Nur die Spitze des Spitzeleisberges

SpitzelFocus, Spiegel und andere Zeitungen wurden jahrelang vom
Bundesnachrichtendienst überwacht und bespitzelt. Ein „Kollege“, Erwin Decker
von Focus, hatte für viel Geld Kollegen ausgehorcht. Ein Skandal, aber kein
Einzelfall. Tatsächlich handelt es sich bei diesen Spitzeleien nur um die
Spitze des Spitzeleisberges.

Zu Recht schreibt Stefan Geiger in einem Kommentar in der
Stuttgarter Zeitung:

„Die Aufregung darüber, dass der Bundesnachrichtendienst
auch Journalisten bespitzelt hat, ist ein bisschen naiv. Spionagedienste – und der
BND ist ein Spionagedienst – verleiten Menschen in anderen Ländern zu
Handlungen, die im eigenen Land unter strenger Strafe stehen. Geheimdienste
bringen Menschen in Gefahr – die, die sie anwerben, und manchmal auch andere.
Spionagedienste arbeiten mit dubiosen und unmoralischen Menschen zusammen. Sie
belauschen und bespitzeln unzählige Menschen auf der Welt; sie dringen in die
Intimsphäre der Bürger ein. Spionage ist ein schmutziges Geschäft.“

Zu Recht weist er auch daraufhin, dass das Geschrei mancher
Politiker reine Heuchelei ist, da diese per Gesetz den BND ermächtigt haben,
zum eigenen Schutz auch im Inland nachrichtendienstliche Mittel anzuwenden. Die
Bespitzelung von Journalisten war also gesetzlich! Sie wurde nun zur Beruhigung
der Öffentlichkeit vom Kanzleramt untersagt. Entscheidend für diesen Schritt
war nicht etwa die Einsicht, dass hier die Pressefreiheit in Gefahr ist,
sondern die Angst vor der öffentlichen Empörung und dass noch mehr über die
Machenschaften des BND herauskommt.

Dass der BND durchaus ein sehr schmutziges Geschäft
betreibt, wurde zuletzt im Zusammenhang mit den Verschleppungen von
Terror-Verdächtigen durch den CIA klar. Da wurde ein deutscher Staatsbürger mit
Duldung und Unterstützung des BND durch den CIA gekidnappt und verschleppt. Da nahmen
BND-Spitzel an Verhören von Gefolterten teil. Edel und vornehm, wie sie nun mal
sind, folterten sie – noch – nicht selber, sondern überließen das dem CIA oder
lokalen Handlangern der USA. Jahrelang führten die USA geheime Flüge mit
solchen Verschleppten und Gefolterten über deutsche Flughäfen durch – mit Wissen
des deutschen Geheimdienstes.

Da gilt das gute alte Sprichwort: Sage mir, mit wem du
gehst, und ich sage dir, wer du bist!

Die Bespitzelung von Journalisten ist auch nur ein kleiner
Teil der zunehmenden Angriffe auf die Presse- und Meinungsfreiheit.

So finden zunehmend staatsanwaltschaftlich veranlasste Durchsuchungen
von Redaktionen statt. Journalisten, die Missstände im Staatsapparat aufdecken,
werden zu Beschuldigten gemacht, weil sie „beim Geheimnisverrat“ geholfen
haben. Gesetze und Gerichtsurteile, die die „Privatsphäre“ der Herrschenden
schützen sollen, führen zu freiwilliger Zensur. Stefan Geiger dazu:

„In der Praxis führt die Drohung mit absurd hohen „Schmerzensgeldern“
dazu, dass über das kritikwürdige Verhalten von Reichen und Mächtigen nur noch
in Form der Hofberichterstattung oder gar nicht mehr berichtet wird…. Etliche
Artikel, die geschrieben werden müssten, erscheinen deshalb nicht mehr.“

So wurde z.B. im vorigen Jahr die Zeitung „Cicero“
durchsucht, nachdem sie einen Bericht über den jordanischen Terroristen Abu
Mussab al-Sarkawi veröffentlichte. Der damalige SPD-Innenminister Otto Schily
stellte sich hinter Staatsanwalt und Polizei.

Diese Angriffe auf die Meinungsfreiheit finden jedoch
zunehmend auch im Alltag statt. So wurde in Baden-Württemberg einem Lehrer
Berufsverbot erteilt, weil er in einer antifaschistischen Initiative
mitarbeitet! Seit Monaten überzieht die Staatsanwaltschaft Stuttgart
Antifaschisten mit Verfahren, wenn sie z.B. Anstecker mit einem
durchgestrichenen Hakenkreuz tragen. Angeblich machen sie damit „Werbung“ für
verfassungsfeindliche Symbole. Zur gleichen Zeit dürfen Neonazis mit dem Schutz
von Gerichten und Staatsanwälten ihre Aufmärsche durchführen.

Der jetzige Skandal ist kein Einzelfall, sondern er wirft
ein Schlaglicht auf die undemokratischen Verhältnisse in diesem Land. Die
Freiheit hört da auf, wo sie für die Herrschenden gefährlich wird. Und
angesichts ihres unverschämten Treibens wird für sie jede Art von Kritik
offensichtlich immer gefährlicher. Deshalb werden die Freiheitsrechte, die
sowieso schon durch Notstandsgesetze und zahlreiche Verfassungsänderungen immer
mehr amputiert wurden, beständig weiter eingeschränkt. Die Herrschenden wollen
ungestört vom Volk regieren.

Der jetzige Skandal muss genutzt werden, um diese
Zusammenhänge aufzudecken und zum Kampf für die Verteidigung demokratischer
Rechte zu mobilisieren.

ernst