Ekuador: Das Volk hat Lucio Gutiérrez gestürzt

20. April 2005, 16 Uhr

 

Die Mobilisierung des Volks hat
den Sturz von Lucio Gutiérrez bewirkt. Er hat das Land verlassen und hält sich
nach Pressemeldungen in Panama auf, das Land, in das sich auch der Expräsident
Bucaram flüchtete. Dieser war im Februar 1997 auch durch eine Volkserhebung
abgesetzt worden. Der Botschafter Panamas in Ekuador hat jedoch die Meldung,
nach der seine Regierung ihm politisches Asyl gewährt hätte, dementiert. (1)

Die Proteste waren ab Freitag,
den 15. April, ausgebrochen, als Gutiérez den Ausnahmezustand über Quito
verhängt hatte, der Stadt, wo die Mobilisierungen am stärksten waren. Jedoch
erst ab Montag haben die Straßenproteste den Charakter von direkten
Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizeikräften angenommen,
insbesondere zwischen Oberschülern und Stundenten der Universität und der
Polizei, im Gegensatz zu den Protestaktionen, die in den vorangegangenen
Nächten, die letzten acht Tage, stattgefunden hatten. Diese waren von Appellen
zur friedlichen Aktion, zur Gewaltfreiheit, begleitet.

Heute hat die Konfrontation
zwischen der Jugend und der Bevölkerung einerseits und der Polizei andrerseits
große Ausmaße erreicht. Die Demonstranten haben während des ganzen Vormittags nicht
aufgehört, die repressiven Kräfte zu attackieren. Die gewaltsamsten
Konfrontationen fanden im Umkreis der Parks La
Alameda
und El Ejiudo und in der
Umgebung des Gebäudes, in dem sich heute der Nationalkongress versammelt hat,
statt. Den Polizeikordon einmal durchbrochen, sind die Demonstranten bis dicht
an den Platz der Unabhängigkeit
vorgedrungen, wo die Polizei und Armee eine gewaltsame Repression ausgelöst haben.
Trotzdem ist es ihnen nicht gelungen, die Demonstranten zu zerstreuen, und
diese haben alle Straßen der kolonialen Altstadt Quitos überflutet. Im Laufe
des Vormittags ist der oberste Polizeikommandant Jorge Poveda zurückgetreten.
Die nationale Polizei war während dieser ganzen Regierungszeit ein wichtiger
Stützpfeiler des Regimes und ein Instrument zur Unterdrückung des Volks.

Gutiérrez hat seine
Sympathisanten aus verschiedenen Provinzen mit dem Ziel mobilisiert,  alle, die für seine Absetzung kämpften, zu
attackieren. Während der Zusammenstöße von Demonstranten und Polizeikräften
versammelte sich der Nationalkongress, um Gutiérrez mit Hilfe einer
Gesetzesresolution, der 60 Abgeordnete zustimmten, abzusetzen. An dieser
Sitzung nahmen weder die Abgeordneten der PSP des Expräsidenten Gutiérrez, noch
die der PRE des Expräsidenten Bucaram, noch die der PRI des großen
Bananenmagnaten Alvaro Noboa teil.

Anschließend wählte der Kongress
Alfredo Palacio, den unter Gutiérez gewählten Vizepräsidenten, zum Präsidenten
des Landes.

Gegenüber Palacio gibt es ein
tiefes Gefühl der Ablehnung. Die Organisationen der Volksfront (2) haben die
Bildung einer Volksregierung vorgeschlagen, die aus Vertretern der
Organisationen des Volks und der demokratischen und linken politischen
Organisationen, Mitgliedern der Kirche und der Streitkräfte bestehen soll.

Um 2 Uhr nachmittags, als die
Polizeikräfte die Kontrolle über die Straßen um den Platz der Unabhängigkeit
verloren hatten, erreichten die ersten Demonstranten das Regierungspalais.
Fahnen der FESE, der FEUE und der JRE und die Nationalflagge erschienen sofort
auf den Balkonen des Carondelet-Palais
(3). Der Platz wurde sehr schnell von den Demonstranten besetzt. Gutiérez
verließ das Carondelet-Palais im Hubschrauber in Richtung Flughafen, um das
Land zu verlassen. Die Vertreterin des Ministeriums für öffentliche Ordnung,
Cécilia Armas, hat jedoch die Verhaftung des Expräsidenten, die von Abdala
Bucaram, der vor kurzem aus seinem „Exil“ in Panama zurückgekehrt ist, sowie
die von Guillermo Castro, dem  Expräsidenten
des obersten Gerichtshofs, der in der vergangenen Woche vom Nationalkongress
entlassen wurde, angeordnet. Zuerst kursierte die Nachricht, Gutiérrez sei auf
dem Flughafen verhaftet worden, aber später hieß es, dass er den Palast und die
Hauptstadt mit einem Hubschrauber verlassen hätte. In einem Überraschungsangriff
haben Hunderte von Demonstranten das Rollfeld des internationalen Flughafens Marisal Sucre besetzt, um die Flucht des
Expräsidenten zu verhindern.

Die Manifestationen haben sich
nicht auf Quito begrenzt: in der Provinz Azuay im Süden des Landes haben Mitglieder
der Volksfront den Sitz der Provinzregierung eingenommen und haben zu einer
Volksversammlung der Provinz aufgerufen, die Vertreter aller Organisationen der
Arbeiter, der Bauern, der indigenen Bevölkerung, der Studenten etc.
versammelte, um über ein eigenes Forderungsprogramm für die Provinz zu
diskutieren. Die Regierungssitze der Provinzen Loja und Cotopaxi sind ebenfalls
von der Bevölkerung eingenommen worden.

Diese Ereignisse setzen der
politischen Krise kein Ende, denn es existiert die dringende Frage, zu einer
Wahl des Präsidenten fortzuschreiten. Anderseits hat im Nationalkongress die
parlamentarische Mehrheit, die von der Sozial-christlichen Partei (PSC) und der
Demokratischen Linken (ID) geführt wird, Interesse daran, das Oberste Wahltribunal
und das Verfassungstribunal wiederherzustellen. Aber gleichzeitig ist der
Nationalkongress selbst Ziel der Proteste.

Die Regierung Alfredo Palacio ist
als Resultat aus der Krise, der Breite des Kampfes der Bevölkerung und der
Zuspitzung der Widersprüche im Schoße der Bourgeoisie hervorgegangen. Es ist
eine Regierung, die mit Zustimmung der nordamerikanischen Regierung, der
herrschenden Klassen und besonders mit der Unterstützung der Sozial-christlichen
Partei und der Demokratischen Linken gebildet wurde. Es ist eine Regierung,
die, kaum gebildet, schon in Misskredit gebracht ist.

Die Organisationen der
Volksfront, die MPD (Moviemento Popular Democratico) (4) und unsere Partei
bestehen auf der Notwendigkeit, für eine Volksregierung zu kämpfen. Jedoch fordern
wir angesichts der Ernennung Palacios zum Präsidenten von ihm die
Verwirklichung aller Versprechen während seiner Teilhabe an der Präsidentschaft
mit Gutiérrez.

Angesichts der Einsetzung eines
Obersten Gerichtshofs, die einer der Schlüsselelemente der Krise war, beharren
wir auf der Forderung, dass seine Mitglieder in allgemeinen öffentlichen Wahlen
gewählt werden.

Der ekuadorianischen Oligarchie
ist es gelungen, einen verfassungsmäßigen Ausweg aus der Krise zu finden, indem
sie dem neuen Präsidenten Legitimität und Unterstützung gewährt. Sie versucht,
die tiefgehend zerrissenen  bürgerlichen
Institutionen zu retten.

Das Volk Ekuadors hat wachsam und
mutig gekämpft, aber die mangelnde Kampfkraft der Volksbewegung hat es der
Oligarchie noch einmal erlaubt, einen Ausweg zu finden.

Gutiérrez ist seit 1997 (5) der
dritte Präsident, der durch die Bewegung der Massen von der Macht vertrieben
wurde. Die drei letzten durch allgemeine Wahlen gewählten Präsidenten mussten
vor dem Volkszorn flüchten.

Die Regierung, die heute stürzte,
hat sich selbst als besten Verbündeten der Regierung Bush bezeichnet; ihr Sturz
ist ein Schlag gegen die Yankee-Politik in der ganzen Region und ein erneuter
Sieg der Völker Ekuadors.

 

Pressedienst von En Marcha,
Zentralorgan der Kommunistischen
Partei Marxisten-Leninisten Ekuadors

 

Fußnoten:

(1)  
Nach neuster Meldung hat der Expräsident Gutiérrez in
Brasilien Asyl erhalten.

(2)  
Die Volksfront ist eine breite Gruppierung politischer,
gesellschaftlicher und gewerkschaftlicher 
Kräfte in allen Provinzen des Landes. Sie hat zusammen mit der anderen
großen sozialpolitischen Strömung CONAIE eine entscheidende Rolle beim Sturz
des vorherigen Staatschefs gespielt.

(3)  
Das Palais Carondelet ist im Zentrum Quitos, im
historischen Stattinneren, dem Bezirk des alten kolonialen Quito,  gelegen und ist das bevorzugte Ziel der
großen politischen Protestaktionen.

(4)  
Die MPD hat eine parlamentarische Fraktion im
Nationalkongress und mehrere Abgeordnete in den Provinzparlamenten sowie
Bürgermeister und Räte. Ihr Führer, der ehemalige Präsidentschaftskandidat
Jaime Hurtado wurde am 17. Februar 1999 einige hundert Meter vom Kongress
entfernt auf offener Straße ermordet. Die Auftraggeber dieses politischen
Mordes wurden niemals verfolgt.

(5)  
Im Februar 1997 hat eine Volkserhebung den Populisten
Bucaram verjagt. Die Volksbewegung vom Januar 2000, von der CONAIE, Pachakutik
und der Volksfront organisiert, stürzte Mahuad. Während eines Tages wurde die
„Junta für das nationale Wohl“, an der Gutiérrez, damals Armeeoberst, sich
beteiligte, am 21. Januar 2000 eingesetzt.