Da war doch was?! Die Unterschicht

Nicht zu fassen! Die SPD, ihre Friedrich-Ebert-Stiftung, ja
ihr Vorsitzer Kurt Beck gar, sie haben etwas entdeckt, scheinbar etwas ganz
Neues! Man sollte es nicht für möglich halten. Angeblich gebe es in Deutschland
eine Unterschicht! In einer Untersuchung besagter Stiftung soll das
herausgekommen sein!

Kaum zu glauben. Und dann gleich das volle Polit-Programm
auf allen Kanälen. Die einen halten das für Diskriminierung! Die andern wollen
Förderprogramme, die Merkel verwahrt sich dagegen usw. usf. Sabine Christiansen
bittet zum Polit-Small-Talk. Und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hätte
sich um ein Haar selbst geoutet als Angehöriger der Unterschicht wegen akuter
Armut, hätte Franz Müntefering als zuständiger Minister und Vizekanzler nicht
ein Machtwort gesprochen und dekretiert: „Es gibt bei uns keine Unterschicht!“
Thema durch! Thema durch?

Keineswegs! Dazu ist diese Debatte viel zu heuchlerisch,
demagogisch und hetzerisch. Was jeder denkende und aufmerksame Mensch in dieser
Gesellschaft mit offenen Augen sieht und wahrnimmt, das war nicht das  Thema dieser Herrschaften:

  • Die skandalöse Statistik über grassierende Kinderarmut in
    Deutschland,
  • das Hartz-IV-Elend,
  • die offensichtliche Not vieler allein erziehenden Mütter,
    ,
  • das Bildungselend im reaktionären dreigliedrigen
    Schulsystem der BRD,
  • sich ausbreitende 1-Eurojobs (Arbeitsgelegenheiten) bis
    hin in den qualifizierten Bildungsbereich hinein. Die gefeierte Ganztagsschule
    mit 1-Euro-Jobbern (kein Witz! Passiert in Stuttgart bereits!),
  • der Lehrstellenskandal mit offiziell genannten 50 000
    „unversorgten“ Jugendlichen,

  • verrottete und neuerdings schon baufällige Schulen (wie
    jüngst in Freiburg/Br deutlich wurde, wo gleich zweimal Klassenzimmer-Decken
    herunterbrachen),
  • von der Polizei drangsalierte Bettler auf den Straßen,
  • Rentner/innen, die verschämt in Abfallkübeln und
    Mülltonnen herumsuchen,
  • Vesperkirchen, die im Winter Obdachlose und Arme
    verköstigen, medizinisch versorgen und ihnen für einige Stunden Heizung bieten

und so fort!

Nein, das haben sie nicht gemeint. Das ist auch nichts
Neues, das lesen wir seit Jahren und stets zunehmend in der Presse und bekommen
es über „die Medien“ mit!

Nein, gemeint ist etwas ganz anderes! Das ging schon damit
los, dass Ex-Wirtschaftminister Clement (SPD) in Nazi-Verbrechermanier
Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger öffentlich als Schmarotzer bezeichnete.
Das ging weiter damit, dass man im TV bei Sozialamts- und
Jobcenter-Kontrolleur/innen mitschauen durfte, wie diese all die „Schmarotzer“,
„Sozialbetrüger“ und jene, die sich schamlos an Hartz IV bereichern, in
Wohnungskontrollen enttarnen! Da werden alle, die sich gerne als Spitzel- und
Denunzianten betätigen, in ein neues „Aufgabengebiet“ eingewiesen!

Und nun der Gipfel: die Unterschicht-Debatte: Antriebslos,
motivationslos, unflexibel, dumpf, ja dumm sollen sie sein, abgestumpft, sie
lassen ihre Kinder verwahrlosen. Das meinen sie mit Unterschicht! Kein Wunder,
dass es denen so schlecht geht! Das ist die Botschaft!

Gönnerhaft wird dann eingeräumt, dass es bezüglich dieser
Problematik auch Defizite im Bildungsbereich, in „der Gesellschaft“ gebe, aber
letztendlich sind sie doch selber Schuld, diese Dumpfbacken! Das ist der Sinne
dieser öffentlichen Debatte. Deswegen ist diese auch nicht sachlich, sondern so
heuchlerisch und unehrlich.

Gerade werden die neuesten Massenentlassungsmeldungen durch
die Medien gejagt. Wer heute rausfliegt, sei es als Ingenieur, sei es als
Montiererin, sei es als Bandarbeiter, sei es als Sachbearbeiter – hat sie oder
er nach einem Jahr noch keinen neuen Job – und das ist nicht unwahrscheinlich –
dann ist HartztIV für sie oder ihn Realität. Da heißt es, bis auf klägliche
Reste vom Vermögen leben, soweit vorhanden, dann oder auch gleich von 345 Euro
plus Zuschüsse leben. Dann ist ein entnervender und menschlich entwürdigender
Marathon angesagt, durch die Jobcenter, Arbeitsagenturen und wie all die neuen
Institutionen heißen. Da geht das Geld aus, da wird vieles gestrichen, was man
bisher für die Kinder getan hat, da wird es mit der Miete schwierig, da kann
die Klassenfahrt oder ein Urlaub nicht mehr finanziert werden, da weiß man
nicht über die eigenen Rechte bescheid, da droht die Kündigung, da brechen
Menschen zusammen, da wächst ihnen alles über den Kopf und dann das: Es fehlt
ihnen an Eigeninitiative, man sei unbeweglich, dumpf …

Es ist kein Zufall, dass diese Debatte ausgerechnet zu dem
Zeitpunkt losgetreten wird, wo die Gefahr besteht, dass sich wieder eine
breitere Protestbewegung gegen die Politik der Herrschenden entwickelt. Sie hat
ihre ersten Schritte auf den Demos am 21. Oktober gemacht. Für die Menschen,
die sich hier engagieren wollen, hält diese Debatte eine düstere Botschaft
bereit. Sie soll ihnen Angst machen: Kämpfe nicht um dein Recht, denn dann bist
du jemand, der unflexibel am Alten festhält. Du musst aber bei der
„Modernisierung“, sprich beim Lohnklau, dem Sozialabbau, der Demontage der
Krankenversicherung, bei all den „Reformen“ mitheulen, mitspielen, alles tun
was man von dir an Zumutungen verlangt! Sonst, ist „der Standort“ bald kaputt,
dein Arbeitplatz weg, und dann bist du bald „Unterschicht“! Das ist gemeint!

In der Bundesrepublik, in der EU, weltweit leben die
Menschen in Klassengesellschaften. Auch die BRD ist eine! Kapitalbesitzer, Unternehmen,
Banken, sie besitzen fast den gesamten Reichtum der Gesellschaft. Und es gibt
die Menschen, die nur ihre Arbeitskraft besitzen, vielleicht noch ein
Sparkonto, eine Lebensversicherung, ein Haus oder eine Wohnung Wir haben eine
Regierung und ein Staatssystem, das den Kapitalbesitzern die für sie
notwendigen komfortablen Bedingungen garantiert und die dafür den Rest der
Gesellschaft schröpft. Die Banken mit ihren praktisch allgemeingültigen
Kreditbedingungen, die Kapitale mit ihren Profitraten, der Geld- und
Finanzmarkt, sie sagen an, ob sich etwas noch rentiert oder ob eine Fabrik, ein
Betrieb verlagert, dichtgemacht und die Leute, die dort arbeiten. rausfliegen.
In gnadenloser Konkurrenz kämpfen sie um Märkte, um Absatz und Profit.
Gnadenlos kommt es zu Pleiten, gnadenlos werden Menschen ohne Kapitalbesitz
arbeitslos, oftmals kurz darauf arm!

Armut und Arbeitslosigkeit gehören zu diesem System dazu wie
der Motor zum Auto oder der Tod zum Leben!

Die Unterschicht, wie sie heute diskutiert wird, gibt es! Es
sind die Schwächsten, die das System des Kapitals arbeitslos und arm gemacht,
demoralisiert, und entwurzelt hat! Und der Gipfel dieses zynischen Systems: Das
Kapital braucht sie zugleich, als Reserve für Zeiten guter Konjunktur, als
Reserve für Zeiten des Krieges, und als ewige Drohung an die, die in den
Kapitalunternehmen noch oder gerade Arbeit haben – egal ob als Arbeiter/innen
oder Abgestellte. Denn dann werden ein-Euro-Jobs organisiert, Leiharbeit,
prekäre Arbeitsverhältnisse aller Art. Das macht dann die Regierung zum Wohle
der Geschäftbedingungen des Kapitals!

Dazu werden dann die vorher vom Kapital aussortierten
Menschen mit Gesetzen wie den Hartz-Gesetzen in eine Arbeit gezwungen, die
denen, die noch etwas mehr verdienen, den Lohn streitig macht und einen
brutalen Druck auf die Löhne ausübt –zu Nutz und Frommen für die Profite des
Kapital! Jeder Cent weniger für die Löhne mehrt den Profit.

So funktioniert das Kapital. Deshalb die Marxsche Losung :
Nieder mit dem Lohnsystem!

Deshalb kämpfen wir für eine Gesellschaft, in der Menschen
in menschlich gestalteter Arbeit eine Zukunft haben. Dazu muss der Kapitalismus
beseitigt werden, mit ihm und mit seinen Nutznießern geht das nicht!

ft.