutschland genauer unter die
Lupe nehmen. Oder hat die etwa keine Rolle in diesem Prozess gespielt?

Vom bayerischen
Innenminister Beckstein bis hin zum brandenburgischen Innenminister Schönbohm
behaupten viele Politiker und Journalisten, (die ihre Aufgabe in der Panikmache
sehen) dass die Ausländer die deutsche Sprache nicht lernen wollen und sich
nicht integrieren wollen, dass sie vielmehr selbst die Ghettos wählen, um dort
ihre “Parallelgesellschaften” aufzubauen. Plötzlich werden die Opfer der
40jährigen Ausländerpolitik zu “Tätern” erklärt und es wird so getan, als hätten
die Politik und die sozio-ökonomischen Verhältnisse dieses Landes keinen Anteil
an dieser Situation. Diejenigen, die noch bis vor kurzem mit Nachdruck
behauptet haben, Deutschland sei kein Einwanderungsland, haben Arbeiter und
deren Familien, die seit 40 Jahren in diesem Land leben und arbeiten, in den
“Gastarbeiter-Status” eingezwängt und so daran gehindert, ein Teil dieser
Gesellschaft zu werden. Und jetzt machen sie diese “Gäste” auch noch für ihre
Lage verantwortlich.

 

Wie viele
Sozialwissenschaftler – die objektiv versuchen, die Lage zu analysieren –
darlegen, ist es keineswegs so, dass es die Entscheidung der MigrantInnen war,
in Ghettos zu leben oder ihre Kinder in Schulen zu schicken, wo 80 % der
Schüler MigrantInnenkinder sind. Das alles waren keine freiwilligen
Entscheidungen und Wünsche der MigrantInnen, sondern Entscheidungen die
aufgrund der bestehenden Verhältnisse und Möglichkeiten zwangsweise getroffen
werden mussten.

 

Nach fast 50
Jahren der Immigration wird, zum ersten Mal in der Deutschen Geschichte, am
01.01. 2005 ein Zuwanderungsgesetz eingeführt. Die ImmigrantInnen haben damit
zum ersten Mal des Recht und die Pflicht, an Deutsch- bzw. Integrationskursen
teilzunehmen. So steht es jedenfalls im Gesetz, aber schon jetzt beklagen sich
die Kommunen, dass ihnen die finanziellen Möglichkeiten für solche Kurse
fehlen! Statt den Kommunen unter die Arme zu greifen und die nötigen Mittel zur
Verfügung zu stellen, um diese Kurse durchzuführen, werden die bewilligten
Mittel mit Hinweis auf die angeblich leeren Kassen gekürzt. Stattdessen werden
die ImmigrantInnen über die Medien lauthals aufgefordert “Lernt endlich
Deutsch”. Damit wird der Öffentlichkeit das Bild vermittelt, dass die
MigrantInnen selbst gar kein Interesse an diesen Kursen haben.

 

Durch diese
Darstellung in der Öffentlichkeit werden nicht nur die Probleme der Integration
verschleiert, sie lenkt auch ab von den innenpolitischen Schwierigkeiten. Diese
Herangehensweise wird der Integration – die ja angeblich jeder befürwortet –
nicht nutzen, sondern dazu führen, dass der Prozess des Zusammenwachsens
stagniert, sich zurückentwickelt und zu einer noch stärkeren Isolation der
MigrantInnen führt. Und diese Haltung wird letztendlich die islamistischen
Fundamentalisten stärken, die man angeblich bekämpfen will.

 

Die
Unterschiede, die begründet sind in der unterschiedlichen Kultur und
gesellschaftlichen Herkunft, sind nicht von heute auf morgen aus der Welt zu
schaffen, die Integration muss vielmehr als Prozess gesehen und gelebt werden.
Genau an diesem Punkt ist es wichtig, den Dialog und das gegenseitige
Verständnis in den Vordergrund zu stellen statt das Trennende und die
Andersartigkeit zu betonen. Wir sollten vielmehr die verbindenden
Besonderheiten und Werte hervorheben und deutlich machen, dass diese eine
entscheidende Rolle im Zusammenleben spielen.

 

In diesen Tagen
der angespannten Nervosität, in denen oberflächliche Analysen, falsche Annahmen
und schnelle Rezepte die Diskussion beherrschen, wenden wir uns an alle, denen
das freundschaftliche Verhältnis und Zusammenwachsen von Deutschen und
MigrantInnen am Herzen liegt. Wir rufen Intellektuelle, Gewerkschaften, Medien,
Parteien und Kirchen auf, sich stärker in ihren Organisation und Initiativen,
am Arbeitsplatz und in ihrem privaten Lebensumfeld dafür einzusetzen, dass der
Integrationsprozess weiter voranschreitet. Es reicht nicht, gegen die oben
beschriebene Hetzkampagne aufzutreten, es geht vor allem darum, die Erfahrungen
der Vergangenheit zu analysieren und zu nutzen, um die Bevölkerung richtig über
die Fakten zu informieren und konstruktive Vorschläge dafür zu machen, wie der
Prozess des Zusammenlebens gefördert werden kann. Es gibt vieles, was wir
machen können.

 

Insbesondere am
Arbeitsplatz, in den Stadtteilen, in den Schulen – kurzum, in allen gemeinsamen
Lebensbereichen – sollten Treffen organisiert werden, in denen Deutsche und
MigrantInnen gemeinsam über ihre Probleme sprechen und Lösungsvorschläge
entwickeln können, es sollten gemeinsame Veranstaltungen organisiert werden, in
den das Aufeinanderzugehen und der Dialog erleichtert wird. Solche Aktivitäten
sind wichtig und notwendig.

Es ist an der
Zeit, für eine gemeinsame Zukunft gemeinsam zu streiten!

 

Bundesvorstand

Der DIDF

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